Die Brandmauer zerreißt von unten – dabei hängt alles von ihr ab

Im Bund schließt die CDU die Zusammenarbeit mit der AfD noch aus, in den Kommunen ist diese längst Realität – insbesondere im Osten

Die Umfragen sind eindeutig: Die Rechtsaußen-Partei AfD ist auf dem Vormarsch. Bundesweit ist sie die zweitstärkste, in Ostdeutschland inzwischen die stärkste politische Kraft. Trotz oder genau wegen der rechtsextremen Tendenzen einiger AfD-Landesverbände in den neuen Bundesländern liegt die AfD ein halbes Jahr vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen weit vor der politischen Konkurrenz, bei 32, 34 und 36 Prozent.

Könnten die Rechten also tatsächlich auf Landesebene regieren? Bisher fehlt ihnen noch der Koalitionspartner, um die 50 Prozent zu erlangen, die für eine Regierungsbildung nötig sind. Dafür käme eigentlich nur eine Partei in Frage: die CDU. Wäre sie bereit, mit der AfD zu koalieren, könnten die beiden Parteien nach aktuellen Umfragewerten in zwölf von 16 Bundesländern zu zweit regieren – und nach neuesten Erhebungen sogar auf Bundesebene.

Das bedeutet: 2024 und 2025 könnte alles davon abhängen, ob die CDU ihre Brandmauer aufrechterhält oder nicht. Für große Aufregung sorgte im Sommer 2023 eine Aussage von Unionschef Friedrich Merz, die das Versprechen der Christdemokraten, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten, zumindest für die Kommunalebene in Frage stellte. Zwar relativierte Merz diese kurz darauf wieder. »Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben«, erklärte er am Folgetag auf der Nachrichtenplattform »X«. Doch die Sorge, dass die Brandmauer von unten her bröckeln könnte – bis zum Zerfall – bleibt groß. Und sie ist nicht unbegründet, denn auf kommunaler Ebene ist die Kollaboration zwischen CDU und AfD längst Realität.

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Gemeinsam Windräder verhindern

Nicht nur könnte die AfD auf der kommunalen Ebene 2023 einige wichtige Wahlerfolge erreichen – im Dezember gewann etwa erstmals ein AfD-Kandidat die Oberbürgermeisterwahlen in einer deutschen Stadt, im sächsischen Pirna. Auf der kommunalen und sogar auf Landesebene kam es in den vergangenen Jahren zu zahlreichen Brüchen des Brandmauer-Versprechens, die der AfD auch zu politischen Erfolgen in lokalen Parlamente verhalfen. Nicht nur, aber mit Abstand am häufigsten durch die CDU. Auffällig ist auch: Dort, wo die AfD am stärksten ist, also im Osten und insbesondere in Thüringen, Brandenburg und Sachsen, häufen sich auch die Fälle der schwarz-blauen Zusammenarbeit. In einigen deutschen Kommunen sei diese inzwischen sogar ganz alltäglich, heißt es in einer ZDF-Recherche von September 2023.

Im Dezember 2023 etwa erzielten CDU und FDP in Thüringen gemeinsam mit der AfD eine Änderung des Waldgesetzes, das künftig den Bau von Windkraftanlagen in Thüringens Wäldern erschweren wird. Das war der zweite Fall politischer Zusammenarbeit zwischen CDU und der Thüringer AfD, seit diese vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft worden war. Einige Wochen zuvor, im September 2023, setzte die CDU in Erfurt eine Senkung der Grunderwerbsteuer auf fünf Prozent mit FDP und AfD durch. Die Thüringer CDU hatte dabei Rückendeckung von der Spitze der Bundespartei bekommen.

Laut Recherchen des MDR kommt es auch in Thüringer Kreistagen immer wieder zu Kollaborationen zwischen CDU und AfD. Demnach gab es bisher mindestens sechs Fälle, in denen die CDU für Anträge der AfD abgestimmt hat, darunter im Landkreis Sonneberg, wo die dortige CDU-Fraktion sogar gemeinsam mit der AfD einen Antrag in den Kreistag einbrachte.

Die Fälle zeigen auch die inhaltlichen Überschneidungen zwischen CDU und AfD auf. So wurde in Cottbus im Oktober 2023 ein gemeinsamer Antrag der beiden Parteien angenommen, der zur Folge hat, dass die Stadt Cottbus künftig nur noch das Mindestmaß an Geflüchteten aufnimmt. Mit dem Antrag wurde ein vorhergehender Beschluss aus dem Jahr 2021 teilweise verändert, mit dem sich die Stadt zu einem sogenannten sicheren Hafen erklärt hatte.

Im Kreistag der brandenburgischen Uckermark schmetterten Union und AfD gemeinsam eine Vorlage der CDU-Landrätin Katrina Dörk für ein Flüchtlingsheim ab. In einem Kompromiss einigte man sich daraufhin, statt 300 nur noch 180 bis 200 Geflüchtete in einem leeren Bürogebäude unterzubringen.

Auch in Sachsen machten CDU und AfD gemeinsame Sache zum Thema Geflüchtete. Im Dezember 2022 stimmte die CDU im Bautzener Kreistag nahezu geschlossen für einen Antrag der AfD und damit für die Kürzung von Leistungen für Asylbewerber. Kurz darauf, wenige Tage vor Weihnachten, sorgte ein Video des Bautzner CDU-Landrats Udo Witschas für Unruhe. Der sprach davon, Geflüchtete weder in Turnhallen noch in Wohnungen in Mehrfamilienhäusern unterbringen zu wollen, weil sie »unsere Kultur nicht kennen« und den sozialen Frieden gefährden würden.

Weitere Beispiele finden sich in anderen sächsischen Kommunen: Im Stadtrat in Chemnitz haben Abgeordnete der CDU gemeinsam mit der FDP und AfD und der rechtsextremen Vereinigung Pro Chemnitz für eine neue Besetzung des Jugendhilfeausschusses gestimmt.

Viele Einzelfälle oder doch ein Trend?

Wie viele Fälle der politischen Kollaboration zwischen CDU und AfD es in den vergangenen Jahren auf kommunaler Ebene tatsächlich gibt, ist bisher nicht umfassend dokumentiert. Allein in Sachsen konnte der Politikwissenschaftler Steven Hummel zwischen 2019 und 2022 18 Fälle von Zusammenarbeit zwischen der AfD und CDU recherchieren. Eine andere Recherche des SWR aus dem Jahr 2019 sprach von 18 erfassten Fällen in Sachsen und Thüringen. Laut einer Erhebung des MDR von 2023 kamen bisher in mindestens 18 von 50 Parlamenten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen inhaltliche Anträge der AfD durch – die meisten davon mithilfe der CDU.

Diese Zahlen deuten darauf hin, dass es sich bei weitem nicht mehr um Einzelfälle handelt. Genau in den Bundesländern, in denen 2024 Landtagswahlen stattfinden, ist die Brandmauer längst durchlöchert. Das zeigt: In den Kommunen gibt es zahlreiche CDU-Politiker, die durchaus bereit sind, sich gegen die Anweisungen der Bundespartei zu stellen und gemeinsame Sache mit der AfD zu machen.

Auch in der Bevölkerung scheint die Zustimmung für schwarz-blaue Politik zu wachsen. Im Juli 2023 sprachen sich laut dem Online-Portal Statista 41 Prozent der Deutschen dafür aus, dass sich die CDU auf kommunaler Ebene für eine Zusammenarbeit mit der AfD öffnet. Während im September 2022 noch 70 Prozent der Befragten klar gegen jegliche Zusammenarbeit der anderen Parteien mit der AfD waren, waren es 2023 nur noch 54 Prozent. 41 Prozent sprachen sich dafür aus.

Im laufenden Jahr wird sich zeigen, ob die Union die vielen Risse in ihrer Brandmauer tatsächlich kitten oder ob sie das Bollwerk schrittweise zerfallen lassen wird.

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