Journalismus und Corona: Gefährliche Symbiosen

Die Corona-Pandemie offenbarte schwere Defizite des Journalismus. Ungereimtheiten und Fehler wurden oft beiseite gewischt

  • Lena Böllinger
  • Lesedauer: 7 Min.
Seit Beginn der Coronakrise rutscht die öffentliche Debatte ab in regressive Schemata: Entweder es gibt nur noch Gut oder Böse. Oder noch zu Klärendes wird vorschnell als wahr oder falsch gesetzt.
Seit Beginn der Coronakrise rutscht die öffentliche Debatte ab in regressive Schemata: Entweder es gibt nur noch Gut oder Böse. Oder noch zu Klärendes wird vorschnell als wahr oder falsch gesetzt.

Spätestens seit Corona ist der Journalismus am Ende. Eine Erholung ist nicht in Sicht. Jüngstes Beispiel: Der MDR löschte im Dezember kurz nach Veröffentlichung einen Videobeitrag, in dem es um Verunreinigungen des mRNA-Impfstoffes von Biontech-Pfizer ging. Die Mikrobiologin und Immunologin Brigitte König hatte in ihrem Labor Fremd-DNA im Impfstoff gefunden – und zwar weit über die behördlich definierten Grenzwerte hinaus.

Der Vorwurf ist nicht neu. Verschiedene Forscher zeigten sich in der Vergangenheit besorgt. Der US-amerikanische Professor und Mikrobiologe Phillip Buckhaults erläuterte seine Bedenken im September 2023 bei einer Anhörung im Senat von South Carolina. Er habe die Impfstoffe von BioNtech-Pfizer analysiert und DNA entdeckt. Das habe ihn überrascht und alarmiert. Zu den befürchteten Nebenwirkungen zählt er: Krebs, Autoimmunerkrankungen, Herzstillstand, Schäden am Erbgut.

Zugleich kamen im MDR-Beitrag auch andere Stimmen zu Wort: Zum Beispiel der Molekularbiologe Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin. Er hält Schäden für unwahrscheinlich und verwies auf das Paul-Ehrlich-Institut, das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel in Langen, als prüfende Behörde. Das Paul-Ehrlich-Institut schrieb dem MDR allerdings: »Parameter wie der Rest-DNA-Gehalt im Impfstoff werden nur vom Hersteller experimentell geprüft.« Das Unternehmen Biontech selbst teilte dem MDR mit: »Der Pfizer-Biontech-Covid-19-Impfstoff ist nicht mit DNA verunreinigt.« Auch das Bundesgesundheitsministerium zweifelte die Untersuchungsergebnisse an, hatte aber offenbar ebenfalls keine eigenen Daten anzubieten.

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Der MDR bemühte sich daraufhin auf eigene Faust um eine zweite Meinung und fragte über 20 universitäre und private Labore an, um die Impfstoffe erneut untersuchen zu lassen. Ergebnis: »Von allen bekommen wir Absagen oder keine Reaktion. Es gelingt uns also nicht, eine DNA-Analyse nochmals unabhängig durchführen zu lassen.« Auch die Frage, »ob die mutmaßliche DNA-Belastung Schaden anrichten kann«, habe die Redaktion »nicht abschließend beantworten« können.

Warum wurde der Beitrag gelöscht? Der MDR teilte zunächst auf Anfrage der »Berliner Zeitung« mit, dass es viele Nachfragen zu der Sendung gegeben habe, die geprüft werden müssten. Das Ergebnis dieser Überprüfung werde man transparent machen. Doch dann teilte der Sender wenige Tage später nur knapp mit: Nach »sorgfältiger interner Prüfung« stehe fest, dass die »publizistischen Sorgfaltskriterien« des Senders nicht eingehalten worden seien.

Kurz darauf veröffentlichte der MDR ein langes Interview mit Emanuel Wyler und einem Virologen. Die beiden sind sich einig. Es entsteht keine Kontroverse, sondern eine Aneinanderreihung an Beschwichtigungen im Fachjargon. Da war der gelöschte Beitrag verständlicher aufbereitet und – Achtung, publizistisches Sorgfaltskriterium! – ausgewogener.

Statt für Transparenz und Aufklärung zu sorgen, ließ der MDR darüber hinaus einen Kolumnisten die Kollegen mit schulmeisterlicher Herablassung maßregeln: »Okay Freunde, wenn ihr nicht wisst, ob die Behauptungen, die ihr verbreitet, stichhaltig sind, und wenn ihr nicht wisst, ob sie dann, wenn sie stichhaltig wären, auch relevant wären, dann solltet ihr diese Behauptungen gar nicht erst verbreiten, vor allem nicht, wenn es um Leben und Tod geht.« Man hätte die offenen Fragen am Ende des gelöschten Beitrags auch als Einladung für weitere Recherche und Diskussion verstehen können. Doch das scheint nicht erwünscht.

Zugleich hilft es wenig, sich allein über einen einzelnen Sender oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufzuregen. Hier geht es um etwas Grundsätzliches. Seit Beginn der Coronakrise rutscht die öffentliche Debatte ab in regressive Schemata: Entweder es gibt nur noch gut oder böse. Oder noch zu Klärendes wird vorschnell als wahr oder falsch gesetzt. Das zeigt sich nicht nur, aber auch in der Presse: Die kontroverse Berichterstattung wird zunehmend ersetzt durch moralische Belehrung (Lest das Gute!) und Faktencheckerei (Hört das Wahre!). Nun hat niemand etwas gegen die Wahrheit einzuwenden, aber im Fall der Faktenchecker wäre zu fragen, welche Fakten und Wahrheiten verdächtig und überprüfungsbedürftig erscheinen und welche nicht. Man denke nur an Gesundheitsminister Karl Lauterbachs Behauptung der »nebenwirkungsfreien« Impfung. Ohnehin ist die Wirklichkeit sehr häufig uneindeutiger und das Wissen ungesicherter als es das Wahr-falsch-Schema der Faktenchecker nahelegt.

Das sieht man auch an der Berichterstattung zum gelöschten Beitrag des MDR. Anstatt sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, stürzen sich Zeigefingerredakteure und Wahrheitshüter auf die Person Brigitte König. Die »FAZ« regt sich darüber auf, »dass eine als unabhängige Forscherin präsentierte Mikrobiologin neben Quacksalbern auf Veranstaltungen von Impfgegnern gesprochen hat.« Der MDR habe »Interessenskonflikte von Protagonisten nicht transparent gemacht«. Überhaupt gebe es viele »Ungereimtheiten«. Auch andere Medien sehen ihren journalistischen Auftrag eher darin, die Protagonistin des Beitrags zu demontieren, als auf den Inhalt einzugehen. Für Phillip Buckhaults, der dringend weitere Forschung fordert, interessiert sich keiner der Kommentatoren.

Nun ist es löblich, wenn Journalisten »Interessenskonflikten« und »Ungereimtheiten« nachgehen. Aber dann doch bitte bezogen auf die Pandemiepolitik in ihrer Gesamtheit und zwar dort, wo diese Begriffe wirklich angebracht sind. Zum Beispiel bei der WHO, die sich heute, anders als noch in den 1970er Jahren, nicht mehr über Pflichtbeiträge der Mitgliedstaaten finanziert, sondern zu 85% aus freiwilligen Beiträgen. Die sind oft zweckgebunden, sodass die WHO nicht selber über die Mittel entscheiden kann. Zu den größten Geldgebern gehört die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Also genau die Stiftung, die auch in die Firma Biontech investierte. Wer jetzt an Interessenskonflikte denkt, ist ein Verschwörungstheoretiker!

Auch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) muss sich mit Klüngeleien plagen, da ihr Personal gerne die Seiten wechselt. Heute Berater für die Pharmaindustrie, morgen Bürokrat in der EU-Behörde. Oder umgekehrt, es lohnt sich beides. Vielleicht erklärt das auch, warum die EMA erst im November 2023 in einem Brief feststellt, dass die Coronaimpfstoffe nicht die Weitergabe des Virus verhindern würden und dass es von Anfang an keine Daten zur Übertragbarkeit gegeben habe. Die EMA schreibt außerdem, dass es durchaus auch zu schweren Nebenwirkungen kommen könne, weshalb »alle Sicherheitsinformationen sorgfältig geprüft werden sollten, bevor eine Impfung verabreicht oder empfohlen wird« und dass man »weiterhin transparent über die genehmigten Verwendungszwecke informieren« und sich bemühen werde, »Missverständnisse zu beseitigen«. Warum wurde die EMA nicht vor oder während der Impfkampagne aktiver? Eine schlichte Stellungnahme hätte genügt, etwa so: »Die Pandemie der Ungeimpften gibt es nicht; Impfen ist nicht solidarisch, man schützt allenfalls sich selbst. Die 2-G-Regeln und die ganze Hetze gegen Ungeimpfte entbehren der wissenschaftlichen Grundlage.«

Natürlich hätten die Faktenchecker auch selber die Fakten checken können. Aber vielleicht lohnt es sich auch hier, über Interessenskonflikte nachzudenken. Zwar schreiben all die nationalen und internationalen Faktencheck-Netzwerke auf ihren Seiten viel von Transparenz und Unabhängigkeit. Aber: Egal ob internationales oder lokales Netzwerk, finanziell unabhängig sind sie in der Regel nicht. Die deutschen Faktenchecker von Correctiv sind zum Beispiel Teil des International Fact Checking Network vom US-amerikanischen Poynter Institute. Dieses Institut erhält unter anderem Geld von Google, Meta und Microsoft. Correctiv finanziert sich zwar größtenteils durch Spenden, bekommt aber auch Geld vom Staat (Bundeszentrale für politische Bildung, Staatskanzlei des Landes NRW), von Unternehmen wie Google oder der Telekom und von Stiftungen wie der Luminate – Omidyar Network Foundation des eBay-Gründers Pierre Omidyar. Ohnehin engagieren sich oft Milliardäre, die »Gutes« tun wollen, in gesellschaftlichen Bereichen, die eigentlich nicht von deren Geld abhängig sein sollten.

Diese unterschiedlichen Private-Public-Partnerships führen einen wohlklingenden Kampf gegen Desinformation, Viren, den Klimawandel und was sonst noch zum Guten und Wahren dazugehört. Tatsächlich privatisiert und zerstört diese Symbiose aus Staat und Kapital aber schleichend alles, was ihr im Weg steht: demokratische Kontrolle, freie Presse, öffentliche Infrastruktur. Eine freie Presse, die den Namen verdient, müsste diese Symbiosen kritisieren, statt ihnen zuzuarbeiten.

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