Helikopter ante portas

Millennial-Mütter sind begeistert von ihren Nachkommen. Gedämpfter ist indes die Freude über die Ehemänner

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 4 Min.
Millennial-Moms orten ihren Nachwuchs gern über GPS.
Millennial-Moms orten ihren Nachwuchs gern über GPS.

Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,

Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

wissen Sie, wer mir so richtig auf die Nerven geht? Andere Mütter! Nein, nicht Ihre! Nur die Millennial-Mamis, die dauernd und grundlos mit ihren Kindern angeben, analog und digital. So behauptete eine Mandy schon im Babykurs, ihre Kleine (nennen wir sie Sandy) könne sich mit Namen vorstellen. Mit zwei Jahren sprach das Kind angeblich volle Sätze. Als Dreijährige konnte Sandy dann ihrer Mutter zufolge schreiben – für all diese Aussagen hatte ich nie eine Real-Life-Bestätigung. Als sie fünf wurde, erwartete ich einen Ehrendoktor von der Standford-Uni. Aber auf Social Media dominieren nun Sandys jüngere Geschwister.

Eine andere Mutti teilte auf Facebook mit, ihre Sechsjährige sei in einen »fortgeschrittenen« Ballettkurs »promoted« worden. Ballett ist eine hochkomplexe Kunstform, deren eigentliches Erlernen erst mit ca. zehn Jahren beginnt und das auch nur an bestimmten Schulen. Das, was ihre Kleine treibt, nennt man gemeinhin Pillepalle. Aber das wollte die überambitionierte Mutter sicher nicht hören; also tat ich, was sich gehört, ich likte. Eine andere behauptete, ihre Fünfjährige sei so gut in Mathe, dass sie Spezialunterricht für Mathegenies benötige. Astronautin wolle das Kind werden und sie würde sie natürlich dabei unterstützen. Ich likte diese Aussage analog, indem ich nickte. Manch Fünfjährige will Prinzessin werden. Später beschwert sie sich öffentlich bei Oprah und gibt den Titel ab.

Meine Generation trieft nur so vor Stolz auf ihre Nachkommen. Auch ich bin stolz auf meine Tochter, doch Muttersein bedeutet nicht nur Stolz, sondern auch Angst, Scham, Zweifel, finanziellen Abstieg, ständige Erkältungen, familiäre Querelen, ein von innen komplett verdrecktes Auto; dass man nie wieder die Musik hören darf, die man mag, darüber streiten muss, wer die beste Disney-Prinzessin ist, das feudale System auf ewig verdammt. Wer nur von den positiven Aspekten des Mutterseins spricht und diese dann auch noch stark ausschmückt, verurteilt seine Kinder und sich zum Scheitern. Daher kritisiere ich lieber weiter und scheitere nie.

Auf die Angeberei folgt die Verurteilung. Meine Tochter solle zu Hause zweisprachig aufwachsen, belehrten mich alle (ich wurde in Russland geboren, mein Mann ist Deutscher). Als ich mich auf Deutsch beschränkte, zeigten sich viele enttäuscht. »Kinder saugen Sprachen wie Schwämme auf«, sagte Mandy rechthaberisch. Ihre Kinder sprechen nur Englisch, obwohl ihr Mann aus einem anderen Land stammt, aber Väter müssen ihre Muttersprache nach der Millennial-Mom-Logik offenbar nicht weitergeben. Und wenn die »Schwämme« so saugfähig sind, warum kenne ich dann in der bilingualen Community so viele Kinder, die Verzögerungen in der Sprachentwicklung aufweisen oder nie in der Muttersprache antworten, obwohl sie alles verstehen? Darüber wird nicht gepostet!

Auf die Verurteilung folgt die Verschwörungstheorie. Eine Olga teilte letztens ein Meme über »die wahren Krankheitsgründe« von Kindern: Impfungen und Fast Food! »Mein Kleinkind wird nie krank«, schrieb sie stolz. Warte, bis das ungeimpfte Viech in die Kita kommt! Und hör selbst auf, in schlechten Raststätten zu essen, denn Facebook sieht alles (auch ich bin manchmal eine verurteilende Mutti).

Und dann haben Millennial-Mütter einen enormen Hang zum Helikopterverhalten. Ich wollte mich nur mal informieren, wie man Geräte und Kanäle kindersicher macht, und trat – ein grober Fehler – einer entsprechenden Facebook-Gruppe bei. Darin erfuhr ich, qua Internet, dass das Internet der Antichrist sei. Auch erfuhr ich äußerst intime Details über das Online-Leben der Teenagerkinder der postenden Mamis, die der Privatsphäre keinen offenen Tab überlassen. Vor zwanzig Jahren selbst ekelerregendes Zeug im MSN-Messenger teilen und in Wäldern kiffen und kotzen, aber nun Tracking-Geräte in den Rucksäcken ihrer Kinder verstecken wollen – auch das ist Gen Y.

Ich spreche am liebsten gar nicht mehr über Erziehung und wechsle das Thema: »Was macht dein Mann?« frage ich dann. Interessanterweise wird nicht mehr angegeben, sondern gemeckert. Das höre ich mir gern an: Kein Astronaut, kein Prinz? Dislike!

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