• Berlin
  • Ersatzfreiheitsstrafe

Freiheitsfonds kauft 26 Berliner Inhaftierte frei

Gegen die Kriminalisierung von Menschen in Not: Bündnis zahlt Geldstrafen für ticketloses Fahren

  • Merrin Chalethu
  • Lesedauer: 3 Min.
Arne Semsrott von dem Freiheitsfonds fordert am Dienstag das Ende von Ersatzfreiheitsstrafen für Fahren ohne Fahrschein.
Arne Semsrott von dem Freiheitsfonds fordert am Dienstag das Ende von Ersatzfreiheitsstrafen für Fahren ohne Fahrschein.

Zum sechsten Mal hat am Dienstag der vom Freiheitsfonds veranstaltete »Freedom Day« stattgefunden, an dem Menschen, die ohne Fahrschein gefahren sind, aus dem Gefängnis freigekauft werden. Ziel des Freiheitsfonds ist es, ticketloses Fahren als Strafbestand abzuschaffen und sich damit selbst überflüssig zu machen.

Im Dezember 2023 werden 73 Menschen in Deutschland freigekauft, 26 von ihnen aus Berliner Gefängnissen. Zusammengerechnet hätten sie ingesamt 3470 Tage im Gefängnis verbringen müssen. Das entspricht neuneinhalb Jahren Haft. In Berlin saßen im ersten Halbjahr 2023 wegen Ersatzfreiheitsstraßen rund 1600 Menschen in Haft, weil sie eine Geldstrafe wegen kleiner Delikte wie Diebstahl oder ticketloses Fahren nicht zahlen konnten.

Die Auslöse der Inhaftierten wird ausschließlich mit Spendengeldern von Einzelpersonen finanziert, über 700 000 Euro wurden seit Dezember 2021 dafür ausgegeben. Der Fonds fordert von der Bundesregierung die Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein und langfristig die kostenlose Nutzung des ÖPNV. Bisher wird das in deutschen Städten nur selten umgesetzt. Die Bestrafung, die der Paragraf 265a StGB vorsehe, treffe oft Menschen, die sich ohnehin in einer Notlage befänden, kritisiert der Freiheitsfonds. Erhöhte Beförderungsentgelte sei für armutsbetroffene Menschen nicht bezahlbar, wodurch sie sich mit einer Ersatzfreiheitsstrafe konfrontiert sehen.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Bei einer Kundgebung zum »Freedom Day« am Ostkreuz in Friedrichshain lesen Unterstützer*innen des Freiheitsfonds am Dienstagvormittag Briefe aus der Haft vor. »Ich leide unter PTBS. Ein Symptom davon ist der soziale Rückzug«, schreibt etwa Herr K.. Im Stress, den Menschenmassen bei ihm auslösen, hatte er vergessen, ein Ticket zu ziehen und wurde erwischt.

Ein Großteil der Betroffenen ist laut dem Freiheitsfonds arbeitslos. Viele seien vor häuslicher Gewalt geflohen, obdachlos oder auf Drogenentzug. Um nicht im Freien übernachten zu müssen oder Arztbesuche zu erledigen, müssten sie weite Strecken innerhalb der Großstädte überwinden. Von Kontrolleur*innen würden sie als Menschen zweiter Klasse behandelt.

Insbesondere mehrfach marginalisierte Personen berichteten von Machtmissbrauch bei Fahrkartenkontrollen, erwähnt Anna-Rebekka Helmy, die als Vertreterin der Petition »BVG weil wir uns fürchten« an der Kundgebung teilnimmt. Arne Semsrott, Gründer des Freiheitsfonds, bestätigt, dass »eine Gefängnisstrafe die Situation der Menschen in Not nur verschlimmert. Anstatt Menschen in die Gesellschaft wieder einzugliedern, bewirkt der Staat damit das Gegenteil.« Für die Freiheit, sich in einer Stadt zu bewegen, sollte niemand ins Gefängnis gehen müssen.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal