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Klimabewegung: Alltag statt Abstraktionen
Die Klimabewegung erfindet sich notgedrungen neu: Sie läuft nicht mehr Klimazielen hinterher, sondern will die ökonomischen Verhältnisse verändern
Ende 2023 scheinen sich alte Wege der Klimabewegung totgelaufen zu haben. Nicht nur in taktischen Fragen, etwa die punktuelle Breitenmobilisierung bei den Klimastreiks oder spektakuläre Störaktionen, die auf etwas aufmerksam machen soll, was längst alle wissen, aber niemand wissen will.
Viel grundlegender hat sich der Modus erschöpft, in dem die Klimabewegung für abstrakte Temperatur- und Emissionsziele kämpfte. Die finden zwar alle gut, nur lässt sich mit Verweis darauf kein einziger Umsetzungsschritt erreichen – auch viele, die sich für abstrakten Klimaschutz aussprechen, leisten Widerstand gegen jede konkrete Maßnahme. Klimaziele sind nur so viel wert, wie es der Stand der gesellschaftlichen Kämpfe zulässt. Das Klimaschutzgesetz etwa erscheint als in die staatlichen Strukturen eingeschriebener Bewegungserfolg – doch es ist eine oberflächliche Gravur. Die entscheidenden verbindlichen Sektorenziele wurden von der Exekutive erst ignoriert und nun abgeschafft.
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.
Das ist angesichts der Kräfteverhältnisse folgerichtig. So wirkt der liberale Teil der Klimabewegung um Fridays for Future vom Politikbetrieb absorbiert, der militant-liberale Flügel um die Letzte Generation isoliert und der linke Teil so marginalisiert, dass er – derzeit ohne symbolträchtigen Ort – kaum noch wahrnehmbar ist. Explizite Anti-Klima-Positionen dagegen sind fest in die Erzählungen der erstarkenden Rechten verwoben. Die Ampel hat das weitgehend akzeptiert. Zum Jahresende hebelte auch noch der staatliche Transformationsblockiermechanismus Schuldenbremse die Finanzierung von Klimaprojekten aus. Die Staatszentrierung des Klimaschutz-über-Klimaziele-Ansatzes erweist sich so als immer schwerere Hypothek.
Wie nun also neue Zugriffsmöglichkeiten auf klimarelevante Sektoren finden, die indirekt den Staat zum Handeln zwingen? Primär ist es die Arbeit in strategischen Bündnissen mit Gewerkschaften, Beschäftigten und sozialpolitischen Akteur*innen, durch die versucht wird, sozial-ökologische Kämpfe zu mehr als einer Phrase zu machen, zu organisieren statt bloß zu mobilisieren. Das gelang 2023 beim Heizungsgesetz noch nicht – obwohl das Zusammenführen sozialer und ökologischer Forderungen dort nicht allzu schwer war, drang nichts davon gegen die konzertierte fossil-politische Gegenkampagne durch.
Das soll 2024 besser werden. Es sind Kämpfe um Alltagsinfrastrukturen, die über eine klimagerechte Zukunft entscheiden: etwa für einen ausgebauten Nahverkehr mit guten Arbeitsbedingungen, für den die Kampagne »Wir fahren zusammen« mit vielen Verdi-Lokalgruppen anstehende Tarifkämpfe unterstützt – und um das Ziel des massiven Ausbaus erweitert. Schon beim letzten Mal deuteten die entsetzten Arbeitgeber-Reaktionen an: Hier wird das Recht auf politische Streiks praktisch mitverhandelt. In Berlin laufen derweil Versuche, Mieter*innen für eine sozial gerechte Gebäudemodernisierung zusammenzubringen. Im Energiesektor wird gleich eine Vergesellschaftung der Infrastrukturen ins Auge gefasst: »RWE & Co. enteignen« heißt eine Kampagne in Nordrhein-Westfalen, deren Titel ein wenig klingt, als könnte sich da ein Weg in die Offensive öffnen.
Teilerfolge in Teilkämpfen erscheinen nicht nur attraktiver als ein allumfassendes Klimakrisen-Ohnmachtsgefühl. Da diese Versuche an ökonomischen Strukturen ansetzen, könnten sie auch eine im Wortsinne nachhaltigere Transformation ermöglichen. Gleichzeitig scheint durch die Verlagerung auf geduldsintensive Methoden aber auch klar: Der Kampf um das 1,5-Grad-Ziel, dessen Erreichung eine kurzfristige drastische Emissionssenkung erfordert hätte, ist verloren. Das ist schlimm, aber hatte sich längst abgezeichnet. Die strategische Neuausrichtung von Teilen der Bewegung ist eine vernünftige Reaktion – und zeigt nun immerhin illusionsfreie Wege in eine Zukunft voller Alltagskämpfe.
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