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  • Geschichte der Frauenbewegung

Zwischen Herablassung und Selbstbestimmung

In »Stärker als Wut« schreibt Stefanie Lohaus eine Geschichte der Frauenbewegung(en) in West- und Ostdeutschland

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 7 Min.
Am 30. April 1983 fand in Westberlin die traditionelle Walpurgisnacht-Demo statt.
Am 30. April 1983 fand in Westberlin die traditionelle Walpurgisnacht-Demo statt.

Stefanie Lohaus gehörte 2008 zu den Gründerinnen des »Missy Magazin«, ein damals viel beachteter, popkulturell inspirierter publizistischer Gegenentwurf zu der längst etablierten, von Alice Schwarzer herausgegebenen Zeitschrift »Emma«. Heute arbeitet sie dort nur noch beratend mit, seit 2023 ist sie Teil des Leitungsteams in der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Berlin, einem Forschungs- und Beratungsinstitut für mehr Vielfalt in Führungspositionen. Jetzt zieht Lohaus eine Bilanz feministischer Bewegungen aus deutscher Perspektive – und nimmt dabei eine unaufgeregt vermittelnde Position ein.

Ihr Buch versteht sich als historische Aufarbeitung und zugleich als richtungsweisender Appell. Die Autorin, 1978 geboren und aufgewachsen im niederrheinischen Dinslaken am Nordrand des Ruhrgebiets, bezieht sich immer wieder auf eigene Erfahrungen, sie verwendet daher häufig die Ich-Form. Zielgruppe ist ein breites Publikum, Lohaus schreibt bewusst nicht in einem wissenschaftlichen Duktus. Die zahlreichen Verweise auf zentrale Werke der Frauen- und Geschlechterpolitik im In- und Ausland machen aber deutlich, wie intensiv die Autorin auch originäre Quellen durchforstet hat.

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Lohaus gliedert ihr generationenübergreifendes Porträt etwas schematisch in fünf zeitliche Abschnitte: die 80er (»Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine«), die 90er (»Lasst es glitzern, lasst es knallen, Sexismus in den Rücken fallen«), die 2000er (»Was kotzt uns richtig an? Die Einteilung in Frau und Mann«), die 2010er (»Nein heißt Nein, No means No, wer das sagt, der meints auch so«) und die 2020er (»Eure Kinder werden so wie wir, eure Kinder werden queer«). Die den jeweiligen Jahrzehnten zugeordneten, etwas bemüht klingenden Verszeilen sollen Entwicklungslinien aufzeigen, die sehr unterschiedliche feministische Strömungen dokumentieren.     

Unvollendete Gleichberechtigung

Lohaus hat eine vorwiegend westdeutsche Sicht, im Kapitel über die 90er Jahre geht sie jedoch dezidiert auf die Situation in Ostdeutschland ein. Schon vor der Vereinigung seien dort »circa hundert informelle, vom Staat unerwünschte Frauengruppen entstanden«. Sie unterteilt diese Bewegung grob in drei Strömungen: die »Frauen für den Frieden«, die im Kalten Krieg vor allem eine Ausweitung der Wehrpflicht auf das weibliche Geschlecht verhindern wollten; christliche Gruppen, die sich mit der männlichen Vorherrschaft in Theologie und Kirche auseinandersetzten; und schließlich lesbische Frauen, »die ansonsten wenig Möglichkeiten hatten, ihre sexuelle Identität zu entwickeln, Öffentlichkeit zu schaffen oder auch nur an Informationen zum Thema zu gelangen«.

Die Autorin benennt und würdigt die zum Teil besseren Voraussetzungen für Emanzipation in der früheren DDR: das liberalere Abtreibungsrecht, die frühere Legalisierung der Homosexualität, die umfassende Kinderbetreuung, die vollkommen selbstverständliche weibliche Erwerbsbeteiligung mit ihren nicht zu unterschätzenden Auswirkungen auf die Machtbalance in privaten Beziehungen. Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus, so die These von Lohaus, sei aber deutlich geworden, dass »die von oben verordnete Gleichberechtigung unvollendet geblieben war und Rollenstereotype nie wirklich aufgelöst wurden«. Zu einem wichtigen Ventil, um Kritik zu üben, wurden literarische Werke. Vor allem Maxie Wanders Frauenprotokolle »Guten Morgen, du Schöne« trafen einen Nerv, behandelten tabuisierte Themen wie sexualisierte und häusliche Gewalt: »Begriffe wie Patriarchat oder Feminismus wurden dabei jedoch ausgespart.«   

Weniger als einen Monat nach der Öffnung der Mauer gründete sich in der Berliner Volksbühne der Unabhängige Frauenverband, der bei den Volkskammerwahlen 1990 zusammen mit der Grünen Partei kandidierte, um seine Anliegen auch parlamentarisch zu vertreten. Das Bündnis gewann acht Mandate, der UFV ging bei der Vergabe der Listenplätze allerdings leer aus. Die folgende Abwicklung der ostdeutschen Wirtschaft durch die Treuhand traf weibliche Beschäftigte besonders hart, viele von ihnen wurden arbeitslos. Und auch die Kooperation mit den westdeutschen Feministinnen stieß auf Hindernisse. Manche Ost-Frauen fühlten sich herablassend behandelt, Ziele und Prioritäten unterschieden sich deutlich: Im Westen lag der Fokus auf eher privaten Themen wie sexueller Selbstbestimmung, im Osten ging es vorrangig um den Erhalt der emanzipatorischen Errungenschaften der DDR.

Gegenseitige Abwertung

In der alten Bundesrepublik waren gleichstellungspolitische Forderungen in den 80er Jahren schrittweise salonfähig geworden, Frauen begannen, Ämter und Institutionen zu erobern. Alice Schwarzer, die mit ihrer Kampagne gegen den Paragrafen 218 einst die zweite Welle der feministischen Bewegung angestoßen hatte, verlor aber zusehends an Ausstrahlung als Vorbild. Jüngere Mitstreiterinnen suchten neue Wege, so auch Stefanie Lohaus. Die Resonanz auf das Erscheinen der »Missy«, erinnert sich die Autorin, war überwältigend. »Die Medienberichterstattung über uns handelte fast immer davon, dass wir neu seien und uns vom alten Feminismus abgrenzen.« Diese permante Zuschreibung habe sie als »entsolidarisierend« empfunden, »schließlich war uns klar, dass wir das Rad nicht neu erfunden hatten«. In fast jedem Interview sei sie damals nach Schwarzer gefragt worden. »Unsere Antworten glichen einer Gratwanderung, wir verfolgten keine Spaltung der Generationen.«

Doch inzwischen zieht sich, vor allem wenn es um Themen wie Sexarbeit oder die Rechte von Transpersonen geht, ein Graben durch die Bewegung. Er verläuft – nicht nur, aber auch – entlang der Alterskohorten, trennt frühe von Post- oder Netzfeministinnen. Gerade in der Queer-Szene hat sich die Abneigung gegen Schwarzer derart verfestigt, dass deren unbestreitbare Verdienste um die Rechte von Frauen im Gender-Diskurs kaum noch gewürdigt werden. Zum einen liegt das an latent fremdenfeindlichen Kampagnen, die sich zum Beispiel in ihrer Bewertung und Nachbereitung der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht offenbarten. Doch auch die Positionen von »Emma« zur Prostitution und erst recht zur Identitätspolitik stoßen auf starken Widerspruch.

Die Frauenbewegung, konstatiert Lohaus, sei »die erfolgreichste Bewegung des 20. Jahrhunderts« – weil sie an die »demokratischen Werte von Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit anschloss«, die dem weiblichen Geschlecht bis dahin verweigert worden waren: »Feminist*innen waren und sind vereint in dem Bestreben, diese Werte zu leben und Wirklichkeit werden zu lassen. Was sie trennt, sind Fragen danach, wessen Erfahrungen im Zentrum der Auseinandersetzung stehen sollten.« Das ist diplomatisch formuliert, verdeckt aber ein wenig die tief sitzenden Kontroversen, die heutzutage die Debatte prägen.

Denn das von der französischen Ikone Simone de Beauvoir geprägte Umfeld Schwarzers und das von der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler beeinflusste LGBTQ-Milieu diskutieren kaum noch miteinander. Statt dessen markieren sie sich gegenseitig mit abwertenden Attributen. Terf zum Beispiel steht für »Trans excluding radical feminists«, mit diesem Etikett wurde als eine unter vielen die britische »Harry Potter«-Autorin Joanne K. Rowling angegriffen, weil sie in öffentlichen Äußerungen auf der biologischen Binarität der Geschlechter beharrt hatte. Hingegen wettert »Emma« ständig gegen eine Anything-goes-Mentalität, die es angeblich Personen mit Penis erlaube, in geschützte Räume wie Frauenhäuser oder Frauensaunen »einzudringen«.

Interessant ist aus der Sicht des männlichen Verfassers dieser Rezension, dass die zumindest in Westdeutschland einst sehr grundsätzlich debattierte Frage, ob auch Männer zur feministischen Emanzipation beitragen können, weitgehend in den Hintergrund gerückt ist. In den 70er und auch noch in den 80er Jahren wollte die Frauen- und Lesbenbewegung aus durchaus verständlichen Gründen erst einmal unter sich sein. Die geschlechterpolitischen Diskurse vor allem in internationalen Netzwerken und in der Förderungspraxis der Europäischen Union folgen bis heute der einseitigen Devise »Gender means women«. So ist ein Vakuum entstanden, das Maskulinisten versuchen zu nutzen. Die vor allem in den Echokammern des Internets präsente »antifeministische Männerrechtsbewegung« inszeniert sich als Opfer. Sie behauptet, nicht Frauen, sondern Männer seien mittlerweile in nahezu jeder Lebenslage benachteiligt.

Schon in der Anfangsphase der zweiten Frauenbewegung half es wenig, Männer als »soziale Idioten« abzuwerten, wie es der männerbewegte Autor Volker Elis Pilgrim selbstgeißelnd tat – oder sie, wie die Wiener Feministinnen Cheryl Benard und Edit Schlaffer in ihrer süffisanten Klageschrift »Viel erlebt, nichts begriffen« als lernunfähige Wesen zu schildern. Auf Augenhöhe debattieren und kooperieren kann man nur mit einem Gegenüber, das nicht ständig mit Vorwürfen überhäuft wird. Das geschlechterpolitische Spektrum hat sich erweitert; intersektionale Themen, aber auch die genderdialogisch orientierte Selbstvertretung männlicher Interessen haben inzwischen eine eigenständige Legitimation. Gut, dass Autorinnen wie Stefanie Lohaus hier zu einer neuen Offenheit beitragen.   

Stefanie Lohaus: Stärker als Wut. Wie wir feministisch wurden und warum es nicht reicht. Suhrkamp, 272 S., 20 €.

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