Dienstleistungsjobs: Arbeiten, wenn andere freihaben

Für Beschäftigte in direktem Kundenkontakt ist die Adventszeit besonders belastend

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn Sie ein Paket zugestellt bekommen, könnte die Interaktion mit dem Paketboten darüber entscheiden, ob Sie bei diesem Versandhandel noch mal bestellen oder nicht. Bei einem Konzert dürfte die Mitarbeiterin am Einlass, die das Ticket scannt und den Platz zuweist, ebenso Ihre Erfahrung an diesem Abend beeinflussen.

Beschäftige, die in direktem Kundenkontakt stehen, gibt es in allen Branchen: Sogenannte Frontline Worker arbeiten im Handel, am Flughafen, am Bankschalter, in der Logistik, im Restaurant sowie in der Krankenpflege. Sie stehen hinter den Schaltern, führen Telefongespräche und stellen die täglichen Betriebsabläufe sicher. Sie sind Aushängeschilder der Unternehmen.

Doch so wichtig ihre Arbeit ist, so wenig dürfte sich bei ihnen Feiertagsstimmung einstellen. Denn mehr als ein Drittel der Frontline Worker war in diesem Jahr von finanzieller Unterstützung durch Freund*innen und Familie abhängig, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. 15 Prozent sind auch über Weihnachten auf solche Hilfe angewiesen. Zudem musste rund ein Viertel eine der 960 Tafeln oder Essensabgaben in Anspruch nehmen. Diese Zahlen stammen aus einer Studie des schwedischen Beratungsunternehmens Quinyx, das 1000 Beschäftigte, die in Deutschland in den genannten Branchen arbeiten, zu ihrer finanziellen Situation befragt hat. Die Umfrage wurde in sechs weiteren europäischen Ländern durchgeführt.

Die Ergebnisse zeigen: Vor allem die Advents- und Weihnachtszeit ist für die Frontline Worker belastend, denn sie ist besonders anstrengend, sagt Maximilian Thost von Quinyx. Rund zwei Drittel leisteten im Dezember Überstunden, häufig mehr als fünf Stunden pro Woche. »Zwölf Prozent erhalten dafür keinen finanziellen oder zeitlichen Ausgleich«, erklärt Thost.

Vor allem in Berufen in Einzelhandel, Logistik und Gastronomie, die vor Weihnachten besonders stark nachgefragt werden, ist die Stimmung daher schlecht. Angestellte im Handel mögen die Arbeit im Dezember am wenigsten. Grund dafür ist der Stress durch die hohe Arbeitsbelastung sowie ungeduldige Kund*innen.

Der Stresspegel ist nur in der Gastronomie höher. Zwei Drittel der Beschäftigten stehen stark unter Druck, und 62 Prozent empfinden ihre Gäste als ungeduldig. Auch fast zwei Drittel der Angestellten im Bereich Lager und Logistik bekommen die hohe Arbeitsbelastung zu spüren. Für mehr als die Hälfte unter ihnen ist allerdings ein anderer Umstand das größte Problem: dass sie an Tagen arbeiten müssen, an denen andere freihaben.

Trotz der anstrengenden Arbeit reicht es für viele am Ende des Tages finanziell nicht. So müssen rund 35 Prozent der Befragten ihren Dispo ausreizen oder gar einen Kredit aufnehmen. Daher feiert auch mehr als ein Viertel das Weihnachtsfest nicht wie gewohnt. Ebenso viele fühlen sich unter Druck gesetzt, Geld auszugeben, obwohl sie es nicht haben.

Mit ihren finanziellen Sorgen teilen die Frontline Worker die Erfahrung vieler Beschäftigter in der Bundesrepublik. Denn laut dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ist mangelnde Kaufkraft der Beschäftigten ein großes Problem. Zwar sind laut einer Studie die Tariflöhne in Deutschland im Jahr 2023 nominal gegenüber dem Vorjahr im Schnitt um 5,6 Prozent gestiegen. Da jedoch die Inflation im selben Jahr 6 Prozent betrug, ergebe sich hieraus ein Minus bei den Reallöhnen.

Hinzu kommt, dass sich bundesweit nur 41 Prozent der Beschäftigten in einem Arbeitsverhältnis befinden, das durch einen Tarifvertrag geregelt ist. Insbesondere in den Dienstleistungsbereichen ist diese Quote besonders gering. Diese Beschäftigungsverhältnisse sind oft prekär, kaum abgesichert und schlechter entlohnt als tarifgebundene Jobs.

Doch die Beschäftigten wehren sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Das nächste Jahr dürfte daher wieder vermehrt Streiks – auch bei den Frontline Workern – mit sich bringen. Insbesondere im Einzelhandel sowie im Groß- und Außenhandel, wo bereits seit mehreren Monaten ergebnislos verhandelt wird, könnte es zu weiteren Ausständen kommen. Im Jahr 2024 starten zudem wieder Tarifverhandlungen in weiteren großen Branchen. Zwar habe sich die Inflation etwas entspannt, sagt der WSI-Experte für Arbeits- und Tarifpolitik Thorsten Schulten bei der Veröffentlichung der Studie. Jedoch seien »steigende Reallöhne auch deshalb wichtig, um die schwache Konjunkturentwicklung in Deutschland zu stabilisieren«.

Gerade für die Beschäftigten im Dienstleistungssektor geht es beim Kampf um Lohnerhöhungen darum, überhaupt am sozialen Leben teilhaben zu können. Mehr Geld heißt für sie auch mehr Würde und Anerkennung. Und es bedeutet: Weihnachten genug in der Tasche zu haben, um sich Geschenke für Freund*innen und Familie leisten zu können.

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