- Kommentare
- Prozess gegen »Vereinte Patrioten«
Patrioten im Irrsinn vereint
Christoph Ruf über den Prozess gegen Mitglieder der »Vereinten Patrioten«
Wahnsinn hat zu Unrecht einen üblen Ruf. Das Blöde ist allerdings, dass man meist zur falschen Zeit am falschen Ort ist, wenn er bestaunt werden kann. Zu gerne wäre ich vergangene Woche in Koblenz gewesen, wo der Prozess gegen die »Vereinten Patrioten« eröffnet wurde. Besonders gerne hätte ich mir die merkwürdig bekleidete 76-Jährige mit voller Redezeit angeschaut. Die Frau ist promovierte »praktische Theologin«. Vor Gericht verstand sie jedenfalls nicht, was sie dort sollte. Sie referiere doch nur wissenschaftliche Fakten. Und die dokumentierten nun mal, was los ist in diesem »politisch-okkulten« System. Es gebe da nämlich diese 3000 Jahre alte Verschwörung, hinter der – wer auch sonst? – die Juden stünden. Ihren »Personal-Vieh-Ausweis« lehnt sie ab.
Ebenfalls erheiternd: Der Vollblut-Ossi, der am Westen wirklich alles schlimm findet: von der veganen Wurst bis zum Rauchverbot in Kneipen und der doofen Corona-Impfung, für die er den (westdeutschen!) Bundesgesundheitsminister verantwortlich macht. Weshalb er »Karlchen« auch zusammen mit den anderen Aluhüten aus einer Talkshow heraus entführen wollte. Eine in sich nicht unlogische Kausalkette. Vorausgesetzt, man ist vorher oft genug gegen eine Wand gelaufen.
Oh weh: Der Wahnsinn ist zu einer raren Pflanze geworden, die in streng geschützten Reservaten wie Gerichtssälen und dem Internet gedeiht. Früher war das anders: Leute wie die 76-Jährige konnten einem einfach so begegnen. Nichtsahnend ging man damals, zu Corona-Zeiten, in die Innenstadt, bog einmal falsch ab, und schon waren sie da, die Irren, manchmal sogar in größeren Rudeln.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.
Ich gebe zu, manchmal habe ich mich dann an den Straßenrand gestellt und mir den Wahnsinn gegeben, der da zu lesen und zu hören war. Damals konnte ich nicht immer drüber lachen, mir fehlte der Humor. Manchmal machten mich die Leute, die nicht selten wie die 76-Jährige – also wie Hippies – aussahen, fassungslos. Auch weil sie jeder aufkeimenden Wut über so viel Ignoranz und Borniertheit oft mit diesem treuherzigen Blick begegneten.
Für sie ist ja alles anders herum: Nicht sie sind schräg, sondern fast alle anderen Menschen. 99 Prozent von ihnen sind halt schrecklich fehlgeleitet. Die glauben nicht mal das Ding mit der 3000 Jahre alten Weltverschwörung. Und wenn man ihnen erzählt, dass Frank-Walter Steinmeier 227 Jahre alt ist und mal als Chaim Moses Goldstein in Transsilvanien geboren wurde, schauen sie auch immer so komisch. Nun ja, Steinmeier, alias Goldstein, gründete jedenfalls 1863 die Allgemeinen Deutschen Reptilien-Verband, der sich später in SPD nannte. Auch auf diesen billigen Trick fallen erstaunlich viele Menschen herein. Und das, wo es doch schwarz auf weiß auf dem Blatt zu lesen ist, das man aus dem Internet ausgedruckt hat.
Okay, das mit den Reptilien haben sie im Prozess nicht gesagt. Wahrscheinlich, weil es zu offensichtlich ist, als dass es betont werden müsste. Aber auch so war der Tag in Koblenz offenbar sehr aufschlussreich. Die »Patrioten« wollten nämlich für einen bundesweiten Stromausfall sorgen. Erst wollten sie ja alle Medienhäuser besetzen, aber das waren halt so viele. Ohne Strom kann halt auch das verlogenste Medienhaus nicht mehr weiter die Wahrheit verdrehen, das ist ja wohl logisch. Und dass man vorher Wladimir Putin um Erlaubnis fragen wollte, bevor man mit 300 Leuten die neue Ordnung etabliert, ist ja auch nicht ohne inneren Zusammenhang.
Jetzt mal im Ernst: So erheiternd all die Irren sind und so wenig man sich vorstellen kann, dass von ihnen wirklich jemals eine echte Gefahr ausgeht – vielleicht unterliegen diese Gedanken einem Denkfehler. Zumindest bei der Religionsfrau war in Koblenz auch handfeste Holocaustleugnung zu hören. Und Waffen hatte die Volksfront der Bekloppten auch geordert. Man stellt sich das Böse halt gerne so vor wie ein Bild aus dem Horrorfilm. Das könnte ein Fehler sein.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!
In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!