Wohnungssuche in Berlin: Keine Integration ohne Anmeldung

Die Initiative »Anmeldung für alle« möchte Neuzugezogenen die Anmeldung in Berlin erleichtern

Wer zur Zwischenmiete oder Untermiete wohnt, kann sich oft nicht in Berlin anmelden.
Wer zur Zwischenmiete oder Untermiete wohnt, kann sich oft nicht in Berlin anmelden.

»Ohne Anmeldeschein kann ich kein Bankkonto eröffnen. Ich habe keine Steuer-ID. Einen Arbeitsvertrag kann ich auch nicht abschließen.« Diese Beschreibung wird im Grünen Saal der Volksbühne verlesen. Am Mittwoch starteten dort mehrere Gruppen wie Kotti und Co, die Mieter*innengewerkschaft Berlin und Bloque Latinoamericano ihre Initiative »Afa – Anmeldung für alle!«.

Federführend wirkt Ciudad Migrante mit, eine Vereinigung latinoamerikanischer Leute in Berlin. Als sie im Zuge der Corona-Pandemie Workshops abhielten, wurde ihnen schnell bewusst, dass viele vom Problem der Wohnungssuche und der Schwierigkeit, sich in Berlin anzumelden, betroffen sind. »Es handelt sich nicht um eine abstrakte Idee, sondern um ein konkretes Problem. Das verbindet«, sagt ein Mitglied der Gruppe. Nun streben sie eine Lösung an.

Im gut gefüllten Saal schildert Ciudad Migrante das Problem, von dem viele in Berlin betroffen sind. Aufgrund der Wohnungskrise müssen Neuzugezogene sich mit überteuerten Zwischenmieten und Untermieten zufriedengeben. Eine Wohnungsgeberbestätigung und damit auch die Möglichkeit, sich in Berlin anzumelden, bleibt ihnen meist verwehrt. Das bedeutet, dass sie weder Zugang zu einem Bankkonto noch zu einer Steuer-ID haben. Einen legalen Arbeitsvertrag können sie deswegen ebenfalls nicht unterschreiben. Neuzugezogene befinden sich nicht nur in einer prekären Wohn-, sondern auch in einer unsicheren Arbeitssituation. Sie leben in ständiger Angst und Unsicherheit.

»Als ich zur Untermiete gewohnt habe, brannte die Wohnung. Mein erster Gedanke war, dass ich nicht nachweisen kann, dass ich hier gewohnt und meine Sachen hier hatte. Als Untermieterin konnte ich mich in Berlin nicht anmelden«, erzählt Laura, die vor zwei Jahren nach Berlin gekommen und schon acht Mal umgezogen ist. Als sie zwischenzeitlich keine Wohnung hatte, zog sie von einer Couch zur nächsten um. Möglich war das aber nur, weil sie bereits ein gutes Netzwerk hier in Berlin hatte. »Die Leute wissen nicht, was auf sie zukommt, wenn sie nach Berlin ziehen. Vor Ort stehen sie vor Problemen«, sagt sie.

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Laura betont, dass sie privilegiert sei. Nicht nur sei sie weiß und spreche deutsch, sondern sie habe auch einen belgischen Pass und habe Berlin bereits gekannt, bevor sie hergezogen sei. Seit einigen Tagen hat Laura eine Aussicht auf eine eigene Wohnung. Sie ist erleichtert: »Ich habe für einen Job und eine Arbeit in Berlin so sehr gekämpft. Ich werde hier nicht mehr wegziehen.« Wenn aber noch mehr Hürden auf sie zukommen sollten, dann sei sie sich nicht sicher, wie lange sie das noch mitmache.

Das Problem, sich nicht in Berlin anmelden zu können, betrifft nicht nur Migrant*innen, die in Berlin einen Bevölkerungsanteil von 23,9 Prozent ausmachen und deren Integration dadurch erschwert wird. Auch Obdachlose und nach Berlin umziehende Deutsche haben damit zu kämpfen. »Anmeldung für alle« will alle Betroffenen ansprechen.

An der Auftaktveranstaltung in der Volksbühne stellt die Initiative drei Forderungen vor: eine zentrale Universalanmeldung für alle in Berlin Wohnhaften für die Meldeadresse und Postanschrift, die Lösung der Wohnungskrise und die Entkriminalisierung von solidarischen Aktionen aus der Zivilbevölkerung, die Scheinanmeldungen ermöglichen. »Scheinanmeldungen sind nicht kriminell. Sie sind ein Symptom«, lautet es im Grünen Saal, was auf viel Zustimmung stößt. Die Aktiven der Initiative wissen, dass ihre Forderungen ambitioniert sind. Sie wollen aber so lange kämpfen, bis sie erfüllt sind. Obwohl sie verschiedene Hürden überwinden müssten, hätten sie ein Recht auf die Stadt, in der sie wohnten, plädiert jemand in der offenen Diskussionsrunde.

Diskriminierung erfahren die Wohnungssuchenden in Berlin in unterschiedlichen Kontexten. Jason Bustos, der inzwischen seit fünf Jahren hier wohnt, erzählt von einem Witz seines Vermieters, der Jason unterschwellig Verbindungen zur mexikanischen Mafia unterstellt. Melissa Antier berichtet von Sexismus, den sie auf Wohnungsbesichtigungen erfährt. Deshalb nimmt sie inzwischen ihren Freund zu den Terminen mit. Damit verliert sie aber ihre Unabhängigkeit als Frau. Neuzugezogene befinden sich als Wohnungssuchende sowie Untermieter*innen in einer Abhängigkeit des Machtgefälles.

Anmeldung für alle befindet sich noch in den Anfängen und orientiert sich an der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen, die weitläufig auf positive Resonanz gestoßen ist. Als nächstes wollen die Aktiven der Initiave das Thema in der Bevölkerung präsent machen und es auf die politische Agenda bringen. Dazu streben sie künftig auch einen Austausch mit dem Berliner Abgeordnetenhaus an.

Es müsse aufgezeigt werden, dass die Hürden der Anmeldung kein persönliches Problem seien, das nur Einzelne betreffe, sagt Tuk Wünsche von Ciudad Migrante. »Es ist ein politisches Problem. Wir brauchen eine Transformation. Dazu wird es auch eine Übersetzung ins Parlament brauchen.« Auch Jason Bustos sieht die Notwendigkeit einer solchen Transformation. »Systeme wirken sehr natürlich, wenn man sie als gegeben wahrnimmt. Wir dürfen sie aber anzweifeln und unsere Bedürfnisse aufzeigen«.

Die schwierige Situation ist auch in der Berliner Landespolitik bekannt. Niklas Schenker, Sprecher für Wohnen der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, bestätigt die Dramatik des Problems und schätzt die Initiative als sehr wichtig ein. »Es ist ein drängendes Problem, das viele Berliner*innen und insbesondere Migrant*innen betrifft. Hier sind Lösungen gefordert, die wir an den Bund richten müssen.«

Spezifisch auf dieses Problem zugeschnittene Hilfestellungen gibt es laut Schenker zurzeit nicht. Er schlägt in einem ersten Schritt ein Betroffenenportal des Senats vor. Betroffene können sich derzeit nur an die Mieter*innenberatung der Bezirke wenden. »Wir müssen die Dringlichkeit des Themas an den Senat herantragen.« Die Linke sei bereits im Austausch mit der Initiative und strebe an, im kommenden Jahr die Forderungen dem Parlament vorzulegen. Auch die Entkriminalisierung von Scheinanmeldungen sei hier wichtig. Kreative Lösungen dürften nicht kriminalisiert werden.

Eine Stellungnahme zu den Forderungen der Initiative der zuständigen Senatsverwaltung liegt dem »nd« bis Redaktionsschluss nicht vor. Die Initiator*innen von Anmeldung für alle sind aber entschlossen, ihren Forderungen Gehör zu verschaffen.

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