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Warum das »nd« die Zusammenarbeit mit Karin Leukefeld beendet hat

Eine Antwort auf ein Interview der »Nachdenkseiten« in Sachen »nd«

  • nd-Redaktionsleitung
  • Lesedauer: 7 Min.
Berichterstattung aus dem Nahen Osten: Warum das »nd« die Zusammenarbeit mit Karin Leukefeld beendet hat

Auf den »Nachdenkseiten« wurde ein Interview mit der Journalistin Karin Leukefeld veröffentlicht, in dem sie unter der Überschrift »Vom ursprünglichen Selbstverständnis des Journalismus entfremdet« über ein Schreibverbot im »nd« spricht. Dieses Interview enthält Halb- und Unwahrheiten, die so nicht stehenbleiben können.

Karin Leukefeld hat sehr lange Zeit für unsere Zeitung aus dem arabischen Raum, in den letzten Jahren vor allem aus und über Syrien berichtet, auch mit Hilfe von nd-Recherchezuschüssen. Richtig ist, dass es in der Redaktion immer wieder Kritik an Beiträgen von ihr gab, die ihr vor allem über den zuständigen Fachredakteur auch mitgeteilt wurde. Die Kritik bezieht sich darauf, dass nach Ansicht der Redaktion die Berichte und Einschätzungen von Karin Leukefeld oft einseitig waren und die Schuld und Verantwortung am Syrien-Konflikt fast ausschließlich der westlichen Seite und ihren Unterstützern zugeordnet haben, die Mitverantwortung der Assad-Regierung und ihrer Unterstützer aber weitgehend ausgeblendet haben. Das haben wir ihr in einer ausführlichen Mitteilung mit detaillierter Begründung geschrieben; darin wurde sie auch über den Beschluss der nd-Mitarbeiterversammlung auf Initiative des Redaktionsrats informiert, die Zusammenarbeit mit ihr aus den genannten Gründen zu beenden.

Wir lassen es dahingestellt, wenn uns die »Nachdenkseiten« allen Ernstes im Jahr 2023 einen wieder erwachenden Stalinismus vorwerfen. Aber korrekt zu zitieren, das wäre nicht zu viel verlangt von der »kritischen Website«. Beispielsweise sagt Karin Leukefeld in dem Interview, das »nd« unterstelle ihr, dass sie »den (politischen) Westen für die schlechte wirtschaftliche Lage« in Syrien verantwortlich mache. Das ist falsch. In unserem Schreiben kommen Bemerkungen zur wirtschaftlichen Lage überhaupt nicht vor. Ferner behauptet Karin Leukefeld, das »nd« behaupte, sie würde »Kriegsverbrechen und Interessen« Syriens, Russlands und Irans nicht nennen. Das ist nicht korrekt. Von Kriegsverbrechen ist in dem Schreiben nicht die Rede; tatsächlich heißt es: »Folter und andere Verbrechen durch syrisches Militär und syrische Polizei werden bei dir kaum thematisiert, obwohl auch das zu einer kritischen Berichterstattung gehört.«

In einer Frage der »Nachdenkseiten« wird behauptet, das »nd« vertrete in dem Brief, »dass zum Beispiel in Syrien die dortige Führung mit ihren russischen und iranischen Unterstützern für die Eskalation verantwortlich ist«. Das ist falsch. In dem nd-Schreiben an Karin Leukefeld heißt es wörtlich: »Natürlich ist auch uns klar, dass der Westen hier versucht hat und immer noch versucht, seinen Einfluss geltend zu machen und möglichst einen Regimewechsel herbeizuführen. Andererseits sehen wir auch – und das fehlt in deinen Texten oft oder ist unterbelichtet -, dass für die Eskalation des Kriegs in Syrien und seiner Grausamkeiten auch die Assad-Regierung und ihre russischen und iranischen Unterstützer verantwortlich sind.«

Es sind genau solche Einseitigkeiten, die sich in diesen verfälschten Zitaten widerspiegeln, die wir in Karin Leukefelds Berichten problematisch finden und die sich nun auch in ihren Erklärungen zum Syrien-Konflikt in dem Interview finden. Darüber haben wir in der Redaktion diskutiert, zuletzt auf Einladung des Redaktionsrats, der eine gewählte basisdemokratische Vertretung der Mitarbeiter ist und im Übrigen schon Anfang der 90er Jahre entstanden ist. Das war kein Tribunal, wie Karin Leukefeld vermutet, sondern eine ernsthafte und teils auch strittige Debatte über den Wert ihrer Berichterstattung von vor Ort, Meinungskorridore und deren Grenzen mit am Ende eindeutigem Ergebnis. Auf uns wurde weder politischer Druck ausgeübt, noch suchen wir »einen Platz am Tisch der politischen Macht«, wie Karin Leukefeld mutmaßt. Wir sind eine unabhängige linke Redaktion, die sich eben nicht dem Mainstream unterordnet und ihre Meinung souverän und bei Bedarf in kontroverser Debatte bildet.

Selbstverständlich hat Karin Leukefeld das Recht, ihre Meinung zu vertreten. Aber jede Redaktion, auch die des »nd«, hat ihrerseits das Recht, darüber zu befinden, welche Autoren und Autorinnen in ihrer Zeitung veröffentlicht werden sollen – und welche aus Gründen nicht mehr. Das gilt für alle Medien, ganz sicher auch für die »Nachdenkseiten«. Zur Bewertung gehört auch, wie sich unsere Autoren in anderen Medien zu politischen Fragen äußern. Das ist eine Selbstverständlichkeit, auch wenn Karin Leukefeld sich darüber wundert.

In unserer Einschätzung fühlen wir uns bestätigt durch ihren neuesten Text auf den »Nachdenkseiten« zum Krieg in Nahost. Darin schreibt sie von einer Militäroperation der palästinensischen Qassam-Brigaden gegen Israel am 7. Oktober – also von jenem barbarischen Ereignis, das überall auf der Welt als Hamas-Massaker bekannt ist. Doch kein Wort davon, dass dort zahlreiche friedliche Besucher eines Musikfestivals abgeschlachtet wurden, dass Grausamkeiten an Kindern, Frauen, Alten begangen wurden. Auch die Geiselnahmen von Kindern sind nicht erwähnt. Solche schockierenden Fakten einfach wegzulassen ist mit unserem Anspruch, wahrhaftigen Journalismus zu betreiben, unvereinbar. Genau das haben wir über Jahre mehrfach gegenüber Karin Leukefeld thematisiert.

Für alle, die sich ein noch genaueres Bild über die Auseinandersetzung mit Karin Leukefeld machen wollen, fügen wir dieser redaktionellen Erklärung unseren Brief an Karin Leukefeld hinzu, in dem wir ihr im September das Ende der Zusammenarbeit mitgeteilt und begründet haben.

Brief der nd-Redaktionsleitung an Karin Leukefeld vom 11. September 2023

Liebe Karin Leukefeld,

wie du weißt, gibt es seit langer Zeit einerseits Zustimmung eines Teils der Leserschaft für deine Texte, andererseits immer wieder Kritik aus der Redaktion. Damit hatten schon mehrere Kollegen hier zu tun, die das Themenfeld Nahost/Arabischer Raum betreuten, seinerzeit vor allem Roland Etzel.

Es ging in diesen Debatten meistens um eine von uns empfundene Einseitigkeit in der Beurteilung der Lage in Syrien und des Syrien-Krieges. Natürlich ist auch uns klar, dass der Westen hier versucht hat und immer noch versucht, seinen Einfluss geltend zu machen und möglichst einen Regimewechsel herbeizuführen. Andererseits sehen wir auch – und das fehlt in deinen Texten oft oder ist unterbelichtet -, dass für die Eskalation des Kriegs in Syrien und seiner Grausamkeiten auch die Assad-Regierung und ihre russischen und iranischen Unterstützer verantwortlich sind. Die Debatte darüber ist eine Analogie zu der über den Ukraine-Krieg. Folter und andere Verbrechen durch syrisches Militär und syrische Polizei werden bei dir kaum thematisiert, obwohl auch das zu einer kritischen Berichterstattung gehören würde und obwohl eine linke Zeitung zu solchen Vorgängen nicht schweigen kann.

Hinzu kommt, dass nd-Kollegen aufgefallen ist, wie du dich anderenorts in Medien und im Internet politisch positionierst, zum Konflikt in Syrien und zum Ukraine-Krieg. Auch das wurde in der Redaktion mehrfach kritisch diskutiert, vor allem die alleinige Schuldzuweisung in diesen Konflikten an den Westen, ohne zu berücksichtigen, dass auch Assad in Syrien und Russland in Syrien und vor allem in der Ukraine ihre Interessen knallhart durchzusetzen versuchen und namentlich Russland – wie der Westen – eine eigene imperiale Politik auf Kosten anderer Staaten verfolgt. Hinzu kommen auch öffentliche Äußerungen von dir etwa über die Rolle von RT Deutsch, das unserer Ansicht nach zum erheblichen Maß mit Fake News arbeitet und ein Propagandainstrument der russischen Regierung ist, und beispielsweise deine Behauptung, man könne angesichts der US-Militärbasis in Ramstein Deutschland fast schon als besetztes Land bezeichnen.

Auch wir kritisieren bspw. die Funktion von Ramstein als Drehscheibe auf deutschem Boden für US-Kriegseinsätze, aber wir kritisieren ebenso Positionen, die sich so oder ähnlich auch im rechten Spektrum finden. Aus all den genannten Gründen hatte der nd-Redaktionsrat die Kolleginnen und Kollegen zu einer Debatte eingeladen. Dabei wurde sowohl über deine Artikel für das »nd« als auch über Texte und Äußerungen in anderen Medien gesprochen. Es ging nicht zuletzt um die Frage, ob uns nur interessieren muss, was du fürs »nd« schreibst, oder ob es für uns sehr wohl ebenso wichtig ist, wie und wo sich unsere Autoren und Autorinnen anderweitig äußern.

Im Ergebnis dieser kritischen Aussprache gab es auf Initiative des Redaktionsrats eine Abstimmung darüber, ob die Redaktion weiter mit dir zusammenarbeiten möchte. Eine deutliche Mehrheit hat sich – bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen – dafür ausgesprochen, die Zusammenarbeit mit dir zu beenden und keine Texte mehr von dir zu veröffentlichen. Begründet wurde das u.a. mit Hinweis auf folgende Passage aus unserem Redaktionsstatut: »Die Mitarbeitenden verpflichten sich der Verteidigung der Menschenrechte und der Vertretung der Interessen der Marginalisierten sowie dem Kampf gegen Rassismus, Klassismus, Antisemitismus, Sexismus und Faschismus und für den Frieden.« Eine deutliche Mehrheit in der Redaktion ist der Auffassung, dass du dich mit vielen deiner Aussagen und Positionen so weit von einigen dieser Punkte aus unserem redaktionellen Selbstverständnis entfernt hast, dass eine Zusammenarbeit als nicht mehr möglich angesehen wird.

Als Redaktionsleitung sind wir an diese Entscheidung gebunden und teilen sie dir auf diesem Wege mit. Wir danken dir dessen ungeachtet für die lange Zusammenarbeit und stehen für Fragen selbstverständlich zur Verfügung.

Freundliche Grüße

Wolfgang Hübner, Ines Wallrodt, Regina Stötzel, Uwe Sattler

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