Berlin Art Week: Gucci und Metaphysik

Die Berlin Art Week ist in vollem Gange – Kunst anschauen kann man später

Die schreiende Farbe und der große Schriftzug brechen hier mit dem eigenen Image – ist Prada doch die Silvia Bovenschen unter den Modelabels.
Die schreiende Farbe und der große Schriftzug brechen hier mit dem eigenen Image – ist Prada doch die Silvia Bovenschen unter den Modelabels.

Ausstellungseröffnungen besucht man bekanntlich nicht, um sich Kunst anzuschauen – dafür ist es meist sowieso viel zu voll. Statt also genervt zu sein, weil ständig jemand »durchs Bild läuft«, empfiehlt es sich, die Leute um einen herum zu studieren, deren Outfits, Gesichter und Gebaren.

So derzeit auch auf der Berlin Art Week, die noch bis Sonntag jede Menge Vernissagen und andere Veranstaltungen im Programm hat. Künstlerinnen, vor allem aber Kuratorinnen, Kunststudenten, Galeristen und nicht zuletzt Kunstjournalistinnen ist die Mode sehr wichtig. Das muss nicht verwundern, schließlich gehört das Hantieren mit Stilen und Referenzen zu ihrem Beruf, wenn es nicht gar ihre Kernkompetenz darstellt. Das gilt für die Stoffe am eigenen Körper meist ebenso wie für die Leinwand oder die Installation.

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Am Mittwochabend vor dem Schinkel Pavillon in Berlin-Mitte, wo die Ausstellung »Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit. Künstlerische Zeugnisse von Krieg und Repression« eröffnete, ließ sich in dieser Hinsicht Folgendes observieren: Die Jugend trägt noch immer Vokuhila oder lässt ihn gerade rauswachsen; männliche Körper in weiblich konnotierter Kleidung sind den meisten keinen zweiten Blick mehr wert (was ohne Frage als Fortschritt zu werten ist); weiße Hosen zu weißen Hemden oder T-Shirts ergeben nach wie vor einen zeitlosen »clean look« für diejenigen, die die wiederkehrende Erfahrung mit dem leeren Blatt Papier oder der Leinwand nach außen tragen wollen; Prada und Gucci dominieren auf dem Gebiet der Taschen und Rucksäcke: Für die Jüngeren und/oder Unangepassten vintage oder gleich fake – schließlich ist Authentizität in der Postmoderne eh für die Katz –, für die Arrivierten aus der Boutique am Ku’damm oder den Champs-Elysées.

Die Galeristin erkennt man am steifen dunkelblauen knöchellangen Trenchcoat, dem sanftroten Lippenstift und dem souveränen Gestus; den Künstler am längeren Bart und den Salomon-Trekking-Schuhen, das Paar für 180 Euro, und der Kippe im Mund. Manch einer gedenkt auch Woody Allens Karriere mit stark gerahmter Brille, weiten Tweed-Hosen und Basecap – ein klassischer Look, eigentlich selbst als Retro-Zitat schon ein wenig altbacken, und vielleicht deshalb ganz charmant.

Und die Kunst? Unter dem Alexander-Kluge-Filmtitel werden im Pavillon Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus den 1930er und 1940er Jahren sowie der Gegenwart präsentiert. Sie alle verbinde, so behauptet der kuratorische Text an der Wand, »das Durchleben der Katastrophe als ein außergeschichtliches, universelles Ereignis«. Und deshalb geht es hier auch nicht um das Widerspiegeln bestimmter Kriegserfahrungen, sondern um die allgemeine Kriegserfahrung als »metaphysisch« begriffenes Phänomen. Trägt dieser Ansatz? Sicherlich haben etwa Käthe Kollwitz mit ihrer Skulptur »Frau mit Kind im Schoß« (1911–1937) oder Johanna Schütz-Wolff mit ihrem Teppich »Der Tote« (1930) – beide Werke sind im oktogonalen Obergeschoss des Gebäudes zu sehen – nicht nur konkrete Ereignisse verbildlichen, sondern auch eine universale menschliche (Kriegs-)Erfahrung ausdrücken wollen. Doch »metaphysisch« kann hier kaum der richtige Begriff sein, da dieser »über die Erfahrung hinausgehend« meint. Etwas Übersinnliches und damit Unverhinderbares sind Kriege und damit einhergehendes Leid nämlich gerade nicht, sondern das Resultat menschlichen Versagens. Wenngleich die Rahmung also etwas unpassend erscheint – einige der ausgestellten Kunstwerke sind zweifellos sehenswert.

Dass die Ausstellung insgesamt recht karg ist – keine Seltenheit im Schinkel Pavillon –, muss die Vernissage-Besucher nicht allzu sehr stören, haben sie ja keinen Eintritt gezahlt. Erst einmal prüfen, ob sich ein späterer Besuch überhaupt lohnen könnte oder nicht: Das ist, nach dem Modereport und den oft kostenlosen alkoholischen Getränken, wohl der beste Grund für den Besuch von Ausstellungseröffnungen.

Berlin Art Week, bis zum 17. September, Programm unter www.berlinartweek.de

»Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit. Künstlerische Zeugnisse von Krieg und Repression«, bis zum 7. Januar, Schinkel Pavillon, Berlin

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