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Lieferdienste: Auf wackeligen Rädern

Lieferdienste für Essen und Lebensmittel stehen vor einem Umbruch

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.

Aus dem Stadtbild sind sie kaum noch wegzudenken: Rider, die auf ihren Fahrrädern für Unternehmen wie Lieferando, Getir oder Flink Lebensmittel oder Essensbestellungen ausliefern. Die Unternehmen sind insbesondere während der Corona-Pandemie rasant gewachsen. Doch aufgrund hoher Zinssätze und sinkendem Konsum infolge der Inflation stehen viele von ihnen vor finanziellen Schwierigkeiten. Das geht aus einer aktuellen Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (IMU) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor.

Dabei gilt das sogenannte Quick-Commerce, der digitale Markt für Lebensmittel- und Essenslieferungen, weiterhin als attraktiver Wachstumsmarkt. Die Unternehmen bieten an, dass Konsument*innen ihre Bestellungen bequem per App aufgeben können und diese dann direkt zu ihnen nach Hause geliefert bekommen. Dabei nutzen die Unternehmen im Gegensatz zu herkömmlichen Supermärkten viele kleine Lager, die sie an strategisch günstigen Standorten in Ballungsräumen anmieten. Auch darum ist die Angebotsauswahl bei den Anbietern vergleichsweise gering.

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Die sogenannte letzte Meile in der Logistikkette, die den Weg vom Warenlager zu den Konsument*innen bezeichnet, ist oftmals arbeitsintensiv und von schlechten Arbeitsbedingungen geprägt. Rider sind zu allen Jahreszeiten auf Fahrrädern oder Motorrollern im gefährlichen Stadtverkehr unterwegs, um die Bestellungen pünktlich zu den Kund*innen zu bringen. Meist leiden die Beschäftigten dabei unter prekären Arbeitsbedingungen. Sie erhalten als Selbstständige in der Regel niedrige Löhne, wobei oft die Grenze zur Scheinselbstständigkeit überschritten wird, wie aus der IMU-Studie hervorgeht.

Unternehmensseitig ist die Branche hoch umkämpft. Um sich Anteile am Markt zu sichern, tragen die Lieferdienste einen erbitterten Preiskampf aus, wodurch auch die Profitmargen gering ausfallen, wie aus der IMU-Studie hervorgeht. Dabei sei es schwer, einen genauen Einblick in die Daten zu bekommen, erklären die Forscher*innen. Denn viele der Unternehmen seien nicht börsennotiert und fallen daher auch nicht unter die dort geltenden Transparenzpflichten. Dennoch konnten sie für die Studie herausfinden, dass es bislang keinem Anbieter gelungen ist, mit dem operativen Geschäft Gewinne zu erwirtschaften.

Die niedrigen Profitmargen sind indes in den Unternehmensstrategien einkalkuliert. Um sich den harten Preiskampf leisten zu können, nehmen die Lieferdienste zunächst Verluste in Kauf, die sie mittels enormer Kapitalvorschüsse auffangen. Das Ziel ist es, so die Konkurrenz mittelfristig aus dem Markt zu drängen und später die Preise wieder zu erhöhen. Eine Strategie, die etwa dem Logistikriesen Amazon dabei geholfen hat, sich erfolgreich zu etablieren und seine Marktmacht auszubauen.

Doch aufgrund einer stärkeren Konsumzurückhaltung und steigenden Zinsen gelangt diese Unternehmensstrategie nun an ihre Grenzen. »Vor dem Hintergrund der hohen Inflation gehen wir davon aus, dass die Nachfrage seit der Corona-Pandemie gesunken ist«, erklärt Navid Armeli im Gespräch »nd«. Er ist Wirtschaftsreferent am IMU und hat an der Studie mitgearbeitet. »Zudem wirkt sich die Zins- und globale Wirtschaftslage negativ auf Wagniskapitalgeber und Investoren aus«, sagt Armeli. Dadurch werde es für die Unternehmen immer schwieriger, an neue Kredite zu gelangen, um die durch den Preiswettbewerb bedingten Verluste gegenzufinanzieren.

Das läuft voraussichtlich auf Insolvenzen und Übernahmen in der Branche hinaus, erwarten die Forscher*innen des IMU in ihrer Studie. »Eine Konsolidierung des Marktes scheint unausweichlich«, heißt es dazu. Die sei sogar schon in vollem Gange: So wurde zuletzt der Lieferdienst Gorillas vom türkischen Wettbewerber Getir übernommen. Gleichzeitig baute das Handelsunternehmen Rewe seine Beteiligung an Flink aus. Der Markt werde sich zukünftig wohl auf ein bis zwei große Unternehmen und einige Nischenanbieter konzentrieren, prognostizieren die Ökonom*innen.

Mit den bevorstehenden Übernahmen und Insolvenzen könnten auch Entlassungen einhergehen. Dennoch ist eine Bereinigungskrise für die Rider nicht per se eine schlechte Nachricht. Denn eine Kapitalkonzentration könnte dazu beitragen, die oftmals kleinteiligen gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen zusammenzufassen. Denn für gute Arbeitsbedingungen brauche es eine sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit und ertragsstarke Unternehmen, betonen die Wissenschaftler*innen in ihrer Studie.

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