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Mord an Yeboah: Neonazistisches Fanal oder unpolitische Tat?

32 Jahre nach der Tat steht der Mörder des Geflüchteten Samuel Yeboah vor Gericht

  • Joachim F. Tornau, Koblenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor einer Woche war wieder einmal der Jahrestag, der 32. ist es mittlerweile. Am frühen Morgen des 19. September 1991 starb Samuel Yeboah, 27 Jahre alt und geflüchtet aus Ghana, bei einem rassistischen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Saarlouis. Jahrzehntelang blieb dieser Mord der neonazistischen »Baseballschlägerjahre« unaufgeklärt, bis vor Kurzem mochte man in der saarländischen Kleinstadt und der Saarbrücker Landespolitik nicht einmal von Rassismus sprechen. Doch jetzt, sehr spät, ist eine Sühne in greifbare Nähe gerückt.

Nach 45 Verhandlungstagen vor dem Oberlandesgericht in Koblenz forderte die Bundesanwaltschaft, den früheren Neonazi-Skinhead Peter Werner S. zu einer Jugendstrafe von neuneinhalb Jahren zu verurteilen. »Es steht fest, dass der Angeklagte den Brand gelegt hat«, sagte Staatsanwältin Sophie Gößl. Daran könnten »keine vernünftigen Zweifel« mehr bestehen.

Der heute 52-Jährige, der weit über die Neunzigerjahre hinaus zu den Aktivposten der rechtsextremen Szene von Saarlouis zählte und sich nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft bis heute nicht von seiner menschenfeindlichen Gesinnung abgewandt hat, war bei der Tat noch Heranwachsender und soll nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Statt lebenslanger Haft drohen ihm darum maximal zehn Jahre hinter Gittern.

Diese Obergrenze aber möchte die Bundesanwaltschaft nahezu ausreizen – trotz der langen Zeit, die seit der Tat vergangen ist, trotz der halbherzigen Ermittlungen der Polizei, die Peter Werner S. das Davonkommen nach dem Anschlag nicht eben schwer machten, wie der Prozess ein ums andere Mal erschütternd deutlich gemacht hat. Erst als sich 2019 überraschend eine Zeugin bei der Polizei meldete und erzählte, dass sich der Angeklagte ihr gegenüber mit der Tat gebrüstet habe, war ernsthaft ermittelt worden.

Das Geständnis, das Peter Werner S. am 25. Verhandlungstag nach anfänglichem Leugnen abgelegt hatte, sei »nichts wert«, befand Oberstaatsanwalt Malte Merz. »Wer glaubt, der Angeklagte hätte eine Art Lebensbeichte ablegen wollen, sieht sich getäuscht.« Der Ex-Skinhead hatte nicht nur einen anderen damaligen Szene-Angehörigen beschuldigt und sich selbst als bloßen Mitläufer bei der Tat dargestellt, er hatte zugleich offensiv versucht, seinen Freund Peter St., den unangefochtenen Anführer der Saarlouiser Neonazis, von jedem Verdacht reinzuwaschen. Beides hält die Anklagebehörde für gelogen.

Sie geht davon aus, dass Peter Werner S. als Einzeltäter gehandelt hat, aber am Vorabend des Anschlags vom Kameradschaftsführer aufgestachelt wurde. Peter S., heute 54 Jahre alt, sitzt deshalb seit gut drei Monaten ebenfalls in Untersuchungshaft. Und in weiten Teilen klang das Plädoyer der Bundesanwaltschaft so, als läge die Anklage gegen ihn bereits fertig in der Schublade.

Die Verteidigung dagegen findet: Jenseits der Einlassung ihres Mandanten habe der Prozess nichts Greifbares erbracht. »Diese Lücken werden von der Bundesanwaltschaft mit Spekulationen gefüllt«, sagte Rechtsanwalt Guido Britz. Die Darstellung von Peter Werner S. sei nicht zu widerlegen, er dürfe deshalb lediglich wegen Beihilfe verurteilt werden zu einer Jugendstrafe von viereinhalb Jahren.

Die Verteidigung bestritt, dass der Angeklagte aus rassistischer Motivation gehandelt hat. »Es ist nicht zulässig, den Anschlag mit Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen in eine Reihe rechter Gewalt zu stellen«, behauptete Britz – und sein Co-Verteidiger Kai-Daniel Weil erklärte, dass hinter der Tat allein die »Suche nach Anerkennung und Zusammenhalt« gesteckt habe. »Er wollte gefallen, bekundete Zustimmung, lief mit.« Der junge Mann aus schwierigen Verhältnissen sei damals noch gar kein überzeugter Neonazi gewesen, sondern »gewissermaßen zufällig« in der rechten Szene gelandet, auf der Suche nach einer »Ersatzfamilie«.

Bei den Nebenklageanwält*innen, die Überlebende des Brandanschlags vertreten, sorgte dieser Versuch einer Entpolitisierung für blankes Entsetzen. »Ich bin ehrlich erschüttert«, sagte Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk. »Man entscheidet sich nicht aus Zufall für eine mörderische, menschenfeindliche Ideologie.« Ihr Kollege Björn Elberling zeigte sich überzeugt, dass der Angeklagte – anders als von der Bundesanwaltschaft angenommen – den Tod von Samuel Yeboah und aller Bewohner der Geflüchtetenunterkunft nicht nur billigend in Kauf genommen habe: »Er ging planvoll so vor, möglichst viele Menschen zu töten.«

Um ein »Fanal« sei es gegangen, sagte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann. Um ein Zeichen, dass Nicht-Deutsche kein Lebensrecht hätten. Das hatte auch Oberstaatsanwalt Merz ganz ähnlich gesehen: Der Neonazi habe mit seinem heimtückischen Mord die weitverbreitete flüchtlingsfeindliche Stimmung in den frühen Neunzigerjahren weiter anheizen wollen.

Das Urteil soll am 9. Oktober verkündet werden.

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