Baugewerbe in Krisenstimmung

Der Rückgang im Wohnungsbereich hat Folgen für die Gesamtwirtschaft. Nur der Staat kann gegensteuern

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Anstieg der Zinsen und der Baukosten macht der Immobilienwirtschaft schwer zu schaffen. Schärfere Kreditbedingungen der Banken und die jüngste Pleitewelle unter Projektentwicklern dämpfen die Stimmung zusätzlich. Im Juli brach dann auch noch die Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen im Jahresvergleich um 31,5 Prozent ein. Doch so dramatisch sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt entwickelt, dieser ist nur ein Teil der Bauwirtschaft.

Im vergangenen Jahr trug das Baugewerbe insgesamt sechs Prozent zum deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei, heißt es beim Hauptverband der Branche. Darin enthalten sind Investitionen von Unternehmen und vom Staat in den Hoch- und Tiefbau etwa für neue U-Bahnlinien, in den Bau von Straßen und in den Spezialbau. Hinzu kommen Leistungen des sogenannten Ausbaugewerbes, in dem vor allem Handwerker tätig sind. Die Abgrenzungen innerhalb des Wirtschaftszweiges und gegenüber anderen Branchen sind freilich unscharf. Klar ist aber, dass das Baugewerbe starke Auswirkungen auf vor- und nachgelagerte Branchen hat und eine Baukrise erhebliche Folgen für die Gesamtwirtschaft fürchten lässt.

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Eine Leuchtturmfunktion kommt dabei dem öffentlichen Bau zu, der von staatlichen Aufträgen und damit der finanzpolitischen Großwetterlage abhängig ist. So ruhen große Hoffnungen des Baugewerbes auf den geplanten Streckensanierungen der Bahn. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will die Deutsche Bahn AG mit insgesamt fast 40 Milliarden Euro für die Sanierung des Netzes unterstützen. Und während der Neubau von Wohnungen noch immer eher zaghaft gefördert wird, stellt die Bundesregierung einen zweistelligen Milliardenbetrag für die Sanierung von Bestandsgebäuden bereit. Außerdem dürften die Gemeinden ihre Investitionen im Rahmen der Energiewende ausweiten.

Während die Zeichen für den öffentlichen Bau eher auf Grün stehen, ist die Lage des sogenannten Wirtschaftsbaus uneinheitlich: Die Errichtung neuer Logistikimmobilien und anspruchsvoller Industrieprojekte etwa zur Chipproduktion oder für Flüssigerdgas-Terminals an der Küste boomt. Dagegen schwächeln Investitionen in konventionelle Büroneubauten seit der Corona-Pandemie, die neue Arbeitsformen wie das Homeoffice voranbrachte. Der Wirtschaftsbau wiederum leidet unter der schlechten konjunkturellen Entwicklung. Und die hohen Unsicherheiten über die mittel- und langfristige Entwicklung von Zinsen und Energiepreisen dämpfen die Neigung vieler Unternehmen zu investieren. Gut laufen hingegen die Geschäfte mit der Errichtung innovativer Bauten wie das »Roots« in Hamburg, nach seiner Fertigstellung das höchste Holzhochhaus Deutschlands. Das sind bisher aber Nischenbereiche.

Von einer Krise des gesamten Wirtschaftszweiges kann daher noch nicht die Rede sein, wie auch aus den offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamts hervorgeht: Die Bauaktivitäten nahmen im ersten Halbjahr im Vergleich zu 2022 leicht um 1,8 Prozent zu, was insbesondere an der milden Witterung im Frühjahr lag. Im Juli verzeichneten die Aufträge sogar ein Plus von 9,6 Prozent gegenüber dem Vormonat, aufgrund mehrerer Großaufträge im Tiefbau. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung erwartet im Jahresdurchschnitt 2023 jedoch einen Rückgang um 1,2 Prozent. Im kommenden Jahr befürchten auch andere Wirtschaftsforscher ein Minus bei den Bauausgaben von etwa zwei bis drei Prozent.

So schlimm wie in den 1990er Jahren dürfte die Baukrise allerdings nicht ausfallen. Zunächst hatte die Wiedervereinigung zu einem weitgehend aus dem Westen finanzierten exzessiven Bauboom in der früheren DDR geführt. Als sich die von Bundeskanzler Helmut Kohl vorhergesagten blühenden Landschaften dann nicht einstellten, platzte die Blase. Viele Baufirmen und Investoren meldeten Insolvenz an. Seit Mitte der 1990er Jahre ging jeder zweite der rund eine Million Arbeitsplätze im Bauhauptgewerbe verloren. Aktuell verzeichnet das Bauhauptgewerbe 534 000 Beschäftigte. Dazu kommen mehrere Hunderttausend, die im Ausbaugewerbe tätig sind.

Angesichts der Wohnungsbaukrise kommt der öffentlichen Hand zentrale Bedeutung zu. Der 14-Punkte-Maßnahmeplan der Bundesregierung, der auf dem Wohnungsgipfel am Montag verabschiedet wurde, wird von der Bauwirtschaft angesichts der Prognosen der Konjunkturforscher überwiegend als zu klein dimensioniert angesehen. Und die Gewerkschaft IG BAU fordert 50 Milliarden Euro für Sozialwohnungen und weitere Milliarden noch in dieser Legislaturperiode, um einen echten Schub auszulösen.

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