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Die Entlassung beim DFB ist eine Erlösung für Hansi Flick

Der Bundestrainer muss nach dem desaströsen 1:4 gegen Japan gehen

  • Frank Hellmann, Wolfsburg
  • Lesedauer: 5 Min.
Ratlos am Spielfeldrand: Hansi Flick
Ratlos am Spielfeldrand: Hansi Flick

Am Ende wollte auch Bernd Neuendorf nicht mehr als Zauderer dastehen. Und Hans-Joachim Watzke war ohnehin längst kein Freund mehr von Hansi Flick. Also zogen die beiden mächtigsten Männer im deutschen Fußball, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der Boss der Deutschen Fußball-Liga (DFL), nach der Krisensitzung in Wolfsburg doch noch Konsequenzen, die es besser bereits nach der WM in Katar gegeben hätte: Der Bundestrainer wird von der Überforderung erlöst, die beim Offenbarungseid gegen Japan (1:4) nicht nur für knapp 25 000 Augenzeugen in der Arena am Mittellandkanal, sondern auch 5,85 Millionen Zuschauern an den Fernsehschirmen offensichtlich war.

Neben Flick werden auch seine Co-Trainer Marcus Sorg und Danny Röhl mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben entbunden. »Die Gremien waren sich einig, dass die A-Nationalmannschaft der Männer nach den zuletzt enttäuschenden Ergebnissen einen neuen Impuls benötigt. Wir brauchen mit Blick auf die Europameisterschaft im eigenen Land eine Aufbruchstimmung und Zuversicht«, hieß es in einer Mitteilung von Bernd Neuendorf, der von einer »der schwierigsten Entscheidungen in meiner bisherigen Amtszeit« sprach. Trotz aller Wertschätzung durch den 62-Jährigen für den Menschen Flick: »Der sportliche Erfolg hat für den DFB aber oberste Priorität. Daher war die Entscheidung unumgänglich.«

Beim nächsten Länderspiel in Dortmund gegen Vize-Weltmeister Frankreich (Dienstag 21 Uhr/ARD) würden Rudi Völler, Hannes Wolf und Sandro Wagner die Nationalelf einmalig betreuen. Auf »Rudi Riese« werden sich also noch einmal die Blicke richten, denn noch immer genießt der 63-Jährige in der Öffentlichkeit den mit Abstand größten Kredit. Ansonsten aber ist vieles unter dem DFB-Dach im Argen: Am Sitz des größten deutschen Autobauers stellte sich sogar die ganze große Sinnfrage: Ist die Fußball-Nationalmannschaft vielleicht sogar gerade das Spiegelbild dafür, wie der Anschluss in vielen Bereichen an die Weltspitze verloren geht?

Die gellenden Pfiffe für die Demontage des vierfachen Weltmeisters gaben Zeugnis für die Endzeitstimmung, die sich neun Monate vor der Heim-EM wie Mehltau über das entzauberte Aushängeschild gelegt hat. Flicks Team verlor gegen Polen, Kolumbien und Japan mit Ansage: vorne festrennen, hinten stolpern und am Ende verdient verlieren. Der schon ohne Kompass durch die katarische Wüste irrende Bundestrainer ist der erste in der langen Historie, der rausgeworden wird. Ohne den tüchtigen Torhüter Marc-André ter Stegen hätte es ja die höchste Heimniederlage seit einem denkwürdigen 1:5 gegen England im Münchner Olympiastadion 2001 gegeben.

Teamchef war damals jener Völler, der nun noch einmal für ein Spiel auf die Trainerbank zurückkehrt. Der Volkstribun hatte am Sonntagvormittag bei strahlendem Sonnenschein zu einem öffentlichen Training knapp 2500 Fans begrüßt. »Selbstverständlich, dass wir uns hier stellen«, rief Völler, während Flick beim Autogrammeschreiben versprach: »Ich fighte weiter!« Doch den Kampf konnte der 58-Jährige da gar nicht mehr gewinnen. Selbst Völler hatte sich so »schockiert« gezeigt, dass er in der Nacht keine Jobgarantie für den Bundestrainer mehr aussprach. Nach der fürchterlichen Lektion vom Mittellandkanal behauptete Flick noch in Verkennung der Realitäten: »Ich finde, ich bin der richtige Trainer.« Ein typischer Trugschluss.

Man müsse verstehen, dass »Japan toll ausgebildete Fußballer haben – sie haben die Basics drauf.« Und seine beim FC Barcelona oder FC Arsenal, FC Bayern und Borussia Dortmund angestellten Stars nicht mehr? Es sind auch solche sonderbaren Erklärungen, die den der floskelhaften Rhetorik überführten Bundestrainer selbst im Verband isolierten. Die Öffentlichkeit hatte ohnehin längst vom Flick-Werk genug.

Mehrere Optionen werden dem Vernehmen nach im Verband diskutiert, der zeitnah die Nachfolge regeln will: Am wahrscheinlichsten ist, dass Matthias Sammer bis zur EM übernehmen soll – auch wenn der als Berater bei Borussia Dortmund eingebundene »Feuerkopf« seit fast zwei Jahrzehnten kein Team mehr trainiert hat. Danach würde sich der DFB ernsthaft um Jürgen Klopp bemühen, der bis 2026 an den FC Liverpool gebunden ist.

Wenn sich solche Pläne nicht realisieren ließen – beide würde Watzke maßgeblich über sein (BVB)-Netzwerk vorantreiben – könnte ab 2024 auch Ralf Rangnick zum Thema werden, der erst einmal Österreich zur EM nach Deutschland führen will. Den schwäbischen Projektleiter wollte vor zwei Jahren der machthungrige Ex-Direktor Oliver Bierhoff nicht holen. Sofort verfügbar wäre Julian Nagelsmann, nach seiner Freistellung beim FC Bayern ohne Anstellung. Intern macht als letzte Option noch ein Notfallplan mit dem beim Hamburger SV eingebundenen Menschenfänger Horst Hrubesch die Runde. Und wie wäre es mal mit einem Blick über die Landesgrenzen?

Neuendorf und Watzke haben nach der WM den Schnitt versäumt. Die zuletzt über den Kinderfußball streitenden Bosse von DFB und DFL verfolgten mit versteinerten Mienen, wie die taktisch und technisch perfekt aufeinander abgestimmten Gäste aus Fernost die fast lächerliche deutsche Abwehrhaltung bestraften. Tief verunsichert ist eine Mannschaft, der es an Haltung und Zusammenhalt, Autorität und Automatismen mangelt.

»Es ist offensichtlich, dass wir gerade nicht gut genug sind, vielleicht denken wir auch, dass wir besser sind, als wir eigentlich sind«, sagte Ilkay Gündogan. Der neue Kapitän leitete aus dem fatalen Trend folgerichtig ab: »Irgendwann liegen Anspruch und Realität so weit voneinander entfernt, dass man akzeptieren muss, dass man gerade nicht gut genug ist.« Der 32-Jährige ist nur einer von vielen internationalen Topkräften, die im Trikot mit dem Bundesadler zum Mitläufer verzwergen. Der degradierte Joshua Kimmich merkte an, dass »wir seit der WM kein gutes Spiel gemacht haben«. Nach seinem 80. Länderspiel als Rechtsverteidiger wirkte der 28-Jährige schwer genervt: »Wir sprechen immer nur darüber, dass wir sehr viel Qualität haben, aber wir sehen sie nicht.« Nun wird es als Konsequenz bei der USA-Reise im Oktober einen neuen Bundestrainer zu sehen geben.

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