Wundervoller Wolfgang Wieland ist weg

Herausragender Grünen-Politiker und Ex-Justizsenator starb im Alter von 75 Jahren

Wolfgang Wieland 2006 als Abgeordneter im Bundestag
Wolfgang Wieland 2006 als Abgeordneter im Bundestag

Es sagt sich so leicht, dieser und jener Politiker habe ein Format besessen, das heutigen Parlamentariern fehlt. Aber bei Wolfgang Wieland von den Grünen stimmt es. Er war prägend für seine Partei mindestens in Berlin, aber auch über die Grenzen der Stadt hinaus. Er ist jetzt im Alter von 75 Jahren gestorben. Der Mann hatte nicht nur eine markante, tiefe Stimme. Was er sagte, hatte Gewicht. Als er 2001 für einige Monate Justizsenator wurde, schien es, als ob er in seinem Leben nie etwas anderes getan hätte und nie mehr etwas anderes tun will.

Doch so gut er sich auch bewährte, musste Wieland diese Funktion 2002 bereits wieder abgeben. Denn nachdem der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) über einen Bankenskandal gestolpert war, gab es eine von der PDS tolerierte rot-grüne Übergangsregierung. Doch nach der Neuwahl scheiterten die Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP nicht zuletzt daran, dass die Ideen von FDP und Grünen einfach nicht zusammenpassten. Das ist eine Situation, die man sich heutzutage angesichts einer Bundesregierung aus diesen drei Parteien und einer gewissen Ähnlichkeit von FDP und Grünen nur noch schwer vorstellen kann. Aber damals war das so – und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) einigte sich mit Gregor Gysi auf eine rot-rote Koalition, in der Gysi Wirtschaftssenator wurde. Seinerzeit war das in der alten Frontstadt Westberlin ein fast unglaublicher Vorgang, über den man sich heute aber auch nicht mehr wundert.

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Wieland wurde dann 2002 einmal mehr Fraktionsvorsitzender der Grünen im Abgeordnetenhaus. Das war er auch davor mit Pausen immer wieder gewesen – begonnen mit seinem ersten Einzug ins Parlament 1987, dem er bis 2004 angehörte. Dann riskierte er etwas. Wieland gab sein Mandat ab, suchte sich eine Wohnung im alten Weberviertel von Potsdam-Babelsberg und bildete im brandenburgischen Landtagswahlkampf jenes Jahres eine Doppelspitze mit der Bundestagsabgeordneten Cornelia Behm. Doch die Grünen, die in Brandenburg seit 1994 immer an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert waren, schafften es mit 3,6 Prozent auch damals nicht – sondern erst 2009 mit dem heutigen Umweltminister Axel Vogel an der Spitze wieder ins Landesparlament.

Von Wielands Intermezzo in Brandenburg bleibt aber eine Art Antrittsbesuch in Kleinmachnow bei Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) in Erinnerung. Den kannte Wieland, weil Schönbohm ja früher Berliner Innensenator war und erst 1999 nach Brandenburg wechselte. Ex-Bundeswehrgeneral Schönbohm und Rechtsanwalt Wieland hatten sich im Abgeordnetenhaus manches Rededuell geliefert. Jetzt aßen sie Gurkensuppe und Schöhnbohm stellte scherzhaft drohend klar, dass in Brandenburg keine Häuser besetzt werden. Wieland wiederum ließ sich vor einem Wahlkampf seiner Partei mit dem Slogan »Zapfenstreich, Herr General« ablichten.

Es war eine Zeit, in der die Grünen noch mit vielen witzigen und kreativen Aktionen auf sich aufmerksam machten – insbesondere die Berliner Grünen. Ihren Vorläufer, die Westberliner Alternative Liste, hatte Wieland 1978 mitgegründet. Das alternative Milieu im Westteil der Stadt speiste sich nicht zuletzt aus jungen Männern, die aus Westdeutschland zugezogen waren, um der Wehrpflicht zu entkommen. Wieland war in Berlin geboren und hatte hier an der Freien Universität Jura studiert, aber auch in Frankfurt am Main. 1973 verhängte die DDR ein mehrjähriges Einreiseverbot gegen ihn, weil er versucht hatte, Flugblätter zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten nach Ostberlin zu schmuggeln.

Nicht unerwähnt bleiben darf sein Engagement im Republikanischen Anwälteverein (RAV). »Der RAV trauert um einen wunderbaren Kollegen«, reagierte der Verein am Mittwoch auf die Todesnachricht. »Wolfgang war 1979 einer der Gründer des RAV, viele Jahre im Vorstand tätig und davon sechs Jahre erster Vorsitzender. Wir werden ihn so sehr vermissen.«

Ähnlich äußerten sich Bettina Jarasch und Werner Graf, die derzeitigen Fraktionschefs der Grünen im Abgeordnetenhaus. »Wir sind voller Trauer, einen wundervollen Menschen und leidenschaftlichen Politiker verloren zu haben«, heißt es in einer Erklärung der beiden. »Wolfgang Wieland liebte den Schachtelsatz und redete als Jurist trotzdem nie um den heißen Brei herum.« Und weiter: »Wir verlieren mit Wolfgang Wieland einen ganz Großen unserer Partei und Berlin verliert einen der Menschen, die in der Lage waren, Orientierung zu geben.« Er sei ein Staatsmann, nach dessen Reden am liebsten auch die anderen Fraktionen geklatscht hätten, »weil er einfach überzeugt hat«.

Indirekt bestätigte das der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), der anerkennend bemerkte, Wieland habe durch klare Worte, klare Haltung und Sachkenntnis überzeugt. »Politische Debatten im Abgeordnetenhaus – und später im Bundestag – bestritt er leidenschaftlich und doch humorvoll.«

Als Bundestagsabgeordneter spielte Wieland nicht die herausragende Rolle wie seine politische Weggefährtin Renate Künast, die Bundesagrarministerin war und Fraktionsvorsitzende genau in den Jahren, die Wieland im Bundestag saß – also von 2005 bis 2013. Er kannte sie nicht nur aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, sondern auch als Rechtsanwältin in seiner Kanzlei. Wieland wirkte im NSU-Untersuchungsausschuss mit. Bei der Wahl 2013 trat er nicht erneut an, betätigte sich aber noch als Sonderermittler des Wirecard-Untersuchungsausschusses.

Rechtsanwalt Wieland stand nicht nur für Gerechtigkeit ein, sondern auch für soziale Gerechtigkeit. Im Oktober 1992 warnte er im nd-Interview: »Wir steuern auf eine Gesellschaft zu, in der ein Drittel der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt.«

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