Barrierefrei und bezahlbar in Thüringen

Günstiges Wohnen im Alter: Auch in Thüringen ist der Bedarf riesig

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.
Barrierefreies Wohnen sieht anders aus als hier, aber oft fehlt es an bezahlbaren Angeboten.
Barrierefreies Wohnen sieht anders aus als hier, aber oft fehlt es an bezahlbaren Angeboten.

Nur ungefähr drei Monate hat es gedauert, bis das große Betonfundament fertig war, auf dem Dorit Held und Peter Sattler nun knien. Mit großen Maurerkellen zementieren sie eine Zeitkapsel ein, damit ist die Bodenplatte endgültig verschlossen. Mehrmals müssen sie Zement nachfüllen, ehe sich die Oberfläche glatt streichen lässt. Doch solche Situationen kennen die beiden Vorstände der Wohnungsbaugenossenschaft Ilmenau aus den vergangenen Jahren zur Genüge, gerade bei diesem Projekt.

Unweit des Zentrums der Universitätsstadt soll in den nächsten Jahren eines der derzeit größten Vorhaben des sozialen Wohnungsbaus in Thüringen entstehen. Wobei der soziale Ansatz über niedrige Kaltmieten hinausgeht. Hier im Schortehof werden 39 Wohnungen gebaut, alle barrierefrei. Die Wohnungen sollen zudem mit einem Notrufsystem ausgestattet werden.

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Die Mieten für diese Wohnungen, sagt Held, würden zunächst bei 5,65 Euro kalt pro Quadratmeter liegen, weit unter dem üblichen Niveau in Neubauten. Möglich ist das, weil der Freistaat dieses Vorhaben nach Angaben des Thüringer Infrastrukturministeriums mit insgesamt 6,6 Millionen Euro fördert, bei Gesamtkosten in Höhe von 8,3 Millionen Euro. Ein Teil der Förderung ist ein Zuschuss, der andere ein relativ günstiges Baudarlehen in Höhe von etwa 5,4 Millionen Euro. Aber es geht hier um mehr als um ein Angebot zum günstigen Wohnen. »Wir wollen ein belebtes Wohngebietszentrum schaffen«, so die Stadtplanerin Held.

Auch Barbara Schönig, Staatssekretärin des Infrastrukturministeriums, meint: Es reiche bei Neubauvorhaben nicht mehr aus, Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben, solche Projekte müssten eine hohe »städtebauliche Qualität« haben und »soziale Treffpunkte« sein.

Während in den oberen Etagen der Anlage Menschen wohnen sollen, sind für das Erdgeschoss vier Gewerbeeinheiten geplant, in denen Praxen für Physio- und Ergotherapie, eine Tagespflege und ein Nachbarschaftscafé Platz finden sollen. Damit würden von dem Neubau nicht nur die Bewohner profitieren, sondern auch Menschen aus der Nachbarschaft. Hinzu kommt der Mangel an Plätzen in Pflegeheimen wie an Pflegepersonal. Auch deshalb ist es ein Vorteil, wenn Menschen so lange wie möglich in ihrer eigenen Wohnung leben können.

Der Bedarf an solchen Wohnprojekten übersteigt in Thüringen bei Weitem die Nachfrage. Auch in Ilmenau wird dringend Wohnraum benötigt. Laut WBG-Vorstandsfrau Held gibt es für die noch nicht einmal sichtbaren 39 Wohnungen bereits etwa 100 Interessenten. Schon im zweiten Thüringer Wohnungsmarktbericht – aus dem Jahr 2018, aber immer noch der aktuellste – heißt es, sowohl bei barrierefreien Wohnungen als auch bei »Sonderwohnformen für Senioren« gebe es nach Schätzungen im Freistaat deutlich weniger Angebote als im Bundesdurchschnitt.

In den letzten Jahren haben zwar große Thüringer Wohnungsbauunternehmen einzelne Anlagen neu gebaut oder saniert, die mit dem Schortehof vergleichbar sind. In Erfurt hat die Wohnungsbaugenossenschaft aus einem 16-geschossigen Plattenbau ein Haus gemacht, in dem es neben barrierefreien Wohnungen, Wohnungen für betreutes Wohnen und Pflegewohngemeinschaften auch ein hauseigenes Restaurant gibt. Dazu Begegnungsräume, Gartenflächen und Gemeinschaftsterrassen. Betreut werden die Menschen dort auf Wunsch durch einen Pflegedienst, mit dem die Genossenschaft fest zusammenarbeitet. Doch gemessen am Bedarf sind die geschaffenen und derzeit geplanten Projekte eher der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Das Infrastrukturministerium macht aus dem gravierenden Mangel kein Hehl. Während in den Städten viele Menschen ohnehin händeringend nach für sie passenden Wohnungen suchten, sei im ländlichen Raum zwar häufig Wohnraum vorhanden. Dieser sei aber, »soweit er bezahlbar ist, nicht unbedingt barrierefrei«, sagt die Sprecherin.

Die maßgeblichen Gründe sind hohe Zinsen und Baukosten, Handwerkermangel sowie die Krisen der letzten Jahre. Das alles mache Bauprojekte nicht nur teuer, sondern kaum noch kalkulierbar. »Wir hatten mit Tiefgarage und ohne Tiefgarage geplant«, sagt Held zum Beispiel. Eine Apotheke, die eigentlich im Erdgeschoss einziehen wollte, sei wieder abgesprungen. So ist bei dem Projekt Schrotehof zwar die Bodenplatte recht schnell entstanden. Es habe aber jahrelange Planungen gebraucht, bis die Bauarbeiten daran im September 2023 wirklich beginnen konnten. Seit 2018 arbeitet die Wohnungsbaugesellschaft inzwischen an dieser Anlage. Läuft alles gut, sollen die ersten Mieter Anfang 2026 einziehen.

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