Wagenknecht: Zweiter Anlauf, aber mit bessere Karten

Schon mit der Aufstehen-Bewegung wollte Sahra Wagenknecht 2018 eine eigene politische Kraft etablieren. Das ging damals schief

Seit Sahra Wagenknecht auf die Gründung ihrer Partei zusteuert, wird immer wieder an die Aufstehen-Bewegung erinnert. 2018 hatte sie schon einmal versucht, eine politische Kraft zu etablieren. Das war damals auch deshalb ein Politikum, weil sie als Ko-Vorsitzende der Linksfraktion zum engsten Führungszirkel der Partei gehörte, aber Aufstehen ohne Absprache in der Linken und bald erkennbar als Konkurrenzprojekt startete. Zwar erklärte Wagenknecht seinerzeit, mit Aufstehen solle die politische Linke insgesamt gestärkt werden, aber gleichzeitig wurde, wie Oskar Lafontaine später einräumte, über eine Kandidatur bei der Europawahl 2019 nachgedacht.

Da aber war Aufstehen praktisch schon gescheitert. Das war im Spätsommer 2018 mit großer Medienfurore gestartet war – ähnlich wie nun das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die damalige politische Diagnose ähnelte in den Grundzügen der heutigen: Die Gesellschaft brauche mehr Gerechtigkeit und Zusammenhalt, Frieden und Abrüstung, hieß es im Gründungsaufruf. Der Sozialstaat werde zerstört, die Demokratie dem Markt untergeordnet, die AfD erhalte immer mehr Zulauf. Dagegen wolle man aufstehen, mit einer breiten Bewegung.

Wagenknecht konnte zu Beginn von Aufstehen auf bemerkenswerte Unterstützer verweisen, darunter der Grünen-Politiker Ludger Volmer, der SPD-Abgeordnete Marco Bülow und die Sozialdemokratin und damalige Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange. Die Initiative traf offenbar einen politischen Nerv: In kurzer Zeit registrierten sich auf der Aufstehen-Webseite mehr als 100 000 Interessenten. Viele dieser zuweilen als Mitglieder ausgegebenen Menschen gründeten Basisgruppen, wurden aber von der Aufstehen-Führung bald alleingelassen.

Auch prominente Unterstützer zogen sich zurück – teils weil sie die Organisation der Sammlungsbewegung bemängelten; teils weil sie Positionen von Wagenknecht nicht teilten; teils weil sie nicht zum Spielball der Auseinandersetzungen innerhalb der Linken werden wollten. So versandete Aufstehen – spätestens als sich Wagenknecht im Frühjahr 2019 zurückzog, war die Bewegung faktisch am Ende.

Seitdem kamen zwei große Weltkrisen hinzu: die Pandemie und der Ukraine-Krieg. Beides löste Konflikte innerhalb der Linken aus, bei denen Wagenknecht andere Positionen vertrat und vertritt als die Mehrheit. Neu ist in Wagenknechts Kanon das Thema Meinungsfreiheit, die sie akut gefährdet sieht. In der Asyl- und Migrationsfrage hat sich ihre Haltung deutlich verschärft, um nicht zu sagen radikalisiert. Was auffällt: War im Gründungsaufruf von Aufstehen noch von Kapitalismus und Profitinteressen die Rede, die bekämpft werden müssten, so sind im BSW-Manifest große Konzerne, Lobbyisten, Trickser und Spieler das politische Feindbild. Das sind nicht nur Veränderungen in Nuancen; ein anderer Gesellschaftsentwurf ist, soweit bisher erkennbar, nicht beabsichtigt.

Wie beim Aufstehen-Projekt ist auch beim BSW eine Person der politische und mediale Dreh- und Angelpunkt, diesmal sogar im Namen kenntlich gemacht. Mit Wagenknecht steht (wie man am langen Warten der Mitstreiter auf ihr Ja zur neuen Partei sah) oder fällt (wie das Scheitern von Aufstehen zeigte) fast alles. Was das neue Bündnis von Aufstehen deutlich unterscheidet, ist zum einen die verbindlichere Struktur. Zum anderen – und das ist viel wichtiger: Die Planung ist beim BSW hochgradig professionell. Offenbar hat man sich die Fehler und Versäumnisse bei Aufstehen genau angesehen und daraus gelernt. Gewiss auch, weil Wagenknecht weiß, dass ihr derzeit alle äußeren Umstände – Krise der Ampel, Schwäche der Linken, anstehende Wahlen – in die Hände spielen und es eine weitere Chance für ein solches politisches Projekt nicht mehr oder sehr lange nicht geben wird.

Die neue Partei versucht auf das Reservoir der Aufstehen-Interessenten zurückzugreifen. Wagenknechts Gefährte Fabio De Masi bezeichnete seinerzeit die mehr als 100 000 Anhänger als »Schatz, den wir gehoben haben«. Aber inzwischen wollen auch viele in die neue Partei, die mit Aufstehen nichts zu tun hatten. Dieser Tage werden von Beauftragten Wagenknechts überall Auswahlgespräche geführt, teils ganze Tage im Halbstundentakt. So will man sicherstellen, dass es beim Gründungsparteitag Ende Januar mit etwa 400 Mitgliedern keine bösen Überraschungen gibt.

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