Industrie dringt auf billigen Strom

Allianz aus Unternehmen und Gewerkschaftern macht Druck auf Regierung

Zum Teil kann man Kritiker und Befürworter eines kontrovers diskutierten Wunsches hiesiger Unternehmen schon an den Begrifflichkeiten unterscheiden: Während erstere einen »Industriestrompreis« als weitere Dauersubventionierung weiter Teile des verarbeitenden Gewerbes ablehnen, sprechen letztere lieber von »Brückenstrompreis«. Soll heißen, dass es sich um eine vorübergehende Beihilfe handelt, bis irgendwann genügend billiger Grünstrom zur Verfügung steht. Genannt wird das Jahr 2030.

Am Freitag forderte eine »Allianz pro Brückenstrompreis« in einem Schreiben an Kanzler Olaf Scholz und die gesamte Regierung sowie die Fraktionsvorsitzenden der Ampel-Parteien, beim jüngsten Koalitionsausschuss einen Brückenstrompreis zu beschließen. Grund sei die »immer dramatischer werdende wirtschaftliche Lage der energieintensiven Industrien in Deutschland«. Die bereits zu beobachtende massive Drosselung hiesiger Produktion gefährde »akut Arbeitsplätze und Standorte«.

Die Allianz ist eine illustre Runde: Zu der lautstarken Lobbygruppe gehören die Chefs zahlreicher Branchenverbände etwa aus den Bereichen Chemie, Stahl und Baustoffe, aber auch DGB-Chefin Yasmin Fahimi sowie die Vorsitzenden der Industriegewerkschaften Metall und Bergbau, Chemie, Energie. Von einer »überfälligen Entscheidung« spricht etwa der scheidende IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Die für die anstehende Transformation notwendigen Investitionen würden »durch aktuell nicht wettbewerbsfähige und mittelfristig unkalkulierbare Strompreise verhindert«. Die IG BCE wiederum kündigte »Dutzende betriebliche Aktionen« an.

Bekanntlich waren die Strompreise im Gefolge des Ukraine-Krieges in die Höhe geschnellt. In Deutschland besonders, da vor dem Winter 2022 eine Gasmangellage drohte. Die Politik versuchte per Strompreisdeckel die schlimmsten Folgen abzumildern, und mittlerweile sind die Preise an den Strombörsen auch wieder stark gefallen, selbst wenn sie noch über Vorkriegsniveau liegen. Bei der Industrie kommt hinzu, dass im Zuge der Dekarbonisierung viele energieintensive Prozesse elektrifiziert werden und dadurch der Strombedarf deutlich zunimmt.

Auch beim jüngsten Koalitionsausschuss gab es keine Einigung, denn die Befürworter eines Brückenstrompreises finden sich quer zu den politischen Lagern: Ins Spiel gebracht haben ihn konservative SPD-Politiker, allen voran Ministerpräsidenten aus industriestarken Ländern, während Parteifreund und Kanzler Olaf Scholz dies ablehnt. Wie auch die eigentlich unternehmensnahe FDP. Bei den Grünen ist der wirtschaftsnahe Flügel um Robert Habeck dafür, während es vereinzelte Gegenstimmen gibt – so warnt Jürgen Trittin vor »Investitionen mit der Schrotflinte«. CDU/CSU sind genauso dafür wie manche Linkspolitiker: Laut dem Bundestagsabgeordneten Alexander Ulrich, IG Metaller aus Kaiserslautern, brauchen die Unternehmen bezahlbaren Industriestrom – »und zwar schnell«. Im Bundestag forderte die Fraktion per Antrag die Regierung auf, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Uneins sind auch Ökonomen: Während sich der linke Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel angesichts der aktuellen Konjunkturflaute für eine solche »Überbrückungshilfe« ausspricht, hält Ifo-Präsident Clemens Fuest die Idee für »nicht tragfähig«, da die Stromkosten in Deutschland dauerhaft höher seien als in vielen anderen Ländern.

Selbst in höchsten Gewerkschaftskreisen ist die Forderung umstritten: »Von einem reinen Industriestrompreis kann ich den politischen Akteuren nur abraten«, sagte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch viele Privathaushalte und soziale Einrichtungen müssten bei einem staatlich gedämpften Strompreis einbezogen werden. Werneke sieht daher sogar »enorme Sprengkraft« in dem Vorstoß.

Worauf er anspielt: Während aktuell Privathaushalte im Schnitt 29 Cent je Kilowattstunde zahlen, wurde in einem Papier des Wirtschaftsministeriums ein Strompreis für energieintensive Branchen von sechs Cent angeregt. Auch fünf Cent war bereits die Rede. Außerdem sollten ursprünglich maximal 1000 bis 2000 Großunternehmen beglückt werden. Dann outeten sich immer Branchen als energieintensiv, auch der Mittelstand.

Dass die inflationäre Ausweitung auf immer mehr Unternehmen am Problem vorbeizielt, geht aus einer aktuellen Simulationsrechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hervor: »Selbst extreme Kostensteigerungen würden nur wenige Unternehmen in einigen eng definierten Industriezweigen nennenswert belasten«, heißt es darin. Dazu gehörten Teile der Industriegasherstellung und der Produktion von Aluminium, Zement und anorganischen Chemikalien. Diese Sektoren verbrauchten zwar bis zu einem Viertel des Industriestroms, hätten aber nur einen geringen Anteil an der hiesigen industriellen Wertschöpfung. »Eine größere Abwanderungswelle von Unternehmen aufgrund der aktuellen Strompreise erscheint daher unwahrscheinlich«, folgert Co-Autor Robin Sogalla. Auch der Brückencharakter der Subvention ist nicht glaubwürdig, so die Forschenden. Einige energieintensive Industrien würden noch länger mit Wettbewerbsnachteilen gegenüber dem außereuropäischen Ausland konfrontiert sein.

Energieökonomen sind sich in der kritischen Bewertung weitgehend einig. Wirtschaftlich argumentiert selbst der Umweltverband BUND: Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit sei nicht der Strompreis, sondern die Energie- und Stromstückkosten, »und hier lag die deutsche Industrie in der Vergangenheit im europäischen Durchschnitt, trotz höherer Strom- bzw. Energiepreise«, sagt Geschäftsführerin Antje von Broock. Sie empfiehlt, genau zu prüfen, welche Industriezweige wirklich von Abwanderung bedroht sein könnten, und rät zu gezielter Förderung von Investitionen in den Umbau Richtung Klimaneutralität.

Ohnehin wird die energieintensive Industrie bereits massiv subventioniert, etwa bei der Stromsteuer und Umlagen wie den Netzentgelten. Außerdem haben Großabnehmer mit ihren Versorgern niedrige Tarife ausgehandelt. Die bisher günstigen Kosten und die fehlende politische Regulierung machen Investitionen in energieeffiziente Technologien unrentabel. Das würde durch einen Industriestrompreis noch verstärkt.

Da fachlich wenig für eine solche Subventionierung für große Teile der Industrie spricht, greift die »Allianz pro Brückenstrompreis« zu kaum verhohlenen Drohungen. So sagt Markus Steilemann, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie: »Lange können unsere energieintensiven Unternehmen mit existenzgefährdend hohen Energiekosten am Standort Deutschland nicht mehr weitermachen.«

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