Ukraine-Krieg: Russland mobilisiert den Superstar

Moskauer Behörden suchen bei Razzien in Moscheen nach Migranten, die Russland in den Krieg gegen die Ukraine schicken kann

  • Ewgeniy Kasakow
  • Lesedauer: 4 Min.
Polizisten kontrollieren die Papiere von Migranten. Russische Politiker wollen, dass sie in der Ukraine kämpfen.
Polizisten kontrollieren die Papiere von Migranten. Russische Politiker wollen, dass sie in der Ukraine kämpfen.

Sie kamen nicht das erste Mal: Ende Oktober stürmten Polizisten die Moschee in der Moskauer Vorstadt Kotelniki. Die Polizei waren gekommen, um Männer im wehrpflichtigen Alter zu suchen. Wer geschnappt wurde, kam direkt zum Kreiswehramt. Dass die Razzia genau hier stattfand, ist kein Zufall. Ins Gebetshaus im Keller eines Wohnhauses kommen überwiegend Migranten aus Zentralasien. Schon seit der Eröffnung 2020 gibt es Probleme mit den Anwohnern, die sich wegen der langen Schlangen vor der Moschee sogar bei Präsident Wladimir Putin beschwerten. Mit Beginn des Krieges gegen die Ukraine gewann die Debatte um den Gebetsraum der Muslime neue Schärfe.

Bereits im Mai suchte die Moskauer Polizei in einer großangelegten Razzia nach Arbeitsmigranten. Allein in Kotelniki wurden um die 100 Männer aus Tadschikistan festgenommen. Nach der Verhaftung bedrängte man sie, einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium abzuschließen und sich als ausländische Staatsbürger für die Russische Armee zu verpflichten. Im Juli sprengte die Polizei bei einer Razzia das Freitagsgebet und betrat den Gebetsraum mit Schuhen, worauf es zu Protesten kam.

Zur Unterschrift gezwungen

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Für gewöhnlich werden die Razzien von der russischen Gesellschaft wenig beachtet, Arbeitsmigranten zählen nicht viel. Die Razzia Ende Oktober erfuhr jedoch große Aufmerksamkeit, wurden dieses Mal doch zwei Prominente verhaftet und zum Kreiswehramt gebracht. Der 19-jährige Muhammad Negmatow, in Tadschikistan geboren, ist Mitglied der Judo-Nationalmannschaft Russlands und der 26-jährige Mamut Useinow (Üseinov) ist offiziell gar kein Migrant. Der Finalist der TV-Castingshow »Perepoj Swesdu« (»Schlag den Star beim Singen«) ist Krimtatare und erhielt nach der Annexion der Halbinsel Krim 2014 die russische Staatsbürgerschaft. Useinow steht aktuell beim staatlichen TV-Sender Perwyj Kanal unter Vertrag.

Die Polizei habe den Männern gesagt, sie müssten zur Überprüfung der Personalien mitkommen, beschrieb Negmatow den Auftritt der Uniformierten. Doch statt zum Polizeirevier wurden die Männer direkt zum Kreiswehramt gefahren. Dort sei ihnen verkündet worden, dass sie sich freiwillig zur »Sonderoperation« melden sollten, andernfalls drohe ihnen Gefängnis. Sowohl Negmatow als auch Useinow verweigerten die Unterschrift unter dem Vertrag und wurden dafür direkt zum Ableisten des regulären Wehrdienstes eingezogen. Ihnen wurde nicht einmal die Gelegenheit gegeben, medizinische Atteste vorzulegen oder einen Anwalt zu kontaktieren, der gegen die gesetzeswidrige Einberufung hätte vorgehen können, schrieb Useinow auf Telegram. In Russland können Männer nur in die Armee eingezogen werden, wenn ihnen zuvor ein entsprechender Bescheid ausgehändigt wurde. Dennoch haben Negmatow und Useinow mit dem allgemeinen Wehrdienst fast noch »Glück im Unglück«. Denn ein unterschriebener Vertrag mit der Armee bedeutet in der Regel die Entsendung in die Ukraine.

Wer Russe werden will, soll kämpfen

Geht es nach mehreren russischen Politikern, könnten solche Razzien zukünftig öfter stattfinden. Sie fordern, dass eingebürgerte männliche Migranten den Wehrdienst nachholen müssen. Warum ist ein offenes Geheimnis. Russland benötigt für den Krieg in der Ukraine mehr Soldaten an der Front und auch im Hinterland. Dafür braucht man Menschen, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht vermisst werden. Neben Arbeitsmigranten geraten deshalb auch Gefängnisinsassen und Obdachlose immer wieder ins Visier der Behörden.

Und wer nicht für Russland kämpfen will, soll wieder gehen. Ende August brachte der KPRF-Abgeordnete Michail Matwejew einen Gesetzentwurf in die Duma ein, nach dem Eingebürgerten, die sich nicht beim Kreiswehramt registrieren, die Staatsbürgerschaft wieder entzogen werden soll, mit anschließender Abschiebung. Für Matwejew ein bemerkenswerter Schritt, schließlich galt er lange als Kritiker des Krieges in der Ukraine. Ende Oktober erneuerte der Vorsitzende des Ermittlungskomitees, Alexander Bastrykin, die Forderung Matwejews und forderte von den Eingebürgerten, ihre Pflicht gegenüber der neuen Heimat zu erfüllen, sprich in den Krieg zu ziehen oder den russischen Pass wieder abzugeben.

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