Maschinenstopp im Großen Belt?

Die Ostsee wird immer mehr Schauplatz antirussischer Sanktionspolitik

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor einigen Tagen fuhr die »Admiral Golowko« in die Ostsee ein und nahm Kurs auf ihren Stützpunkt Baltijsk bei Kaliningrad. Die Fregatte war auf Testfahrt und wurde – schon bevor sie den Großen Belt passierte – erwartet. Auch die Deutsche Marine hatte sich in Stellung gebracht, immerhin ist die »Admiral Golowko« das derzeit modernste Überwasserschiff Russlands, das auch mit Hyperschall-Raketen bestückt werden kann. Nach der Indienststellung des Schiffes zum Jahresende wird die Fregatte vermutlich der Nordflotte übergeben, denn in der Ostsee hätte kein noch so wehrhaftes russisches Kriegsschiff dieser Klasse im Ernstfall eine Überlebenschance.

Nicht zuletzt durch Moskaus Überfall auf die Ukraine ist das Binnenmeer wieder stärker in den Fokus geopolitischer Interessen und Konflikte geraten. So wie die russische Seite haben auch die anderen Ostseeanrainer, die inzwischen alle der Nato angehören oder demnächst angehören werden, eine höhere Bereitschaftsstufe ausgerufen. Es gibt vermehrt hybride Aktivitäten, die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines hat die Verwundbarkeit maritimer Infrastrukturen offenbart. Egal was die 2022 verabschiedete russische Marinedoktrin behauptet – die Initiative in Ost- und Nordsee sowie im arktisch-nordatlantischen Raum liegt inzwischen eindeutig beim Nato-Bündnis und anders als in vergangenen Jahrzehnten sind die westlichen Nachschubwege bis tief in die Ostsee hinein weitgehend gesichert.

Vermehrt bilaterale Kooperationen in der Nato

Nicht gesichert jedoch sind die neuen Kommandostrukturen der Nato. In Brüssel hat man zwar das Angebot zur Einrichtung eines deutsch dominierten regionalen maritimen Hauptquartiers in Rostock zur Kenntnis genommen, doch gibt es offenbar hinter den Kulissen der »Zeitenwende« noch zahlreiche Rangeleien um Zuständigkeiten. Einige dadurch verbleibende Leerräume versucht man durch bilaterale Kooperationen zu füllen. Das ist auch der Sinn eines deutsch-dänischen Aktionsplans, der im August 2022 beschlossen wurde.

Die enge maritime Zusammenarbeit zwischen Berlin und Kopenhagen könnte zu unabsehbaren Folgen führen. Hintergrund ist die Verschärfung der westlichen Sanktionspolitik. Noch immer macht Moskau satte Gewinne durch den Export von Rohöl. Etwa 60 Prozent werden auf dem Seeweg aus Ust-Luga nahe der estnischen Grenze und aus Primorsk zwischen St. Petersburg und Finnland verschifft. Das Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) behauptet, allein im vergangenen Monat habe Russland so 791 Millionen Euro eingenommen.

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Russland umgeht Sanktionen mit Schattenflotte

Allerdings hatten die G7-Staaten und Australien einen Preisdeckel für dieses Öl beschlossen: 60 Dollar je Barrel. Die Einschränkung schmerzte die Exporteure zunächst, weil Russland sein Öl vor allem mit Tankern westlicher Reeder transportierte. Diese und deren Versicherungen mussten sich auf westlichen Druck zur Einhaltung der geforderten Preisgrenze verpflichten. Russland reagierte, baute durch Blitzkäufe älterer Schiffe seine eigene Tankerflotte aus. So konnten im September drei Viertel der maritimen russischen Öltransporte ohne westliche Versicherung abgewickelt werden. Im Oktober waren gerade einmal 37 von 134 Schiffen, die russisches Öl transportierten, bei westlichen Gesellschaften versichert. Weil so der erzielte mittlere Preis wieder auf über 80 Dollar pro Fass stieg, suchten EU- und Nato-Experten nach ergänzenden »Daumenschrauben«. Die Geografie kam ihnen zu Hilfe.

Russlands Tanker müssen, um aus der Ostsee zu kommen, den Großen Belt durchfahren. Die Passage zwischen den Inseln Fünen und Seeland ist keineswegs risikolos. Angesichts des hohen Durchschnittsalters der russischen Schiffe und mangelnder Wartung könnte es jederzeit zu einem Unfall mit gravierenden Umweltschäden kommen. Ergo müssten Schiffe und Fracht gut versichert sein, betont die EU und verweist darauf, dass die Meeresenge innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone Dänemarks liege, in der das Land eine sogenannte administrative Kontrolle ausübe. Kopenhagen könnte diese Befugnis nutzen, um russische Tanker zu inspizieren. Haben sie keine oder – nach EU-Ansicht – nur eine fragwürdige Versicherung, könnte man diesen Schiffen die Durchfahrt verweigern. Noch ist nicht sicher, ob das Gedankenspiele bleiben.

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