Berliner Arbeitsmarkt: Zahl der neuen Azubis auf Post-Corona-Hoch

Unattraktive Ausbildungsplätze lassen sich schlechter besetzen, doch am Gehalt soll kaum gedreht werden

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Partner des Berliner Ausbildungsbündnisses aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften präsentieren die neuen Ausbildungszahlen.
Die Partner des Berliner Ausbildungsbündnisses aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften präsentieren die neuen Ausbildungszahlen.

Bei den Arbeitsagenturen wurden im vergangenen Ausbildungsjahr 2022/23 insgesamt 15 832 betriebliche Ausbildungsstellen gemeldet – gut fünf Prozent mehr als im Vorjahr, jedoch weniger als vor Corona. Dies teilten die Partner aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften des Berliner Ausbildungsbündnisses am Donnerstag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit. Die Entwicklung wird begrüßt, die Zahlen seien dennoch ausbaufähig. Nötig seien Maßnahmen, um die ebenfalls leicht gestiegenen Bewerber*innenzahlen mit den richtigen Betrieben zu verbinden, die teils ihrerseits Stellen nicht besetzen können. Dieser Vorgang wird als Matching bezeichnet.

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Das Ausbildungsbündnis war im August gestartet, um die Zahl der Ausbildungsverträge zu steigern. Wenn bis August 2025 nicht mindestens 2000 neue Verträge abgeschlossen werden, will der Senat eine Ausbildungsumlage einführen. Dabei sollen alle Betriebe, ob Ausbilder oder nicht, proportional zu ihren Lohnkosten eine bestimmte Abgabe in einen Topf zahlen. Mit diesem Geld sollen dann wiederum Betriebe bei den Ausbildungskosten unterstützt werden. Im vergangenen Jahr seien laut Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) 300 Ausbildungsplätze mehr als im Vorjahr besetzt worden.

Die Wirtschaft sieht eine Ausbildungsumlage nicht als Lösung. Sie schaffe keine neuen Ausbildungsplätze, sagt Alexander Schirp, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg. Stattdessen seien andere Instrumente notwendig, um das Matching zu verbessern. Praktika seien eine gute Möglichkeit für Jugendliche, Einblick in verschiedene Berufsfelder zu bekommen, auch müsse die Berufsorientierung an Schulen verbessert werden. Er begrüßt den Plan des Senats, ein elftes Pflichtschuljahr einzuführen. Wer noch keine Ausbildung oder ein Studium in Aussicht hat, soll demnach noch ein weiteres Jahr in die Schule gehen müssen, um sich zu orientieren.

»Alle Bündnispartner müssen eine Schippe drauflegen«, sagt Jan Eders, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin. Er wolle niemandem »autoritär vorschreiben«, wie er das Ziel zu erreichen habe. Komme jedoch nichts von Seiten der Politik, werde sich die Wirtschaft aus dem Bündnis verabschieden.

Nele Techen, stellvertretende Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg, sieht vor allem Bedarf bei der Steigerung der Attraktivität der betrieblichen Ausbildung. Besonders die hohen Mieten würden es jungen Menschen erschweren, in Berlin Fuß zu fassen. Sie schlägt vor, ein Azubiwerk nach Vorbild des Studierendenwerks aufzubauen, welches sich um die Versorgung mit Wohnraum kümmert.

Die Pläne von Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften befassen sich vor allem mit den verschiedenen Instrumenten, junge Menschen mit passenden Ausbildungsstellen zu verbinden. Eder betont mehrmals, man habe kein Problem mit der Quantität, sondern mit der Qualität der Ausbildungsangebote. Jugendliche hätten spezielle Vorlieben, aber der Markt habe nicht für alle Kapazitäten in ihren Traumberufen: »Es können nicht alle Tierpfleger werden.«

Laut Eder hätten besonders in Fragen von Arbeitszeit und -belastung unattraktive Branchen Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Die sonst vom Markt so überzeugten Wirtschaftsvertreter schenken dabei dem Preismechanismus keine Aufmerksamkeit. Laut Eder hätten in der Vergangenheit zwar Branchen durch das Zahlen einer höheren Ausbildungsvergütung mehr Azubis anlocken können, jedoch müsse diese immer »im Rahmen bleiben«. Man müsse stattdessen »das Feuer für den Beruf entfachen«, was manchmal ziemlich schwer sei: »Wer will schon um vier Uhr aufstehen und in die Backstube gehen?« Da sind die Schulabsolvent*innen wohl selbst schuld, wenn sie sich gegen eine Vollzeitausbildung mit einer monatlichen Brutto-Vergütung von weniger als 1000 Euro entscheiden.

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