Ausstellung zu Pädokriminalität: Besser wir als die anderen

Das Schwule Museum arbeitet sexuelle Gewalt gegen Kinder in der Schwulenzene auf – und stellt sich dabei auch der eigenen Vergangenheit

  • Laura Meng
  • Lesedauer: 4 Min.
Ruhig und nüchtern: Mit seiner Ausstellung will sich das Schwule Museum der eigenen Verantwortung stellen.
Ruhig und nüchtern: Mit seiner Ausstellung will sich das Schwule Museum der eigenen Verantwortung stellen.

Der Eingang zur Ausstellung im Schwulen Museum in Mitte wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Rote Texttafeln und eine Wand aus weißen Kartons, die ein Archiv darstellen sollen, sind alles, was zu sehen ist. Keine Bilder, keine Installationen. »Es sollte keine schöne Ausstellung werden«, sagt Tino Heim, Mitglied des Kurator*innenteams, zu »nd«. Die nüchterne Darstellung sei Teil des »Gesamtanspruchs«. Für das Museum geht es mit der Ausstellung »Aufarbeiten: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Zeichen von Emanzipation« eben auch um die eigene Verantwortung.

Am Anfang der Ausstellung steht der Paragraf 175: Lange stellte der 1871 im Deutschen Kaiserreich eingeführte Paragraf sexuelle Handlungen zwischen Männern, egal welchen Alters, unter Strafe. Mit den Jahren wird die Gesetzgebung entschärft, verbietet zunächst nur noch den Verkehr mit Männern unter 21, später mit unter 18-Jährigen. Für heterosexuellen Verkehr mit Minderjährigen liegt das Schutzalter währenddessen bei 14 Jahren. In der BRD wird der Paragraf schließlich 1994 gestrichen. In der DDR wird er 1968 vom Paragrafen 151 abgelöst.

Das Schwule Museum, welches das zweitgrößte queere Archiv der Welt birgt, und das Archiv der Deutschen Jugendbewegung (AdJb) haben zahlreiche Zeugnisse sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zusammengetragen. Die Dokumente wurden nicht nur aufbewahrt, sondern auch unkritisch, teils sogar bewundernd, ausgestellt.

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Seit sieben Jahren habe das Team immer wieder versucht, Förderung für das Ausstellungsprojekt zu erhalten, erklärt Kurator Volker Woltersdorff »nd«. »Jetzt ist es möglich geworden.« Dass die Ausstellung lange nicht realisiert wurde, hing auch mit Bedenken zusammen, sie würde rechten Vorurteilen in die Hände spielen. Wiederum Tino Heim sieht das anders: »Ich denke, dass es den emanzipatorischen Anspruch und die Bewegung stärker macht, wenn sie sich mit ihren eigenen Widersprüchen und Schattenseiten auch auseinandersetzt.« Reaktionären Kreisen dürfe das Thema nicht überlassen werden.

Bis 2011 sah die Gründungssatzung des Trägervereins des Schwulen Museums vor, dass das Museum und dessen Archiv auch die Geschichte der sogenannten Knabenliebe weiterträgt. Das AdJb wiederum sah sich bis 2002 dem Erbe von Gustav Wyneken verpflichtet, der bereits 1922 als Sexualstraftäter verurteilt wurde.

Die beiden Institutionen versuchen nun, die Missbrauchszeugnisse in einem neuen, selbstkritischen Kontext darzustellen – Bücher, Fotos, Artikel. Die besonders expliziten Inhalte wurden mit roter, transparenter Folie überklebt. »Man kann Gewaltverhältnisse und Machtverhältnisse nicht thematisieren und problematisieren, ohne sie zu einem gewissen Grad auch zu zeigen«, sagt Heim.

Das Herzstück der Ausstellung bildet das Gemälde »In der blauen Grotte von Capri« von Ferdinand Flor, das um 1837 gemalt wurde. Was darauf zu sehen ist, wird nur auf einer gläsernen Texttafel beschrieben, das Bild dahinter hängt mit dem Rücken zum Publikum. Die Künstlerin Claudia Reiche hat sich dazu entschieden, die pädoerotisch anmutende Darstellung nackter, fischender Jungen nicht zu zeigen.

Thematisiert werden außerdem Gruppierungen und Institutionen, die Schauplatz pädosexueller Gewalt waren. Jugendbewegungen nahmen eine zentrale Rolle in der emanzipatorischen Zeit ein, bargen aber oftmals auch einen sicheren Raum für Täter*innen. Als Beweise dienen Berichte in Form von Videos oder Audioaufnahmen. Ein Betroffener, Ingo, erzählt davon, wie er lange versuchte, seine Täter zu schützen, und schließlich auf dem Babystrich am Bahnhof Zoo landete.

Allerdings geht es nicht allein um Pädosexualität in der Schwulen- und Jugendbewegung, sondern auch um die Stigmatisierung, mit der gerade schwule Männer seit jeher zu kämpfen haben: Ein alter, vermeintlich aufklärerischer Film zeigt, wie sich ein homosexueller Lehrer erst mit seinem Schüler anfreundet, mit ihm Briefmarken tauscht und ihn dann missbraucht.

Das rechte Narrativ, queere Menschen würden sich an Kindern vergehen und diese so selber zu Homosexuellen machen, findet sich auf Plakaten der NSDAP, auf denen von »Kinderschändern« und »Knabenverderbern« die Rede ist, aber auch in der Gegenwart. Bei der rechten »Demo für alle«, die im Januar in Berlin stattfand, wurde beispielsweise vor sexuellen Übergriffen in LSBTI*-Kitas gewarnt.

Bisher gab es kaum öffentlichen Gegenwind. Nur ein paar verbliebene Stimmen der pädoaktivistischen Szene werfen dem Museum vor, nun auch Schwule pauschal zu diskreditieren und kriminalisieren. »Das wollen wir dezidiert nicht und denken auch nicht, dass wir das tun«, weist Woltersdorff zurück.

Der Aufarbeitungsprozess selbst soll mit der Ausstellung nicht vorbei sein: Die Kurator*innen weisen auf Angebote hin, die Betroffene von pädosexueller Gewalt, aber auch Menschen mit pädophiler Neigung unterstützen. Ein Betroffener fasst den Wunsch nach Aufarbeitung in einer der ausgestellten Interviewsequenzen zusammen: »Ich erhoffe mir durch diese Ausstellung auch, dass es innerhalb der Community zu einem Diskurs kommt.«

Die Ausstellung ist bis zum 26. Februar 2024 im Schwulen Museum in Berlin-Mitte zu sehen.

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