Nord- und Ostsee: Die meisten Fischbestände erholen sich

Beim Deutschen Fischereitag in Erfurt stellt sich die Branche vor allem als Krisenopfer dar

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die vergangenen fünf Jahre waren für den Ostseehering die historisch schlechtesten Jahre«, sagt Karoline Schacht, Fischereiexpertin beim Umweltverband WWF. Und der Dorschbestand in der westlichen Ostsee sei in den vergangenen Jahren »gänzlich kollabiert«. Fisch von heimischen Kuttern sei mittlerweile eine Rarität. Von den kulinarisch beliebtesten Meerestieren wie Seelachs, Thunfisch oder Garnelen werden etwa 80 Prozent importiert. Und aus der Ost- und Nordsee findet sich kaum noch etwas auf dem Fischbrötchen, das den Badegästen angeboten wird. »Wenn wir weiterhin lokalen Wildfisch essen wollen, müssen wir seine Lebensbedingungen dringend verbessern«, meint die WWF-Expertin.

Das sehen Berufsfischer nicht anders. Der Deutsche Fischereitag, der seit Dienstag in Erfurt stattfindet, sei ein guter Anlass, um nachzuschauen, wie es den Beständen vor der Haustür gehe, heißt es vom ausrichtenden Deutschen Fischerei-Verband. Dabei waren die meisten Bestände, die für die EU von Interesse waren, noch im Jahr 2003 stark überfischt. Seither ist die »fischereiliche« Sterblichkeit erheblich gesunken: Die Biomasse der Fischbestände stieg nach Angaben der EU-Kommission um 39 Prozent. »Der Alarmismus der Umweltverbände hat sich als vollkommen überzogen erwiesen«, tönt die Organisation der deutschen Kutter- und Küstenfischer.

Das Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven weist hingegen darauf hin, dass die Biomasse von vielen Beständen durch das Absenken der Fangquoten und die daraus resultierenden Einschränkungen der Fischerei einen positiven Trend zeige. Die Spannbreite sei jedoch groß und für einige Bestände auch negativ, etwa für den beliebten Kabeljau in der Nordsee. So zeigen neue Daten des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock, dass erhöhte Wassertemperaturen, ein zu hoher Nährstoffeintrag infolge von Überdüngung und zu viele Schadstoffe als Probleme hinzukommen.

Die staatlichen Thünen-Institute gehören dem Internationalen Rat für Meeresforschung an, der jedes Jahr seine wissenschaftlich begründete Einschätzung zum Zustand der Fischbestände im Nordostatlantik veröffentlicht, zu dem auch die Ostsee zählt. Daraus werden »nachhaltige Fangquoten« für das kommende Jahr errechnet. Diese weitgehend anerkannten Quoten gehen dann in den politischen Prozess ein – und werden von den Fischereiministerien üblicherweise verwässert. In vielen EU-Ländern gilt die Fischerei als systemrelevant. Noch 2022 lag daher ein Drittel der Quoten-Entscheidungen über den Empfehlungen des Rats, kritisiert der WWF. Ende Oktober werden die Minister die neuen Quoten festlegen.

Auf dem dreitägigen Verbandstag in Erfurt versuchen 200 Teilnehmer aus Politik, Verwaltung und der gesamten Fischerei eine Lagebewertung auch jenseits der Quotenfrage. Wirtschaftlich sehen sich die Berufsfischer auf einer Irrfahrt. Die Kutterfischer in Nord- und Ostsee – industrielle Hochseefischerei spielt in Deutschland kaum eine Rolle – sehen sich nach wie vor durch die enorm gestiegenen Treibstoffkosten in ihrer Existenz gefährdet. In der Ostsee lässt die Bestandssituation »keine auskömmliche Fischerei« mehr zu. Ein planloser Strukturwandel laufe. So habe das bedeutsame Fischwerk »Euro Baltic« auf Rügen bereits aus Mangel an Rohware die Produktion eingestellt. Hinzu kommen die negativen Folgen des Brexits.

Hoffnung bereitet der Branche hingegen die Versteigerung von Windparkflächen in Nord- und Ostsee. Die Bundesnetzagentur will aus den Einnahmen etwa 600 Millionen Euro für Meeresschutz und umweltschonende Fischerei bereitstellen. Diese Mittel sollen beispielsweise eine »energetische Transformation« der Flotte ermöglichen, etwa durch eine Umrüstung auf umweltverträglichere Antriebe. Hoffnungen der Fischer ruhen auch auf dem neuen »Leitbild«, welches der grüne Fischereiminister Cem Özdemir bis Weihnachten vorlegen will. Er hatte eine Expertenkommission beauftragt, »eine nachhaltige und zukunftsfeste Perspektive für die deutsche Ostseefischerei zu entwickeln und konkrete Maßnahmen zur politischen Umsetzung vorzuschlagen«.

Derweil überraschte Fischereiverbandschef Gero Hocker in seiner Eröffnungsrede in Erfurt mit dem Hinweis, mehr Fisch müsse auf die Tische der Verbraucher. »Besonderes Anliegen des Verbandes ist die zukünftige Rolle von Fisch in der klimagerechten Ernährung der Menschheit.« Diese Proteinquelle sei nicht nur gesund, sondern auch das tierisch erzeugte Lebensmittel mit dem geringsten CO2-Fußabdruck. Und keine andere Gruppe von Lebensmitteln könne so viele ökozertifizierte Produkte ausweisen. Über 60 Prozent der gefangenen Fische seien mit dem Nachhaltigkeitssiegel des MSC zertifiziert, welches Umweltverbände aufgrund der laxen Kriterien freilich nicht gerade für den Goldstandard halten.

Branchenverbandschef Hocker geht sogar so weit, Fischerei und Aquakultur bei einem wirksamen Klimaschutz zum »Teil der Lösung« zu erklären. Er verweist dabei auf eine Studie der EAT-Lancet-Kommission von 2019, in der 37 Wissenschaftler erstmals globale Ziele für eine gesunde und umweltverträgliche Ernährung formulierten. Darin wird allerdings lediglich ein »moderater« Konsum von Fisch von 28 Gramm pro Tag empfohlen.

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