Die Zukunft is(s)t Kantine

Umstrittene Ernährungsstrategie der Gesundheitsministerin in der Mensa der Universität Potsdam vorgestellt

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war geradezu ein Heimspiel, als Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) am Donnerstag ihre »Ernährungsstrategie Brandenburg« vorstellte. Schauplatz war die Mensa der Universität Potsdam. Die Kantinen für Studierende gelten als Pioniere eines Umdenkens bei der Ernährung.

Hochschulen sind Brückenköpfe des neuen Denkens, des neuen Sprechens und auch des neuen Essens. Es ist jetzt zwar noch nicht so, dass dort der Mittagstisch auf rein pflanzlicher Basis gedeckt wird. Aber im Großen und Ganzen ist dort das durchgesetzt, was heutzutage als »gesundes Essen« angesehen wird. »Jeden Tag gibt es auch ein Fleischgericht«, sagt Michèle Paschke, die Chefin der sieben Mensen des Studentenwerks Potsdam, zur Beruhigung traditioneller Esser. Ein solcher Wandel ist natürlich ganz im Sinne der »Ernährungsstrategie Brandenburg«, mit deren Hilfe Gesundheitsministerin Nonnemacher erreichen will, dass sich die Einwohner des Bundeslandes »nachhaltig, gesund, regional, vielfältig und fair« ernähren. Daher plane sie, Anreize für eine gesunde, ausgewogene Ernährung zu setzen, sagte sie. Gemeinsames Kochen und die Gesellschaft bei der Einnahme der Mahlzeit würden das Wohlbefinden aller Beteiligten fördern. Darüber hinaus werde die Natur geschont. Bei diesem Vorhaben bekam Nonnemacher aber Gegenwind. Das laufe auf ein Verbot der Currywurst hinaus, machte Finanzministerin Katrin Lange (SPD) ihrem Unmut Luft. Auch die Freien Wähler lehnen Verbote ab.

Niemand wolle Essvorschriften machen, beteuerte hingegen die Gesundheitsministerin bei der Impulsveranstaltung »Zukunft der Ernährung gemeinsam gestalten«. Selbstverständlich könne »in einem freien Land jeder essen, was er will«. Es gehe ihr nicht darum, die Currywurst aus den Kantinen zu verbannen. »Wer unsere Anstrengungen darauf reduziert, der verkennt ihre Bedeutung«, setzte sie hinzu. Die Politik dürfe nämlich nicht tatenlos zusehen, wenn immer mehr Menschen durch falsche Ernährung krank oder sogar Pflegefälle würden. »Volkskrankheiten« wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Bluthochdruck haben ihr zufolge nicht selten ihre Ursache in ungesunder Ernährung. Brandenburg liege mit einem Bevölkerungsanteil von 56 Prozent übergewichtigen Menschen »deutlich über dem Bundesdurchschnitt«. Jeder dritte Jugendliche in der zehnten Klasse wiege zu viel, gab Nonnemacher zu bedenken. Vor zehn Jahren waren es knapp 25 Prozent.

In ihrem Maßnahmenpaket »Ernährungsstrategie Brandenburg« weiß Nonnemacher sich einig mit den Ratschlägen der Wissenschaft. Ob nicht ein Verbot der Süßigkeitenautomaten an Schulen, wo die Kinder den Werbestrategien der Hersteller schutzlos ausgeliefert sind, viel wirkungsvoller wäre als die seit Jahrzehnten vergeblich erteilten Ratschläge? Das sei wünschenswert, aber dafür fehlten die Mehrheiten, sagte Nonnemacher.

Fachleute sind sich weitgehend einig, dass Einschränkungen während der Corona-Pandemie etwa beim Vereins- und Schulsport dazu beigetragen haben, dass die Deutschen im Durchschnitt zugenommen haben. Umstritten ist, ob ein völliger Verzicht auf Fleisch wirklich gesund ist. Was eine ausgewogene Ernährung ist, das ist aber lange bekannt. Dicker geworden sind die Deutschen, obwohl sie ihren Fleischkonsum im vergangenen Jahr um durchschnittlich
vier Kilogramm auf 54 Kilogramm abgesenkt haben, wie Staatssekretärin Antje Töpfer sagte. Die Ernährungsstrategie konzentriere sich auf die Kantinen. Denn Großküchen versorgen alltäglich hunderttausende Menschen, hier müsse man ansetzen und könne viel erreichen. Die Staatssekretärin lobte die Studentenwerke für ihre Vorreiterrolle. Für die Umsetzung der Ernährungsstrategie stehen im Landeshaushalt jährlich 600 000 Euro bereit. Viel sei zu tun. Der Deutsche Ernährungsrat empfehle einen maximalen Fleischkonsum von 300 Gramm pro Woche. Derzeit seien es noch 600 Gramm.

»Warum ein Essen auf Rädern, warum nicht ein Auto, das die Menschen zum
gemeinsamen Essen einsammelt«, fragte Rahel Volz vom Brandenburger Ernährungsrat. Nun müsse sich zeigen, ob es mit der Strategie bei schönen Worten bleibe oder sich wirklich etwas ändere. Volz zufolge müsste der ländliche Raum in den Blick genommen werden, wo sehr zäh an überkommenen Vorstellungen vom Essen festgehalten werde.

Die Mensa der Universität Potsdam bot am Donnerstag eine Halb-und-halb-Currywurst aus Schweinefleisch und Gemüse an. Für alle, die auf Fleisch gar nicht verzichten wollen, wird nächstes Jahr bei jedem Essen der »ökologische Fußabtritt« angegeben, also der in der Tierzucht erzeugte CO2-Ausstoß. Das soll Fleischesser zum Umdenken bewegen.

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