»Lillemors«: »Wir hatten das Glück, klare Feindbilder zu haben«

»Lillemors« in München, der erste Frauenbuchladen Deutschlands, musste dieses Jahr schließen. Ein Gespräch mit den letzten beiden Betreiberinnen

  • Lena Böllinger
  • Lesedauer: 7 Min.
Das war der Frauenbuchladen »Lillemors« in der Barer Straße 70 in München.
Das war der Frauenbuchladen »Lillemors« in der Barer Straße 70 in München.

Sie haben über 40 Jahre lang »Lillemors« betrieben. War es schwer, den Laden dichtzumachen?

Ursula Neubauer: Nein. Ich bin raus und habe gesagt: That’s it. Ich habe dort mehr als mein halbes Leben verbracht und ich glaube, ich habe es gut gemacht. Warum sollte ich gramgebeugt zu Hause sitzen und jammern? Ich war sogar ein bisschen erleichtert. Denn der Buchladen war eine prekäre Angelegenheit. Das war auch der Grund, warum vom ursprünglichen Buchladen-Kollektiv am Ende nur noch ich und Andrea übrig blieben: Niemand konnte oder wollte für so wenig Geld arbeiten, geschweige denn die finanzielle Verantwortung als Geschäftsführerin übernehmen. Diese Geldsorgen hingen all die Jahre wie ein Damoklesschwert über uns. Ich bin froh, dass dieser Druck jetzt weg ist.

Andrea Gollbach: Auch ich habe die Entscheidung keine Sekunde bereut. Aber es ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, als klar war, dass da kein Nagelstudio aufmacht, sondern wieder ein feministischer Buchladen.

Interview

»Lillemors Frauenbuchladen« wurde am 3.11.1975 von Susanne Aeckerle, Ute Geißler, Sabine Holm Mara Kraus, Gerlinde Kowitzke und Monika Neuser gegründet – nach dem Vorbild der Pariser »Librairie des Femmes«. Ursula Neubauer (*1946) kam 1979 zum Frauenbuchladen, Andrea Gollbach (*1957) war seit 1981 dabei.

Der neue Buchladen, der in die alten Räumlichkeiten eingezogen ist, heißt »Glitch«. Der Begriff wird vor allem in der Gaming-Szene verwendet und bedeutet in etwa »Fehler im System«. »Lillemors« dagegen kommt aus dem Schwedischen und heißt »Mütterchen«. Das klingt nach einem recht großen Unterschied zwischen den Generationen.

Neubauer: Na ja, die Namensgebung damals war eher eine Nottaufe. Als die Gründerinnen den Laden bei der Handelskammer registrieren wollten, sollte der eigentlich einfach nur »Frauenbuchladen« heißen. Da bekamen die Frauen zu hören: »So was gibt’s nicht, da muss ein gescheiter Name her.« Die Entscheidung für »Lillemors« war dann spontan.

Gollbach: Aber es stimmt schon: Der neue Buchladen hat ein anderes Konzept und andere Ansprüche, das ist kein Frauenbuchladen mehr. Deswegen ist es für mich auch kein klassischer Generationenwechsel. Den Neuen ist aber der Feminismus immer noch wichtig und das macht mir Hoffnung. Sie könnten sich ja auch einfach nur »Queer Bookstore« nennen und sagen, dass das die ganze Bewegung subsumiere.

Sie spielen auf einen Konflikt innerhalb der feministischen Bewegung an: Sollen die Frauen und ihre Lebenswirklichkeiten im Zentrum stehen? Oder soll der Feminismus sich um ganz unterschiedliche diskriminierte Gruppen kümmern?

Neubauer: »Lillemors« wurde gegründet, um Frauen sichtbar zu machen in unserer Gesellschaft. Man muss sich die Situation damals klarmachen: Abtreibung? Verboten. Eigenes Konto, arbeiten gehen? Nur mit Erlaubnis des Mannes. Wir wollten eine eigenständige Wertschätzung für die Frauen, ihre unbezahlte und bezahlte Arbeit, ihre gesellschaftlichen Leistungen. Die Frau stand im Mittelpunkt. Und ob Männer das jetzt gut fanden oder nicht, das war uns völlig arschegal.

Im neuen Buchladen arbeitet hingegen ein Mann mit.

Gollbach: Ja, es ist eben kein Frauenbuchladen mehr. Aber in einem feministischen Buchladen können ja auch Männer oder Transpersonen und alle möglichen Geschlechter arbeiten. Warum denn nicht?

Neubauer: Der Mann, der im neuen Buchladen mitarbeitet, ist eigentlich Professor an der TU München. Er war Kunde, hat bei uns seine Bücher bestellt. Als er erfuhr, dass wir schließen, wollte er das verhindern.

Er hat unter anderem an der Universität bei seinen Mitarbeiterinnen herumgefragt. Jetzt stemmt ein kleines vierköpfiges Team ehrenamtlich den neuen Buchladen – am historischen Ort von »Lillemors«.

Neubauer: Ich dachte zuerst: Na ja, dein Wort in Gottes Ohr. Es wird ja viel geredet, wenn der Tag lang ist. Aber nein! Er hat es wirklich getan und das rechne ich ihm hoch an.

Unter anderen Umständen – Feminismus für alle

Unter anderen Umständen ist der monatliche Podcast von Felicia Ewert. Gespräche zu politischen Ereignissen, über die sie unter anderen Umständen nicht sprechen müsste. Schonungslos intersektional: Feminismus für alle. Jeden Monat neu auf dasnd.de/umstaende

Es geht aber um mehr als um eine Personalie. »Glitch« will zum Beispiel auch inhaltlich »die Männer mitnehmen« und der Frage nachgehen, wie Männer unter dem Patriarchat leiden. Das hat Sie damals nicht interessiert.

Neubauer: Überhaupt nicht! Wir wollten Männer auch nicht läutern oder agitieren. Das war uns völlig wurscht. Je weniger Aufmerksamkeit sie kriegten, desto besser. Und von uns haben sie keine Aufmerksamkeit gekriegt. Die hatten die Frauen, Punkt. Da kann man heute übrigens immer noch sehr daran arbeiten, weil das Gefälle zwischen Männern und Frauen immer noch da ist.

Wie stehen Sie also zu den Forderungen nach Inklusion und Diversität?

Neubauer: Ich finde das nicht falsch. Aber ich erwarte von allen Gruppen auch, dass sie selbst aktiv werden, Konzepte ausarbeiten, politisch agieren, auf die Straßen gehen. Denn das mussten wir damals auch. Niemand sagte uns: »Ja, komm, wir nehmen dich auch noch mit.« Wir mussten uns auf den Arsch setzen und kämpfen und haben dafür viel Hiebe und Schmähungen bekommen. Das haben wir alles ausgehalten. Weil es unser Leben war.

War Ihre Generation radikaler?

Gollbach: Ja! Aber wir hatten auch das Glück, klare Feindbilder zu haben. Heute ist alles viel diffuser. Dazu konnten wir damals sorgloser sein. Es gab viele Jobs, mit denen man sich gut über Wasser halten konnte. Niemand zerbrach sich den Kopf über die Altersvorsorge. Wir haben uns keine Gedanken gemacht, wenn wir auf Schaufenster gesprüht haben. Heute wird die Parole mit Tesafilm an die Scheibe geklebt und danach wieder abgenommen, aus Angst vor Schadensersatzklagen oder einem Eintrag ins Führungszeugnis. In den 80er Jahren haben wir über solche Bürgerlichkeiten überhaupt nicht nachgedacht.

Sie hatten keine Angst?

Gollbach: Nein. Da gab es nur die große Freiheit, den gemeinsamen Kampf auf der Straße, dieses unglaubliche Wir-Gefühl. Was sollte groß passieren? Im Zweifelsfall wurdest du ein bisschen ermahnt und musstest dich halt mit der Benzinlösung ans Schaufenster stellen und die Parole wieder runterrubbeln. Die Begegnungen auf der Straße und in den Frauengruppen haben uns mutig gemacht.

Heute trifft man sich eher in Zoom-Meetings und postet Parolen im Internet.

Gollbach: Da spricht auch überhaupt nichts dagegen. Aber ein wirklicher Zusammenhalt entsteht so nicht. Es ist zwar viel von »Community« die Rede, aber im echten Leben sieht man davon wenig. Dafür fehlen die echte Begegnung und die Emotionalität, die damit einhergeht. Deswegen stimmt es vielleicht auch doch nicht, dass wir radikaler waren. Die Verhältnisse waren einfach andere und wir haben die damaligen Spielräume genutzt. Und zwar so richtig! Da hatten wir keine Hemmungen!

Was war denn früher bei »Lillemors« los?

Neubauer: Wir waren alles gleichzeitig: Frauenbuchladen, politischer Treffpunkt, Galerie, ein Ort zum Feiern. Und wir waren auch eine Anlaufstelle. Gewalt, Missbrauch – über solche Tabus konnten die Frauen im Buchladen ziemlich frei sprechen, weil Männer keinen Zutritt hatten. Wir haben auch Hilfen vermittelt zu Anwältinnen, wenn sich eine scheiden lassen wollte. Oder zu Ärztinnen für Abtreibungen. Später haben sich zum Glück professionelle Beratungsstellen gegründet.

Gollbach: Der Frauenbuchladen blieb aber immer ein Ort für ganz alltägliche Lebenshilfe. Wir hatten zum Beispiel eine Kundin, die hat mir alle zwei Jahre von ihrem verstorbenen Kanarienvogel erzählt. Und der hab ich dann halt auch immer zehn Minuten zugehört. Das war in gewissem Sinne für mich praktische, solidarische Arbeit mit Frauen.

Haben Sie manchmal den Impuls, dem neuen Buchladen-Kollektiv Ratschläge zu geben?

Gollbach: Nein. Für uns war von Anfang an klar, wir halten uns raus. Wir sind ansprechbar, aber wir machen keine Vorgaben. Wenn ich heute einen Buchladen starten würde, dann würde ich die grauen Eminenzen auch nicht gerne links und rechts auf der Schulter hocken haben, die dann die Augen verdrehen oder die Nase rümpfen und alles besser wissen. Außerdem hat die neue Gruppe doch alles, was es braucht: Sie brennen. Sie freuen sich drauf. Sie wollen etwas Neues anfangen. Und sie haben tatsächlich auch noch diesen frühen Kollektivgedanken, mit dem wir auch angefangen haben. Das finde ich superklasse und ich drücke ganz fest die Daumen, dass das so funktioniert, wie sie sich das wünschen.

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