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Bronfn

Es gibt unzählige Gründe, Bronfn zu trinken – und je mehr man trinkt, desto mehr finden sich noch

Bronfn im amerikanischen Finanzministerium: Ein Mitarbeiter inspiziert selbstgebrannten Schnaps aus einem zuvor konfiszierten Destillierapparat, Aufnahme circa 1921–32.
Bronfn im amerikanischen Finanzministerium: Ein Mitarbeiter inspiziert selbstgebrannten Schnaps aus einem zuvor konfiszierten Destillierapparat, Aufnahme circa 1921–32.

Was ist Bronfn? Oder wer ist Bronfn? Wie macht man Bronfn? Die richtige Frage aber ist: Wieviel Bronfn?

Die richtige Antwort ist: so viel wie möglich. Bronfn ist nämlich Schnaps, und zwar fast immer Selbstgebrannter. Das wiederum nicht ohne Grund, und es gibt nicht nur einen Grund, sondern gleich mehrere, ja vielleicht sogar immer mehr, je mehr Bronfn du trinkst – und je mehr Gründe, desto mehr trinkst du. Die richtige Frage ist aber nicht, wie viele Gründe, sondern welche.

Welche Gründe sind es? Oj, was weiß ich. Fragt doch Menachem, den Schicker, die Saufnase – wenn er noch reden kann, was er eigentlich immer kann, nur nicht immer geradeheraus, und manchmal gar nicht heraus, sondern eher hinein.

Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

»Menachem, hier hast du eine Kasche oder von mir aus auch eine Frage: Was ist besser, Selbstgebrannter oder Fremdgekaufter?«

»Dos is a Kasche? Selbstgebrannter ist immer besser als Gekaufter.«

»Nu, und warum?«

»Erstens kannst du dir so viel davon brennen, wie du willst.«

»Gut. Und zweitens?«

»Zweitens kannst du dann auch noch so viel davon trinken, wie du willst.«

»Auch gut. Und drittens?«

»Drittens kannst du noch immer so viel davon trinken, wie du willst, und dasselbe auch viertens, fünftens, sechstens, siebtens und vielleicht sogar elftens.«

Doch so weit kommt es meist gar nicht, weil Menachem schon bei »drittens« zwar nicht aufhört zu reden, aber beginnt zu schlafen.

Daher steht es auch in Frage, ob der Mensch wirklich so viel trinken kann, wie er will. Denn er schafft es ja gewiss nicht, mehr zu trinken, als er kann. Außer Menachem, der manchmal doch mehr trinkt, als er kann. Daher nennt man ihn auch: Menachem, der Unerschöpfliche. Erschöpft sind die anderen, weil sie das tun, was Menachem nicht tut, weil er tut, was die anderen nicht tun – nämlich trinken.

Und wenn Menachem, der Unerschöpfliche, mehr trinkt als er kann, dann trinkt er irgendwann nicht nur in sich hinein, sondern auch aus sich heraus. Wie in der Geschichte mit Itzik, der einen Abend lang mit Menachem Selbstgebrannten trank, und vom Abend bis zum Morgen, und dann bis zum morgigen Abend und dann bis aller Morgen Abend. Irgendwann konnte Itzik nicht mehr trinken und wollte stattdessen rauchen. Weil er so viel Bronfn getrunken hatte, fing er allerdings selbst Feuer und begann zu brennen. Da wollte Menachem ihn löschen mit seinem piß. Aber weil Menachem auch nicht weniger Bronfn getrunken hatte, sondern sogar mehr, fing Itzik jetzt noch viel stärker an zu brennen.

Kann nun der Mensch mehr trinken wollen, als trinken können? Womöglich ja. Oder es ist im Gegenteil anders, und zwar so, wie es wahrscheinlich auch nicht ist. Um das zu ergründen, müsstest du jedenfalls selbst so viel getrunken haben, wie du nur kannst, aber wenn du selbst so viel getrunken hast, kannst du selbst nichts mehr ergründen. Denn das Verstehen hört meistens früher auf als das Wollen und sogar als das Können.

»Menachem, hier hast du noch eine Frage oder von mir aus noch eine kasche: Warum trinkst du eigentlich immer Bronfn?«

»Nu, was soll ich denn sonst damit tun – essen?«

»Gut, du trinkst ihn, aber aus welchem Anlass?«

»Was fragst du mich das?«

»Wen soll ich denn sonst fragen? «

»Nu, frag doch den Bronfn, aus welchem Anlass! Mache ich etwa, dass der Bronfn von mir getrunken werden will, oder macht der Bronfn, dass ich von ihm will getränkt werden? Na also – frag den Bronfn!«

»Emmes, das ist wahr. Aber, Menachem, denkst du denn nie darüber nach, warum du immer trinkst?«

»Und ob ich darüber nachdenke! Immer denke ich darüber nach, warum ich immer trinke. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger weiß ich die Antwort. Und je weniger ich die Antwort weiß, desto untröstlicher bin ich. Und je untröstlicher ich bin, desto mehr trinke ich zum Trost.«

Aber Menachem, der unerschöpfliche Schicker, ist nicht nur in der Lage, mehr zu trinken, als er kann, er will auch sogar mehr trinken, als er zu trinken in der Lage ist. Menachem würde gern den ganzen Bronfn der Welt trinken, aus allen Bechern, aus allen Krügen, aus allen Tassen, aus Töpfen, Flaschen, Karaffen und Kannen, aus Bottichen, Fässern, Zisternen, Kanistern und Kesseln, aus Deckeln, Flakons und Pipetten und Löffeln.

Strömte nur, damit er genug trinken könnte, Selbstgebrannter durch die Adern der Erde, herab von den Wolken, von Bergen und Bächen, füllte der Selbstgebrannte die Teiche und Seen und Meere, dann wollte er trinken, bis auf der ganzen Welt Dürre herrschte sieben Jahre lang wie in Ägypten!

Menachem trinkt aus der Luft, aus den Blicken, aus Wörtern, aus allen beschickerten Phrasen und Liedern, aus sinnlosem Lachen, aus jedem Lechaim.

Nun steht es zwar außer Frage, wie es mit jedem einzelnen Lechaim ist. Mit allen zusammengenommen sieht es im Gegenteil schon ganz anders aus. Indem man Lechaim sagt, trinkt man nämlich jedes Mal auf das Leben, doch wenn man zu viel auf das Leben trinkt, wird es zwar besser, aber hört trotzdem manchmal auf.

Auch Menachem hatte eines Tages so viel getrunken, dass er kurz davor war zu sterben. So kam Menachem vor Gott. Gott saß an einem Tisch und trank. »Wos trinkstu, Gottenju?«, fragte Menachem. Aber Gott schwieg und trank. Da verstand Menachem, dass es gar nicht Gott war, sondern der Schneider Chaim, und so entrann Menachem dem Tode.

Darum lebt er, der Unerschöpfliche, und trinkt mehr, als er trinken kann, und kann sogar immer reden, nur nicht immer in einer Sprache.

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