Serie über Geflüchtete »Unwanted«: Europäische Ignoranz

Regisseur Oliver Hirschbiegel erzählt in der Serie »Unwanted« vom Schicksal Geflüchteter und der rassistischen Ignoranz europäischer Wohlstandsbürger

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Besatzung eines Luxusliners muss sich auf einmal mit existenziellen Fragen beschäftigen.
Die Besatzung eines Luxusliners muss sich auf einmal mit existenziellen Fragen beschäftigen.

Filme über Geflüchtete gibt es gerade immer mehr. Viel Aufmerksamkeit erhielt vergangenes Jahr die Netflix-Produktion »Die Schwimmerinnen« (2022) über die dramatische Flucht der späteren syrischen Olympiateilnehmerin Yusra Mardini, aber auch der in Deutschland gerade erst ins Kino gekommene Film »Tori und Lokita«, der von den Barrieren beim Asylverfahren in Europa erzählt, wurde in den Feuilletons breit besprochen.

Nun ist das Thema auch als international produzierte Serie bei Sky zu sehen. Oliver Hirschbiegels Achtteiler »Unwanted« erzählt von einer Gruppe Geflüchteter, die nach dem Untergang ihres kleinen Bootes im Mittelmeer von einem Kreuzfahrtschiff gerettet werden. Mehr als 100 schutzsuchende Menschen auf dem Weg nach Europa ertrinken bei dieser Havarie, nur 28 von ihnen überleben. Die finden sich plötzlich an Bord des 5000 Passagiere befördernden Luxusliners Orizzonte wieder und werden schnell auf ein abgelegenes Deck gebracht, um nicht die perfekt inszenierte und von Überfluss gekennzeichnete Urlaubsstimmung der Gäste zu trüben. Trotzdem gibt es bald Kontakt zwischen Gästen, Crewmitgliedern und Geflüchteten, es entstehen sogar Beziehungen, wobei die hierarchisch und meist zum Nachteil der Geflüchteten sind.

Auch wenn diese Geschichte der Begegnung von traumatisierten Geflüchteten und sich im Konsumrausch langweilenden Europäern rein fiktional ist, basiert Oliver Hirschbiegels Serie, die in Rückblenden viel und vor allem sehr drastisch von den Fluchtrouten durch Nordafrika berichtet, auf Motiven des Sachbuchbestsellers »Bilal: Als Illegaler auf dem Weg nach Europa« (2007) von Fabrizio Gatti, dem ehemaligen Chefreporter der linksliberalen italienischen Wochenzeitung »L’Espresso«, der Geflüchtete vor Jahren begleitete. Es geht in Rückblenden um Fahrten auf LKW durch die Wüste, um Gefängnisse und Folter in Libyen und um den Horror der Überfahrt übers Mittelmeer in einem hochseeuntauglichen Boot.

»Unwanted« fächert dabei ein ganzes Panorama verschiedener Fluchtschicksale auf und erzählt von den unterschiedlichen Menschen an Bord. Da gibt es die junge Sophia (Onyinye Odokoro), die während ihrer Flucht viele Male vergewaltigt wurde und der jetzt der italienische Tourist Franco (Francesco Acquaroli) nachstellt und sein Interesse an ihr gegenüber seiner Ehefrau als rassismuskritische und moralische Tat ausgibt.

Nicht weniger bizarr ist die vermeintliche Hilfe der kinderlosen italienischen Touristin Diletta (Denise Capezza), die das im libyschen Gefängnis geborene Baby einer Geflüchteten, als die Abschiebung der Gruppe droht, an sich nimmt und es am liebsten gar nicht mehr hergeben würde, während ihr Ehemann, ein Carabinieri, fortlaufend rassistische Kommentare abgibt.

Wobei es auch Beispiele für handfeste Solidarität gibt. So trifft der junge Elvis (Samuel Kalambayi), der aus einem Bürgerkriegsgebiet stammt und von seiner Mutter auf die Flucht geschickt wurde, auf die junge, schwerkranke und reiche Mary (Nuala Peberdy), und die beiden gehen gemeinsam ihre Traumata an. Und vor allem Jessica (Jessica Schwarz), die 1. Offizierin an Bord, legt sich mit Kapitän Arrigo (Marco Bocci) an, der die Geflüchteten wieder nach Libyen bringen soll, wohin sie alle auf keinen Fall wollen. Die Auseinandersetzung um die Frage, ob und wie gegen vermeintliche Sachzwänge angekämpft werden kann, führt bald zum offenen Konflikt. Der eskaliert noch weiter, als einige Geflüchtete auf der Brücke Geiseln nehmen, um eine Abschiebung nach Libyen zu verhindern.

Auch wenn sich diese finale Eskalation im ersten Moment fast nach einer Täter-Opfer-Umkehr anhört, ist diese Serie überraschend kämpferisch und zeigt vor allem die rücksichtslose und rassistische Ignoranz europäischer Wohlstandsbürger gegenüber Geflüchteten. »Unwanted« macht auch deutlich, wie viel Gewalt das europäische Abschottungssystem weit über die Grenzen hinaus erzeugt. Das wird so direkt selten im Filmbereich umgesetzt, hier aber massenpublikumstauglich inszeniert und ist auch deshalb sehenswert.

Verfügbar auf Sky

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