Chemnitzer Hetzjagd vor Gericht

Rechte Schläger müssen sich für Übergriffe im Jahr 2018 verantworten. Kritik an langsamer Aufarbeitung

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Hetzjagd währte eine knappe halbe Stunde. Es war der 1. September 2018 in Chemnitz; abends halb acht war in der Innenstadt eine Kundgebung mit dem Titel »Herz statt Hetze« zu Ende gegangen, die sich gegen fremdenfeindliche Ausschreitungen der vorangegangenen Tage in der Stadt richtete. Diese hatten sich am gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen beim Chemnitzer Stadtfest entzündet, den die rechte Szene für ausländerfeindliche Hetze instrumentalisierte. Sie kulminierte in einem »Trauermarsch«, zu dem AfD, Pegida und die rechtsextreme Gruppierung Pro Chemnitz aufgerufen hatten. Zu dessen Teilnehmern zählten rechte Schläger, die teils von weither angereist waren und im Anschluss an ihren Aufzug Gegendemonstranten jagten – oder, wie sie es nannten, »Deutschlandverräter«.

Den Begriff zitiert der Anklagevertreter in einem Prozess, der fünf Jahre später an diesem Montag am Landgericht Chemnitz begonnen hat und in dem es um brutale Übergriffe auf elf Teilnehmer von »Herz statt Hetze« geht. Sie wurden Opfer eines rechten Mobs mit knapp 30 Beteiligten, der bei vier Vorfällen binnen weniger Minuten in der Chemnitzer Innenstadt über mehrere Gruppen von vermeintlich Linken herfiel: Menschen, die »Peace«-Schilder, SPD-Fahnen oder bunte Teddybären mit sich trugen, daraufhin von den Rechten als »Zecken« identifiziert, beschimpft und geschlagen wurden, teils mit behandschuhten Fäusten ins Gesicht. Rund 20 Minuten wütete der Trupp, bevor er von Bereitschaftspolizisten festgesetzt wurde. Etliche Beteiligte wiesen dabei »Kampfspuren« auf, sagte eine Zeugin, darunter Blutspuren an ihrer Kleidung.

Vier der damals Beteiligten, die zwischen 26 und 44 Jahren alt sind und aus Sachsen, Hessen und Niedersachsen stammen, sitzen jetzt auf der Anklagebank. Ihnen werden Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Eigentlich hätte in diesem ersten von drei geplanten Verfahren gegen neun Beschuldigte verhandelt werden sollen. Einem bulgarischen Tatbeteiligten aber konnte die Anklage nicht zugestellt werden. Von einem anderen Täter war bereits vorab bekannt, dass er untergetaucht ist. Von einem weiteren wurde im Gerichtssaal bekannt, dass er im November eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren in Dortmund nicht angetreten hatte und seither spurlos verschwunden ist. Auch ein weiterer Angeklagter erschien nicht zur Verhandlung. Er befindet sich nach Angaben seines Verteidigers seit voriger Woche wegen akuter Suizidgefahr in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung. Das Gericht entschied, das Verfahren gegen diese beiden abzutrennen. Dem Antrag eines Verteidigers, den Prozess insgesamt auszusetzen, weil alle Täter »gemeinschaftlich angeklagt« seien, gab der Vorsitzende Richter Jürgen Zöllner nicht statt. Verfahren seien, sagte er zur Begründung, »zügig und ohne vermeidbare Verzögerung« durchzuführen.

Dieser Satz muss in den Ohren der Geschädigten freilich wie Hohn klingen. Allein bis zur Erhebung der Anklage im September 2021 habe es nach der Tat drei Jahre gedauert, kritisierten die Opferberatungsstellen der RAA Sachsen und von Response Hessen. Seither sind weitere zwei Jahre verstrichen. Die Verletzten, von denen einige im Prozess als Nebenkläger auftreten, fühlten sich »vom Rechtsstaat im Stich gelassen«. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) erklärte, die schleppende juristische Aufarbeitung der Vorfälle von 2018 in Chemnitz »entmutigt die Angegriffenen und stärkt militante Neonazinetzwerke«. Die sächsische Linksabgeordnete Jule Nagel äußerte sich ähnlich. Sie hatte zum fünften Jahrestag der Ausschreitungen vor drei Monaten bilanziert, von insgesamt 164 danach eingeleiteten Verfahren wegen rechtsmotivierter Straftaten seien 100 eingestellt worden. Für Betroffene sei das »ernüchternd«.

In dem jetzt begonnenen Verfahren, für das Antifaschisten zur »Prozessbegleitung« aufgerufen hatten und das vermutlich nicht zuletzt deshalb unter starken Sicherheitsvorkehrungen stattfindet, äußerten sich die verbliebenen vier Angeklagten zunächst nicht. Ihre Verteidiger drängten stattdessen auf eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung und verwiesen darauf, dass die Angeklagten nicht vorbestraft seien. Ein einstündiges »Rechtsgespräch« zwischen Gericht, Verteidigern sowie den Vertretern von Generalstaatsanwaltschaft und Nebenklage blieb aber ohne Ergebnis. Die Anklage habe eine Einstellung nach Angaben des Vorsitzenden Richters zwar »nicht grundsätzlich ausgeschlossen«, mache aber »umfassende Einlassungen« und einen Beitrag zur »weitergehenden Sachaufklärung« zur Vorbedingung. Ob und in welchem Unfang das geschieht, blieb zunächst offen. Die Nebenklage lehnt einen Deal nach Angaben Zöllners »eher ab«. Das Gericht hat zunächst zehn Verhandlungstage bis Ende Januar angesetzt. Für zwei weitere Prozess-Staffeln gegen je zehn Beteiligte gibt es noch keine Termine.

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