Nazis dürfen Staupitz weiter rocken

Wegen Rolle des Geheimdienstes: Sächsisches Gericht kippt Veranstaltungsverbot für Konzert-Eldorado

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Sachsen gilt als bundesweite Hochburg für Nazi-Konzerte. Allein in Staupitz fanden mehrere hundert statt
Sachsen gilt als bundesweite Hochburg für Nazi-Konzerte. Allein in Staupitz fanden mehrere hundert statt

Am 12. April 2008 ließen es Nazi-Bands im »Alten Gasthof« in Staupitz erstmals krachen. »Rock the System – Fuck the Police« war ein Konzert überschrieben, bei dem Bands wie Frontalkraft oder Hatelordz auftraten. Seitdem hat sich das 300-Einwohner-Dorf, das formal ein Ortsteil der nordsächsischen Kreisstadt Torgau ist, zu einer der wichtigsten Adressen für Rechtsrockkonzerte entwickelt. Allein bis 2017 gab es nach Angaben der Rechercheplattform »Chronik.LE« 112 Konzerte mit 187 Bands. »Alle wichtigen Bands der Szene haben dort gespielt«, sagt Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen: »Das ist ein Konzertort mit bundesweiter Bedeutung.«

Daran wird sich absehbar nichts ändern, denn ein Versuch von Behörden, gegen das Rechtsrock-Eldorado vorzugehen, ist gescheitert. Im Februar hatte der Landkreis Nordsachsen dem Betreiber des Gasthofes die Gewerbeerlaubnis für das Betreiben einer »Gaststätte mit Tanzveranstaltungen« entzogen. Zur Begründung wurde auf Straftaten wie »Sieg Heil«-Rufe oder das Zeigen des Hitlergrußes verwiesen, gegen die der Betreiber nicht vorgegangen sei. Auf dessen Widerspruch hin hatte das Verwaltungsgericht Leipzig die Entscheidung im März bestätigt. Nun aber revidierte das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen den Richterspruch.

Grund dafür ist, dass die Erkenntnisse über die Rechtsverstöße vom Landesamt für Verfassungsschutz mit, wie es hieß, »nachrichtendienstlichen Mitteln« gewonnen worden seien. Alternativen dazu gibt es kaum. Szenefremden wird der Zutritt zu den Konzerten nicht gestattet, Handys sind im Saal nicht erlaubt, um die Verbreitung von Mitschnitten zu unterbinden. Das OVG erklärte jedoch, die vom Geheimdienst gesammelten Beobachtungen hätten nicht an Polizei oder Gaststättenaufsicht weitergegeben werden dürfen. So etwas sei nur zur Verhinderung »besonders schwerer Straftaten« zulässig, wozu Volksverhetzung und die Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen nicht gehörten. Das OVG verwies auf das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz, das auch in der Verfassung des Freistaates verankert sei.

Die Gerichtsentscheidung ist ein herber Rückschlag für behördliche Bemühungen, gegen die Rechtsrock-Szene vorzugehen. Ein Expertenrat, der bei der Landesdirektion Sachsen angesiedelt ist, erarbeitet dazu Handlungsempfehlungen für Kommunen und Kreise im Freistaat. Teils wurden Konzertorte über das Baurecht ausgehebelt. Der Besitzer des Gasthofs in Staupitz, der über einen 400 Quadratmeter großen Saal verfügt, kam entsprechenden Auflagen jedoch beflissen nach und hielt sich auch sonst an behördliche Auflagen. Zu diesen gehörte dem Vernehmen nach, dass jährlich nicht mehr als zehn Konzerte mit jeweils maximal 239 Besuchern stattfinden. Der jetzt unternommene Versuch, ihm über das Gewerberecht das Handwerk zu legen, ist zumindest vorerst ebenfalls gescheitert.

Kritiker sind nach dem Gerichtsurteil fassungslos. Die Linke-Abgeordnete Kerstin Köditz zeigte sich auf nd-Anfrage »irritiert«, dass man für die entscheidenden Erkenntnisse zur Untersagung des Gewerbes auf den Verfassungsschutz angewiesen war. »Noch verwunderlicher« sei, dass das Expertennetzwerk die juristischen Probleme nicht habe kommen sehen: »Das ist blamabel.« Köditz nannte es »schwer erträglich«, dass der bundesweite Rechtsrock-Hotspot »mit richterlichem Segen« wieder aufleben dürfe.

Auch Michael Nattke stellt sich nach dem Urteil die Frage, wofür der Verfassungsschutz überhaupt da sei, wenn seine Erkenntnisse wie im vorliegenden Fall nicht genutzt werden dürften. Dennoch lobt er die kommunalen Behörden für ihren Versuch, juristisch gegen die Konzerte in Staupitz vorzugehen. »Der Rechtsstaat zeigt damit, dass er sich so etwas nicht einfach bieten lässt«, sagte er und forderte, die Behörden dürften nun »in ihrer Kreativität nicht nachlassen«. Wenn Erkenntnisse des Geheimdienstes über regelmäßige Straftaten in Staupitz nicht zu verwenden seien, müssten Polizei und Ordnungsamt sich selbst um ebensolche bemühen: »Dann muss eben bei jedem Konzert ein Polizeibeamter oder ein Staatsanwalt anwesend sein.«

Die Konzerte zu unterbinden, hält Nattke für wichtig, weil diese für die Szene eine mehrfache Bedeutung haben. In einem Aufsatz für das »Demokratie-Jahrbuch 2022« des Else-Brenkel-Brunswick-Instituts verwies er auf ihren Charakter als »Erlebniswelt«, was die Bindung an die Szene festige. Zudem würden bei den Konzerten politische Netzwerke geknüpft und nicht zuletzt erhebliche Einnahmen zur Finanzierung rechter Aktivitäten erzielt. Nattke beobachtet eine starke Professionalisierung der Szene. Während die Konzerte in den 90er Jahren oft klandestin abgehalten wurden und immer das Risiko einer Auflösung durch die Behörden samt Verlust der Investitionen bestand, finden sie heute oft in Immobilien statt, die Nazis gehören oder zur Verfügung stehen. Neben Staupitz zählte dazu in Sachsen etwa das Hotel »Neißeblick« in Ostritz, wo Festivals mit Tausenden Besuchern stattfanden.

Insgesamt gab es in Sachsen seit 2017 einen massiven Zuwachs bei Nazi-Konzerten. Im Jahr 2019 fanden mindestens 50 statt, was bundesweit einen Spitzenplatz bedeutete. Nach einem Rückgang während der Pandemie habe es 2022 nach Angaben des Innenministeriums wieder 23 Konzerte gegeben, sagte Kerstin Köditz. Es existierten rund zwei Dutzend Nazi-Bands im Freistaat und 28 feste Treffpunkte, von denen die meisten »dauerhaft zur Verfügung« stünden. Bei Konzerten, merkt Köditz an, könne die Szene weitgehend unbehelligt vorgehen: Verbote oder Auflösungen, hieß es auf ihre Anfragen hin, seien der Staatsregierung »nicht bekannt«.

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