Demokratieverfall in Indonesien

Wie der populäre Präsident Joko Widodo an seiner Dynastie feilt

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit knapp 280 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist Indonesien das Land mit der viertgrößten Bevölkerung der Welt und den meisten Menschen mit muslimischem Glauben. Gleichzeitig ist der südostasiatische Inselstaat die drittgrößte Demokratie der Welt.

Letztere ist noch verhältnismäßig jung – sie wurde nach der Diktatur des einstigen Generals Suharto 1998 geboren. Indonesiens derzeitiger Präsident Joko Widodo ist ein versierter Politiker und im Land so beliebt, dass ihn einige Medien schon als den »Barack Obama Südostasiens« bezeichnet haben. Seine Popularität baut nicht zuletzt darauf, dass er die Wirtschaft des Landes vorangebracht hat. Laut »Economist« ist Indonesien seit seinem Amtsantritt 2014 unter den 30 größten Volkswirtschaften der Welt die, die am fünftschnellsten wächst. Letzteres liegt auch daran, dass Widodo große Infrastukturprojekte angeschoben hat: Neue Flughäfen, Straßen, Brücken und Schulen wurden gebaut, der Grundstein für eine neue Hauptstadt namens Nusantara wurde auf der Insel Borneo gelegt.

Auch auf internationaler Ebene hat sich Widodo als versierter Diplomat gezeigt – beispielsweise als Gastgeber des G20-Gipfels in Bali vor knapp einem Jahr. Doch Widodos zweite und nach dem Gesetz letzte Amtszeit neigt sich dem Ende entgegen. Insgesamt darf der indonesische Präsident die Geschicke des Landes maximal zehn Jahre steuern. Bei der nächsten Wahl im Februar 2024 wird Widodo deswegen nicht mehr antreten können.

Zurzeit zeichnet sich jedoch ab, dass auch Widodo immer mehr einem Trend verfällt, der in Südostasien bereits Tradition hat: Er scheint an einer Dynastie zu feilen und Familienmitglieder in einflussreiche Positionen manövrieren zu wollen. Damit tritt er unter anderem in die Fußstapfen der Philippinen, wo Ferdinand »Bongbong« Marcos, Sohn des gleichnamigen Diktators Ferdinand Marcos, zum Präsidenten gewählt wurde.

Nachdem es Widodo misslungen ist, den Weg für eine dritte Amtszeit außerhalb der Verfassung für sich selbst freizumachen, scheint er nun zu versuchen, seinen Sohn geschickt zu platzieren. Dieser ist allerdings erst 36 Jahre alt, das Mindestalter für indonesische Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten beträgt eigentlich 40 Jahre. Doch ein Verfassungsgericht, dessen Oberster Richter der Schwager Widodos ist, entschied jüngst, dass diese Altersgrenze nicht für gewählte Regionalführer gelten solle. Dies öffnet Widodos Sohn Gibran Rakabuming Raka, der bereits Bürgermeister der Stadt Surakarta ist, gleich mehrere Türen.

Als ein Reporter ihn nach dem Gerichtsurteil recht direkt fragte, ob er versuche, eine politische Dynastie aufzubauen, soll Widodo laut »Jakarta Post« gesagt haben: »Überlassen Sie es einfach den Menschen.« Sein Sohn äußerte sich gegenüber der indonesischen Tageszeitung »Tempo« ähnlich. Es sei die Sache des Volkes zu entscheiden, ob er für sein Amt geeignet sei, so wie es die Wähler in Surakarta getan hätten, als sie ihn ins Amt gewählt hätten. »Eine Eintrittskarte zu bekommen, mit einem roten Teppich begrüßt zu werden, Privilegien zu genießen – wenn die Leute nicht für mich stimmen, werde ich verlieren.«

Welche Rolle der 36-Jährige genau anstrebt, ist bisher nicht bekannt. Spekuliert wird aber, dass er den bisherigen Verteidigungsminister Prabowo Subianto unterstützen könnte, der sich um das Amt des Präsidenten bewirbt. Prabowo ist ein früherer Militärgeneral, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Er war bei den Präsidentschaftswahlen 2014 und 2019 Widodos Rivale. Bei Meinungsumfragen liegt er derzeit gleichauf mit dem Gouverneur von Zentral-Java, Ganjar Pranowo, während der ehemalige Gouverneur von Jakarta, Anies Baswedan, bisher eher abgeschlagen ist.

Grundsätzlich ist die Wahl in dem über 17 000 Inseln umfassenden Staat ein phänomenales demokratisches Spektakel. »Seit dem demokratischen Übergang Indonesiens im Jahr 1998 ist das Wählen zu einem hochgefeierten Akt des bürgerlichen Lebens geworden«, beschrieb Sana Jaffrey, eine Akademikerin am Carnegie Endowment for International Peace, den komplexen Wahlvorgang vor Kurzem erst. Neben dem Präsidenten und Vizepräsidenten werden fast 20 000 Vertreterinnen und Vertreter für National-, Provinz- und Bezirksparlamente gewählt. Eine Viertelmillion Kandidaten steht zur Auswahl. Doch trotz dieses »lebhaften Wahlprozesses« werde die indonesische Demokratie immer noch von politischen, geschäftlichen und militärischen Führern dominiert, die ihr Vermögen während der 32-jährigen autoritären Herrschaft Suhartos aufgebaut hätten, mahnte Jaffrey an.

Tatsächlich hat die Macht in den vergangenen zwei Jahrzehnten größtenteils zwischen diesen Eliten gewechselt. Deren politische Parteien entscheiden darüber, wer auf dem Stimmzettel erscheint und wie das Land zwischen den Wahlen regiert wird. Joko Widodo, der sich vom Möbelhändler und Bürgermeister zum Gouverneur von Jakarta und später zum Präsidenten hochgearbeitet hat, war der erste Außenseiter, der aus dieser Clique ausbrach. Doch auch er lernte schnell, dass er sich an ihre Regeln zu halten hatte, wenn er an der Macht bleiben wollte. Vor der jüngsten Wahl spannte er dann auch Polizei, Armee, Gouverneure, Distriktoberhäupter und andere Staatsträger in einer Weise für seine Kampagne ein, wie das keiner seiner Vorgänger seit 1998 mehr getan hatte.

Auch während Widodos Amtszeit litt die Demokratie. Kritiker würden häufig unterdrückt, Korruption werde begünstigt, urteilte Abdil Mughis Mudhoffir, ein Asien-Experte der University of Melbourne, in einem Beitrag für das Australian Institute of International Affairs. »Verschiedene rechtliche Wege werden weiterhin genutzt, um die Interessen der Eliten zu schützen, und viele Gesetze werden erlassen, die die Menschenrechte außer Acht lassen.«

Dabei mischt eine vom muslimischen Glauben dominierte Bigotterie mit, obwohl Widodo selbst ein sehr gemäßigter Muslim ist. Trotzdem wurde im Dezember 2022 ein neues Strafgesetzbuch verabschiedet, das international für Aufsehen sorgte. Die neuen Gesetze sehen unter anderem vor, dass Paare strafrechtlich verfolgt werden können, wenn sie außerehelichen Sex haben oder vor der Ehe zusammenleben. Auch Ehebruch gilt als ein Vergehen, das eine zwölfmonatige Gefängnisstrafe nach sich ziehen kann. Menschenrechtsorganisationen bezeichneten die neuen Gesetze als einen »erheblichen Schlag« für die Menschenrechte. Der Kodex enthalte Artikel, die die Rechte von Frauen, religiösen Minderheiten sowie Lesben, Schwulen, bisexuellen und trans Menschen verletzen würden, hieß es beispielsweise von der Organisation Human Rights Watch.

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