Israel sucht die Saudis

Neue geopolitische Konstellationen im Mittleren Osten – und neue Konflikte, die am Horizont aufziehen

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.
Vor der UN illustriert Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu seinen »Neuen Mittleren Osten« – ohne einen palästinensischen Staat.
Vor der UN illustriert Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu seinen »Neuen Mittleren Osten« – ohne einen palästinensischen Staat.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass offizielle Vertreter Israels sich in Saudi-Arabien mittlerweile die Klinke in die Hand geben, obwohl die beiden Länder nicht mal reguläre diplomatische Beziehungen unterhalten. So weilte diese Woche der israelische Kommunikationsminister Schlomo Karhi zu einem Kongress des Weltpostvereins in Saudi-Arabien, berichteten israelische Medien. Karhi sei mit einer Delegation von insgesamt 14 Israelis unterwegs gewesen.

Ende vergangenen Monats hatte erstmals ein israelischer Minister anlässlich einer UN-Veranstaltung den Golfstaat besucht. Tourismusminister Haim Katz reiste für zwei Tage zu einem Treffen der Welttourismusorganisation ins saudische Königreich, teilte sein Büro mit. Katz wolle sich demnach dafür einsetzen, »die Zusammenarbeit, den Tourismus und die Außenbeziehungen Israels« zu fördern.

Schon vor rund zwei Wochen war erstmals eine offiziell angekündigte israelische Delegation bei einer Unesco-Welterbekomiteesitzung in der saudischen Hauptstadt Riad dabei. »Wir sind glücklich hier zu sein – es ist ein guter erster Schritt«, sagte ein israelischer Vertreter der Nachrichtenagentur AFP. Die fünfköpfige Delegation reiste nach eigenen Angaben über Dubai, weil es keine direkten Flüge zwischen Israel und Saudi-Arabien gibt; ihre Visa erhielten die Delegationsmitglieder über die Unesco. Kurioserweise ist Israel seit 2019 nicht mal mehr Unesco-Mitglied, weil es die Organisation als voreingenommen Israel gegenüber betrachtet, nimmt aber als Beobachter teil.

Jeder spürt und sieht: Es kommt Bewegung in die Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien. Beide Seiten sind offensichtlich daran interessiert, das noch frostige Verhältnis zu entspannen und vielleicht sogar bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu treiben. Kriegsgegner waren die beiden Staaten nie, die saudische Monarchie fühlt sich der palästinensischen Sache verpflichtet – wie, zumindest rhetorisch, alle Staaten in der Arabischen Liga.

Der ehrgeizige saudische Kronprinz Mohammad Bin Salman hatte zuletzt in einem Interview mit dem US-Sender Fox News bestätigt, dass Saudi-Arabien und Israel auf dem Weg einer Normalisierung ihrer Beziehungen sind. »Wir kommen dem jeden Tag näher, es scheint zum ersten Mal etwas wirklich Ernsthaftes zu sein«, sagte der Kronprinz. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einem möglichen Zeitrahmen von »einigen Monaten« für eine Einigung unter US-Vermittlung.

Netanjahu setzt auf einen diplomatischen Durchbruch, der ihm Ruhm in Geschichtsbüchern einbringen würde und seine Korruptionsprozesse vergessen machen könnte. Er träumt von einem neuen Mittleren Osten, in dem Israel trotz seiner geringen Größe eine Großmacht darstellt und von befreundeten arabischen Staaten umgeben ist, mit denen es vor allem wirtschaftliche Beziehungen unterhält. Die Palästinenser sollten Teil des Prozesses sein, aber kein Vetorecht dabei haben, so Netanjahu. Wie das aussehen könnte, ist völlig ungewiss.

Die Frage ist nun, ob der israelische Regierungschef dafür die Unterstützung seiner eigenen rechtsextremen und ultrareligiösen Koalitionspartner hat und auch die Opposition ins Boot holen kann. Anfang September hatten führende Oppositionsvertreter erklärt, dass sie ein Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien unterstützen würden, wenn es die nationalen und sicherheitspolitischen Interessen des Landes wahre.

Großes Interesse an einer Einigung Israels und Saudi-Arabiens haben die USA, die quasi als eine Art Patron ihre schützende Hand über die Verhandlungen halten. Alle Seiten hätten »einen grundlegenden Rahmen für das, was wir vielleicht erreichen können, ausgearbeitet«, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, jüngst vor Journalisten. Doch wie bei jeder »komplexen Vereinbarung, die es unweigerlich geben wird«, werde »jeder« etwas beitragen müssen. Jeder werde »bei einigen Dingen Kompromisse eingehen müssen«.

Saudi-Arabien ist vor allem an Sicherheitsgarantien durch die USA interessiert und will Unterstützung bei der Nutzung von Nukleartechnik; hierbei soll offenbar auch Israel eingebunden werden. »Die Regierung Biden möchte, dass Israel den amerikanischen Transfer von Nukleartechnologie unterstützt, der es Riad ermöglichen würde, Uran anzureichern, wodurch es eine nukleare Militärfähigkeit erlangen könnte«, schreibt Efraim Inbar, Präsident des Jerusalem Institute for Strategy and Security (JISS), in der Tageszeitung »The Jerusalem Post« vom 4. Oktober. Der JISS-Präsident fürchtet jedoch die Nutzung dieser Technologie für militärische Zwecke und tritt deshalb auf die Bremse, was die Gespräche zwischen Riad und Tel Aviv angeht. »Selbst die strengsten Inspektionen können keine narrensichere Entdeckung gewährleisten, bevor es zu spät ist«, warnt er. Außerdem sei davon auszugehen, dass solch ein Deal einen Wettlauf um Nukleartechnik in der Region lostreten würde.

Für den Iran, Erzfeind Israels und der USA, wäre ein Abkommen zwischen Riad und Tel Aviv das Überschreiten einer roten Linie. Nach den Worten von Irans Präsident Ebrahim Raisi würde eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien einen »Verrat an der palästinensischen Sache« darstellen. Eine Einigung zwischen »Ländern in der Region und dem zionistischen Regime wären ein Dolchstoß in den Rücken des palästinensischen Volkes und des palästinensischen Widerstands«, sagte Raisi am Rande der UN-Generalversammlung vor Journalisten. Konflikte deuten sich also schon an.

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