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Früher war weniger Schwarz-Rot-Gold
Ob Nationalflagge oder Bundesadler: Christoph Ruf sieht immer mehr nationale Symbole
Sage noch einer, dass hierzulande nicht die wirklich wichtigen Themen erörtert werden. Jüngst saß der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak beim »ARD-Sommerinterview« und wurde von einem Zuschauer ernsthaft gefragt, ob er »auch ein Problem mit dem Vaterland« habe.
Nachdem er das nicht so geistreich wie einst Gustav Heinemann (»Ich liebe meine Frau«), sondern irgendwie grün (»Was soll ich dazu sagen?«/»Ich liebe Duisburg«) beantwortet hatte, bekam die »Bild« eine wohlinszenierte Schnappatmung. »Grünen-Chef kann es nicht«, hieß es. Und dann wurde schlüssig durchargumentiert: »Was ist so schwierig daran, Deutschland zu lieben?« Gründe gebe es doch so viele: »Ebbe und Flut, Märchenwälder und Alpenglühen, Sprotte und Murmeltier, Robbe und Adler.«
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Dass ich Deutschland (nicht aber Portugal oder den Senegal) wegen »Ebbe und Flut« lieben soll, ist so steindumm, dass es eigentlich selbst der »Bild« unangenehm sein müsste. Und wie viel Enzian muss man geraucht haben, um in einer Berliner Redaktion vom »Alpenglühen« zu fabulieren? Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, mal im Einkaufszentrum um die Ecke ein paar Passanten zu erzählen, dass ich stolz auf Deutschland bin. Wenn sie irritiert schauen, sage ich, dass das an den Sprotten liegt. Ich glaube, sie werden mich verstehen.
Wobei: Ich fürchte, vor allem vielen jüngeren Menschen müsste ich gar nicht mit hiesigem Meeresgetier kommen – sie halten Patriotismus per se für eine Selbstverständlichkeit. Der gute alte Nationalstolz ist aus der Welt der Lodenjacken und der Studentenverbindungen herausgetreten. Seitdem ich darauf achte, sehe ich immer öfter die Nationalflagge oder den Bundesadler. Vereinzelt bei Konzerten, bei denen das früher undenkbar war. Auf Stickern in der Stadt. Und wieder sehr oft beim Fußball.
Und fast immer sind es Menschen zwischen 16 und 25 Jahren, die mit nationalen Symbolen spazieren gehen – und die 30-Jährigen aufs Gröbste irritieren. Schon klar: Die schwarz-rot-goldene Fahne steht historisch für die Farben der Republik, die Nazis sprachen verächtlich von ihr. Aber ob das auch die wissen, die Sticker ihres Fußballklubs mit Deutschland-Symbolen gestalten? Wenn Sprüche wie »Für Verein und Vaterland« zusammen mit Adler und Ährenkranz ein Revival feiern, sind das die Symbole, die für einen Gesinnungsumschwung bei vielen Jüngeren stehen.
Kluge Menschen behaupten, die Re-Nationalisierung habe mit Corona zu tun. Mit den vielen Stunden auf Tiktok, der weltgrößten Verblödungsmaschine. Dort ein porentief-reines konservatives Weltbild zu bekommen, geht schnell. Und nicht jede Frau, die sich auf Instagram als stolze Mami und Kuchenbäckerin inszeniert, um dem Mann »den Rücken freizuhalten«, ist eine rechte Influencerin. Viele sind wirklich die Muttis von nebenan. Zweiteres ist beängstigender. Dann geht es schnell weiter. Schnell wird über kinderlose Paare hergezogen, von dort ist es kein allzugroßer Schritt mehr bis zum Hass auf alles, was queer und anders ist.
Wer sich die Nasen anschaut, die in Bautzen gegen den CSD demonstriert haben, sieht zu 95 Prozent junges subkulturelles Volk. Mit Ansichten, die man mit der Generation ihrer Urgroßeltern für beerdigt gehalten hatte.
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