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Ampel-Ruhe bei der Klimapolitik
Mit einer Gesetzesreform werden nachholende Maßnahmen zur CO2-Minderung über Jahre verzögert
Als im Dezember 2019 das Klimaschutzgesetz in Kraft trat, frohlockte Svenja Schulze, damals Umwelt- und heute Entwicklungsministerin: »Ab jetzt sind alle Ministerien Klimaschutzministerien.« Das Gesetz mache die CO2-Reduktion »für alle verbindlich«. Zur ziemlich umstrittenen Reform »ihres« Klimagesetzes, über die der Bundestag ab diesem Freitag berät, hat die SPD-Ministerin bisher öffentlich nichts gesagt. Dabei ist Streit programmiert, vor allem um die Regelung, die Schulze einst so lobte: die unmittelbare Verantwortung der Ministerien.
Für sechs Bereiche – Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfall – listet das Gesetz bisher auf, wie viel Treibhausgas jedes in jedem Jahr bis 2030 ausstoßen darf. Wird das Limit nachweislich gerissen, hat das zuständige Ministerium bisher innerhalb von gut einem halben Jahr ein Sofortprogramm vorzulegen, um die Überziehung auszugleichen. Diese Nachsteuerung soll künftig zeitlich gedehnt werden, sogar ziemlich weit: Überzieht Deutschland in zwei aufeinanderfolgenden Jahren die erlaubte Gesamtmenge an Klimaemissionen, wird eine Zielverfehlung festgestellt. Die Regierung muss dann erst zum Ende des dritten Jahres ein angepasstes Programm vorlegen, mit dem sich die gesetzlichen Klimaziele einhalten lassen. Für die Ampel könnte das einen famosen Zeitplan ergeben: Wird 2024 und 2025 das Klimabudget überzogen, muss erst mal gar nichts passieren. Erst Ende 2026 müsste ein verschärftes Klimaschutzprogramm vorliegen, das dann ab 2027 wirkt.
Regulär wird im Herbst 2025 der nächste Bundestag gewählt. Bis dahin verschafft sich die Ampel mit der Neuregelung also Ruhe bei der Klimapolitik. Allerdings verstreicht auch wieder Zeit ungenutzt: »Es besteht die Gefahr, dass die Nachsteuerung so verzögert erfolgt, dass der nötige Klimapfad für 2030 nicht mehr zu erreichen ist«, kritisiert Michael Kalis vom Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität den Gesetzentwurf (Ikem). Der Jurist ist Mitautor einer jetzt veröffentlichten Studie zur Wirkung des Klimaschutzgesetzes, in Auftrag gegeben vom zivilgesellschaftlichen Bündnis Klima-Allianz Deutschland.
Rein formal stehen die sechs Sektorziele weiter im Gesetz. Der zuletzt oft zu hörende Vorwurf, die Ziele für die einzelnen Ressorts würden abgeschafft, entspricht also nicht ganz den Tatsachen. Als Maßstab, ob die Klimaziele erreicht werden, soll künftig aber nur noch der jährliche Gesamtausstoß zählen. Entsprechend können die Emissionen der sechs Bereiche munter miteinander verrechnet werden – in der Annahme, dass irgendwo mehr CO2 eingespart wird und sich damit Überziehungen in anderen Sektoren ausgleichen lassen.
Den Weg, die einzelnen Ressorts so aus der Verantwortung zu nehmen, hält Stefanie Langkamp, Politikchefin der Klima-Allianz, für fatal: »Wir erleben schon jetzt einen Verschiebebahnhof, weil sich niemand mehr verantwortlich fühlt, etwas vorzulegen«, sagt sie. Auch Rechtsanwalt Remo Klinger, der 2021 das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimagesetz mit erstritten hat, prangert die Entwertung der Sektorziele an. Für ihn setzt die Ampel künftig quasi auf eine »kollektive« Verantwortung der Regierung beim Klimaschutz.
Dies ist laut Klinger nicht per se verfassungswidrig, was jedoch eindeutig für einen anderen Umstand gilt, der das Zusammenspiel von Klimaschutzgesetz und Klimaschutzprogramm betrifft. Während das Gesetz eine rechtliche Hülle ist, schreibt das Programm konkret vor, mit welcher Maßnahme wie viel an Treibhausgasen vermieden wird, um die Klimaziele einzuhalten. Und da hat die Ampel schon mit ihrem im Sommer vorgelegten Programm ein Riesenproblem. Denn trotz all der darin festgehaltenen Maßnahmen werden laut Umweltbundesamt die erlaubten Gesamtemissionen bis 2030 um 200 bis 330 Millionen Tonnen CO2 überzogen. Diese müssten dann in den Jahren 2027 bis 2030 zusätzlich gemindert werden. Doch dies ist laut Remo Klinger illusorisch, außer es werde hart in die Freiheitsrechte der Bürger eingegriffen. Dies jedoch wäre gemäß dem Karlsruher Urteil von 2021 eindeutig rechtswidrig. Klinger rechnet sich deswegen bei den laufenden Klagen etwa der Deutschen Umwelthilfe gegen das geänderte Klimaschutzgesetz Chancen aus.
Weil die Zeit für echten Klimaschutz immer knapper wird, schlägt die Ikem-Studie auch vor, den Gerichtsweg für Klimaklagen abzukürzen. Dazu solle beim Verfassungsgericht eine Kontrollinstanz geschaffen werden, an die sich auch Verbände wenden können. Stärken wollen die Forscher auch die Stellung des Expertenrats für Klimafragen. »Derzeit gibt es keinen ernsthaften Dialog zwischen dem Gremium und der Bundesregierung«, merkt Michael Kalis an. Künftig solle der Expertenrat nicht nur, wie in der Gesetzesnovelle geplant, CO2-Minderungsmaßnahmen vorschlagen können, die Regierung müsse dann auch offenlegen und begründen, wenn sie Vorschläge ablehne. Und will die Ampel künftig im »Kollektiv« Klimaschutz betreiben, braucht es offensichtlich auch mehr Abstimmung und Führung von oben. Die Ikem-Forscher schlagen deswegen vor, eine Klimaschutz-Koordinierungsstelle im Bundeskanzleramt einzurichten. Dieses soll zum besten Klimaschützer des Landes werden – passend zu einem Regierungschef, der sich selbst zum Klimakanzler erklärt hat.
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