Placebo-Rhetorik für Kleinkinder

Für Christoph Ruf verkauft die Bundesregierung die Bevölkerung für dumm

  • Christoph Ruf
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Wochenende war der Grünen-Bundesparteitag. Aber da ich mir fest vorgenommen habe, an dieser Stelle nicht schon wieder über Baerbock, Habeck und Co. zu schimpfen, lobe ich sie jetzt sogar. Überkompensation wahrscheinlich. Denn so elitär und so blasiert sie auch sein mögen, wenn die Umfragen hold sind, so offensichtlich werden sie derzeit von der dunklen Seite der Macht ans Kreuz geschlagen. Milde ist also angezeigt.

»Bild«, Union und all den anderen ökologischen Germano-Trumps sei aber gesagt: Es gibt ihn wirklich, den menschengemachten Klimawandel. Heißt: Heizungsgesetz. Gesetz an sich: nötig. Umsetzung: fatal. Die echten Realitätsverweigerer sind die, die das bestreiten. Denn auch wenn die Grünen sich nicht so in Normalverdiener hineinversetzen können, ändert das schließlich nichts daran, dass es auf dieser Erde bald ungemütlich werden wird.

Vielleicht ist das ja der eigentliche Grund, warum die Politik derzeit mit den Menschen so redet, als seien sie Kleinkinder, die es vor Gefahren zu beschützen gilt, die man besser nicht ausspricht. Am konsequentesten hat die Kita-Rhetorik Angela Merkel betrieben. Mittlerweile wissen selbst CDU-Wähler, dass ihre Politik im Wesentlichen daraus bestand, keine Politik zu machen. Kein Wunder, dass so jemand »Wir schaffen das« sagt, ein echt schöner Satz. Und ein verlogener, wenn man vergisst, dass zum »Wir« auch die Politik gehört, die die wesentlichen Integrationsleistungen aber der Zivilgesellschaft überließ. Und vielleicht hätten »wir« auch »das« geschafft, wenn es weniger Hemmnisse bei der Integration in den Arbeitsmarkt gegeben hätte, wenn in großem Stil Wohnungen gebaut und Sprachkurse angeboten worden wären. Und wenn man sich überlegt hätte, den Super-Reichen ans Portemonnaie zu gehen. Stattdessen wurde von CDU bis Linke behauptet, dass auch über eine Million Neubürger, für die man so gut wie keinen neuen Wohnungen baute, niemand anderem Wohnraum wegnähmen.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Das Problem an gutgemeinten statt guten Aussagen: So doof, um das plausibel zu finden, sind die Leute dann eben doch nicht. Sich verarscht zu fühlen, ist ein recht gängiges Motiv, um AfD zu wählen. Vorausgesetzt, man hat kein Gewissen und denkt nicht von hier bis zur eigenen Nasenspitze. Aber senkt AfD-Wähler-Beschimpfung, so gerechtfertigt sie auch sein mag, deren Ergebnisse? Oder müsste man sich nicht auch über die aufregen, die es dieser Partei so leicht machen, immer weiter zu wachsen?

Das gilt auch für den in jeder Hinsicht legitimen Merkel-Nachfolger Olaf Scholz, der mal von »Bazookas« und »Doppel-Wumms« spricht und mal redet wie ein bekiffter Pädagogik-Student (»Keiner wird zurückgelassen«), es aber zuletzt nicht geschafft hat, einen legalen Haushalt auf die Beine zu stellen. Kann es also sein, dass die politische Klasse in dem Maße zu Kitsch- und Placebo-Rhetorik greift, in dem unangenehme Wahrheiten angemessen wären? Wer CDU und FDP so hört (die SPD hört man in der Regel nicht), hat jedenfalls den Eindruck, als sei der Klimawandel eine Erfindung der Grünen.

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Gerade ist in einem weiteren europäischen Land die extreme Rechte als stärkste Partei aus einer Wahl hervorgegangen. Ich las, dass der bisherige Amtsinhaber Fred Rutten eine »bürokratische Kaltherzigkeit« habe walten lassen und dass er einer sei, dem »der eigene Machterhalt stets wichtiger zu sein schien als die Not der Menschen«. Ich zählte daraufhin durch, bei wie vielen Politikern hierzulande das anders ist. Und war schnell fertig. Im Übrigen: Ich las auch über das Nachbarland, dass es dort keine bezahlbaren Wohnungen gebe, die herrschende Politik habe das »Murren im Land so lange ignoriert, bis es zu spät war«. Auch das kommt einem seltsam vertraut vor.

Keine Ahnung, ob es stimmt, dass die Sarah-Wagenknecht-Partei es schafft, die AfD zu halbieren – es wäre jedenfalls ein Segen. Sicher bin ich mir allerdings, dass man die Partei auf Normalmaß zurechtstutzen könnte, wenn die Politik zum einen bessere Politik machen würde. Und zum anderen endlich aufhören würde, die Menschen für noch blöder zu halten, als sie eh schon sind.

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