Krieg in Nahost: Kaum Aussicht auf Deeskalation

Israels Bodenoffensive im Gazastreifen ist im Gang. Verhandlungen erscheinen aktuell wenig realistisch

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Fünf Kilometer weit drangen israelische Truppen zu Wochenbeginn in den Gazastreifen vor; die Gegenwehr von Hamas und Islamischem Dschihad: enorm, so die sorgsam gefilterten Angaben des Verteidigungsministeriums. Opferzahlen, das Ausmaß der Zerstörung, zu alledem gibt es keine verlässlichen Angaben, auf beiden Seiten nicht. Die in der Öffentlichkeit auftretenden Institutionen der Hamas wie das Gesundheitsministerium haben ein Interesse daran, die Situation möglichst drastisch erscheinen zu lassen. Israels Militär und Regierung wollen hingegen lieber die Massaker am 7. Oktober im öffentlichen Bewusstsein behalten und die Erfolge im Kampf gegen Hamas und Islamischen Dschihad in den Vordergrund stellen.

Bekannt ist: Die israelischen Truppen stoßen auf massive Gegenwehr durch Scharfschützen. Mittlerweile soll auch eine ganze Reihe von Kommandeuren der beiden Organisationen getötet worden sein.

Denn dieser Krieg wird auch in der internationalen Gemeinschaft ausgefochten: Die Rufe nach einer Waffenruhe werden lauter, die antisemitischen Vorfälle in aller Welt häufen sich. Die Stimmung in der islamischen Welt ist extrem aufgeheizt. Der Tonfall, auch zwischen den Partnern USA und Israel wird härter: Präsident Joe Biden spreche offen und ehrlich mit Regierungschef Benjamin Netanjahu, teilte das Weiße Haus mit. In den israelischen Medien wird vermutet, dass es vor allem der Druck aus Washington ist, der den offiziellen Beginn der schon seit Wochen erwarteten Bodenoffensive verzögert.

Wahrscheinlich jedoch liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Viele Fragen sind offen, schon seit zehn Jahren, und müssen nun innerhalb kürzester Zeit beantwortet werden. Denn sicher ist: Der 7. Oktober darf sich nicht wiederholen. Und der Grenzzaun, die massive Militärpräsenz, die jahrelange Blockade durch Israel und Ägypten hatten davor keinen Schutz geboten. Aber kann man die beiden Terrororganisationen tatsächlich zerstören? Was passiert jetzt mit den Menschen im Gazastreifen? Mit den Geiseln? Und was kommt danach?

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Am Dienstag wurde bekannt, dass eine Delegation des Auslandsgeheimdienstes Mossad nach Katar zu Gesprächen mit der dortigen Führung gereist ist. Katar steht wegen der guten Kontakte zur Hamas in der Kritik. Auch das Politbüro der Hamas hat dort seinen Sitz. Doch gleichzeitig nimmt die Führung in Doha eine Vermittlerrolle ein, versucht, die mehr als 230 aus Israel entführten Geiseln freizubekommen – eine extrem schwierige Aufgabe, denn die Hamas verlangt die Freilassung aller palästinensischen Gefangenen; ein Zugeständnis, zu dem Israels Regierung nicht bereit ist.

Und auch zu einer Waffenruhe ist man nicht bereit, obwohl sich die humanitäre Lage im Gazastreifen sehr schnell zuspitzt. Nun sickerte aus dem Geheimdienstministerium ein Arbeitspapier durch, in dem der Transfer eines Großteils der dortigen Bevölkerung auf die ägyptische Sinai-Halbinsel durchgespielt wird. Das Ministerium wurde in den Koalitionsverhandlungen ausschließlich geschaffen, um einer Parteifreundin Netanjahus einen Ministerinnenposten zu beschaffen; irgendeine Form von Bedeutung hatte es bisher nicht. Doch in der politisch und gesellschaftlich extrem angespannten Situation gehen solche Feinheiten unter: Ministerium wird mit Regierung gleichgesetzt, und dass ein solches Papier ausgefertigt wird, nachdem die ägyptische und die jordanische Regierung explizit Nein gesagt hatten, belastet die ohnehin schon gespannten Beziehungen noch weiter. In Kairo verweist man auch darauf, dass es keinesfalls im Interesse Israels sein könne, wenn sich mit den Menschen auch Terroristen entlang der schwer zu bewachenden Wüstengrenze verteilen könnten.

Mittlerweile wurden auch die Militäreinsätze im Westjordanland ausgeweitet. Auch dort geht man gegen Funktionäre der Hamas vor, zerstört ihre Häuser. Gleichzeitig nehmen die Spannungen zu: Seit dem 7. Oktober hat die Zahl der gewalttätigen Übergriffe von israelischen Siedlern auf die palästinensische Bevölkerung stark zugenommen.

Die offizielle palästinensische Regierung rund um Präsident Mahmud Abbas hat nun indes die Erwartungen öffentlich gemacht, über die man bisher nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen hatte: Damit die Regierung in Ramallah dazu bereit sei, nach dem Krieg die Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen, müsse nun sofort die Zwei-Staaten-Lösung auf den Weg gebracht werden, sagte Regierungschef Mohammad Schtajjeh: »Die Palästinensische Autonomiebehörde ohne politische Lösung für das Westjordanland nach Gaza zu schicken und dort die Verwaltung übernehmen zu lassen, ist wie mit einer F16 oder einem israelischen Tank dort anzukommen.«

Und tatsächlich hat Israel nicht viele Optionen: Selbst wird man den Gazastreifen nicht verwalten können; man präferiert eine palästinensische Zivilverwaltung unter Aufsicht der arabischen Staaten. Mittlerweile hat sich auch Mohammad Dahlan, in den Neunzigerjahren mächtiger Sicherheitschef in Gaza und mittlerweile bei der offiziellen Regierung in Ungnade gefallen, zu Wort gemeldet: Man könne die Hamas nicht komplett zerstören, brauche eine unabhängige Verwaltung. Schon seit Kriegsbeginn wurde erwartet, dass sich Dahlan, der erklärtermaßen Ambitionen auf Abbas’ Nachfolge hat, als »Lösungsansatz« ins Spiel bringen würde. Das Problem: Dahlan hat gute Kontakte zum israelischen Geheimdienst und in die Politik. Und dürfte genau deshalb für die Menschen in Gaza inakzetabel sein.

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