Frankreich: Mélenchon bleibt zum Nahostkonflikt zweideutig

Frankreichs Linke streitet über Nahostkonflikt

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Jean-Luc Mélenchon, hier bei einer Demo, streitet mit den anderen Linksparteien über den Umgang mit den Angriffen der Hamas auf Israel.
Jean-Luc Mélenchon, hier bei einer Demo, streitet mit den anderen Linksparteien über den Umgang mit den Angriffen der Hamas auf Israel.

Als die Nationalversammlung in Paris der Opfer des Überfalls der Hamas vom vorangegangenen Wochenende gedachte, erhoben sich die Abgeordneten von Mélenchons Bewegung La France insoumise (LFI) demonstrativ als Letzte. Sie klatschten auch nicht, sondern standen mit verschränkten Armen da. Dass Jean-Luc Mélenchon und die LFI die Hamas-Terroraktion mit der israelischen Besatzungspolitik gegenüber den Palästinensern auf eine Stufe stellten, hat ihnen Kritik von allen Seiten und nicht zuletzt von ihren Partnern im linken Parteienbündnis Nupes eingebracht.

In einem Kommuniqué der LFI-Fraktion hieß es lapidar: »Die bewaffnete Offensive palästinensischer Kräfte unter Führung der Hamas findet vor dem Hintergrund einer Intensivierung der israelischen Besatzungspolitik im Gazastreifen, im Westjordanland und in Ostjerusalem statt.«

Im Gegensatz zu den anderen linken Parteien, die den Überfall auf israelische Orte und Einwohner einhellig verurteilten, setzt sich LFI der Kritik aus, Rechtfertigungen für die opferreiche Aktion zu suchen. So hat es Mélenchon in Interviews sorgfältig vermieden, klar Stellung zu beziehen. Stattdessen erklärte er, dass »all die gegen Israel und in Gaza entfesselte Gewalt nur eines beweist: Gewalt produziert und reproduziert nur sich selbst«. Im Internet ergänzte er zweideutig: »Entsetzt gehen unsere Gedanken und unser Mitgefühl an alle hilflosen Menschen, die Opfer all dieser Ereignisse geworden sind. Ein Waffenstillstand ist dringend geboten.«

Innenpolitische Kommentatoren sehen in der Positionierung einen Zusammenhang zu den Europa- und Präsidentschaftswahlen 2024 und 2027. In diesem Sinne hat sich LFI auch zu den jüngsten gewalttätigen Unruhen in Frankreich eingelassen und die Polizeigewalt dagegen angeprangert. In den davon betroffenen Vorstadt-Wohnsiedlungen leben überproportional viele Franzosen arabischer Herkunft, die mit den Palästinensern solidarisch sind.

Doch angesichts der Welle der Empörung ruderten der LFI-Koordinator, Manuel Bompart, und die Fraktionsvorsitzende Mathilde Panot zurück. Sie räumten ein, dass es sich bei der Ermordung und Geiselnahme von Zivilisten um »Kriegsverbrechen« handele und erklärten, LFI verurteile »Kriegsverbrechen, von wem auch immer sie begangen werden«. Doch so weit, das Vorgehen der Hamas als Terror zu charakterisieren, gingen sie nicht. Sie distanzierten sich auch nicht von einer Erklärung der mit LFI eng verbundenen trotzkistischen »Neuen Antikapitalistischen Partei« (NPA), die erklärt hat: »Wir unterstützen die Palästinenser und die Formen des Kampfes, die sie für ihren Widerstand gewählt haben.«

Gegen diese Position der NPA erhebt die Gruppe »Revolutionäre Juden und Jüdinnen« scharfen Protest. »Wir möchten an eines erinnern: Es gibt keine Rechtfertigung für die absichtliche Tötung von Zivilisten, weder von Israelis noch von Palästinensern«, heißt es in einer Stellungnahme vom Donnerstag. Man könne und solle »die Politik der israelischen Regierung und ihre Verbrechen an den Palästinensern verurteilen, ohne die Kriegsverbrechen der Hamas zu entschuldigen.«

Die Haltung der LFI steht auch im Gegensatz zu den Erklärungen der Parteiführungen der Sozialisten, der Kommunisten und der Grünen. So verurteilte der FKP-Nationalsekretär Fabien Roussel »die Angriffe auf die israelische Zivilbevölkerung«, die »durch nichts zu rechtfertigen« seien. Er warnte vor einem »regionalen Flächenbrand, dessen Opfer wiederum vor allem Zivilisten sein würden« und bezeichnete die ultrarechte Regierung Israels, die die Ausschreitungen der Siedler gegen die Palästinenser deckt, als »in starkem Maße mitschuldig für das, was jetzt geschehen ist«. Beigetragen habe aber auch die »internationale Tatenlosigkeit« – auch die des ständigen Sicherheitsratsmitglieds Frankreich –, da die auf eine Lösung des Nahostkonflikts zielenden UN-Resolutionen nie umgesetzt wurden.

Die Differenzen beim Herangehen an die jüngsten Ereignisse in Israel und dem Gaza-Streifen drohen das linke Parteienbündnis Nupes zu sprengen. Das ist schon stark belastet durch die allgemeine Ablehnung einer durch LFI vorgeschlagenen gemeinsamen Liste zur Europawahl im Juni 2024 unter Führung von Mélenchon oder eines von ihm benannten Kandidaten. Die anderen Parteien in der Nupes wollen lieber mit eigenen Listen antreten. Die Spannungen innerhalb des Bündnisses gehen so weit, dass der PS-Vorsitzende Olivier Faure schon laut über einen Austritt seiner Partei aus Nupes nachdenkt.

Von der Polemik um die zweideutige Haltung von LFI profitiert in starkem Maße das rechtsextreme Rassemblement National (RN). Die Bewegung hat gegenüber dem Dachverband der jüdischen Organisationen in Frankreich CRIF den Hamas-Überfall und die Ermordung und Verschleppung hunderter israelischer Bürger als »Pogrom« bezeichnet und mit viel Nachdruck verurteilt. Damit versucht RN zweifellos, die antisemitische Vergangenheit der durch Marine Le Pens Vater Jean-Marie einst als Front National gegründeten Partei vergessen zu machen und ihre Regierungsfähigkeit zu demonstrieren.

So ist der Schwarze Peter in Frankreichs innenpolitischer Arena von Marine Le Pen zu Jean-Luc Mélenchon gewandert, und die von ihm gegründete und aus dem Hintergrund dirigierte Bewegung La France insoumise wird von Abgeordneten der Regierungspartei Renaissance schon als die derzeit gefährlichste extremistische Gruppierung des Landes abqualifiziert.

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