Unten und oben

Berufspolitiker müssen sich mehr anstrengen, um der AfD keine Steilvorlagen zu liefern

Auf »die da oben« zu schimpfen, das ist mir durchaus bewusst, steht zurecht unter Populismusverdacht. Mindestens. Denn natürlich gehört es zu den Narrativen von rechtsaußen, die vermeintlichen Eliten und damit die Demokratie, in der sie wirken, verächtlich zu machen. Jede Pauschalisierung verbietet sich auch in dieser Frage sowieso. Zumal in den Landtagen und im Bundestag viele kompetente und fleißige Menschen arbeiten und es wohl in der Politik so ungerecht ist wie in jedem Betrieb: Die Guten werden in der Außenbetrachtung in Kollektivhaft für die Faulen und Unfähigen genommen.

Allerdings habe ich in letzter Zeit das blöde Gefühl, dass es eben auch in dieser Hinsicht ein Unterschied ist, ob ich im Krankenhaus oder in der Schule maloche, oder eben in der Politik. Weil: AFD ante portas. Und da ist ganz einfach jeder faule oder imkompetente Abgeordnete aus den anderen Fraktionen einer zu viel. Genau wie jede Maßnahme, die nach Klientelismus, Selbstbedienungsmentalität und, nennen wir es doch beim Namen, Korruption riecht. Wenn man die Dinge unter diesem Blickwinkel sieht, wird einem derzeit an jedem zweiten Tag schlecht. Die Vorstellung, wie Weidel und Co. ob der Steilvorlagen ihrer Gegner feixen, muss man erst mal ertragen können.

Wer sich das erstmal klargemacht hat, bekommt hierzulande leider mehr als genug Gründe, um sich zu ärgern – im Großen und im Kleinen. Über Provinzpolitiker, die beim Termin in der Schule konkrete Fragen mit einem unverbindlichen Phrasengewitter beantworten. Über den Bundeskanzler, an dessen Weisheit man allein deshalb nicht glauben kann, weil er nicht spricht. Oder über Ricarda Lang, die sich beim Versuch in die Nesseln gesetzt hat, die durchschnittliche Rente in Deutschland zu erraten. Ich hätte es natürlich auch nicht gewusst, wäre aber wie Millionen andere deutlich näher dran gewesen an der Realität (1380 Euro) als die Grünen-Chefin.

Natürlich müssen Politiker nicht alle Statistiken auswendig kennen. Aber diese Zahl hätte sie als jemand, der sich vehement für das Bürgergeld eingesetzt hat, zumindest auf 100 Euro genau kennen müssen. Allein schon deshalb, weil jemand, der davon ausgeht, dass ein durchschnittlicher Rentner etwa 600 Euro mehr zum Ausgeben hat als ihm tatsächlich zur Verfügung stehen, den Betrag beim Bürgergeld dementsprechend höher ansetzen dürfte. Auch Hartz IV wurde damals übrigens beschlossen, obwohl viele Abgeordnete nicht angeben konnten, wie hoch der Regelsatz künftig sein würde – nachdem (!) sie abgestimmt hatten. Der Typus Berufspolitiker ohne Berufserfahrung (und gerne auch mal ohne Studienabschluss) muss schon sehr fleißig sein, um die heutigen Zeiten zu durchdringen. Ob das jetzt ein Entschuldigungsgrund für die Langes dieser Welt ist, sei dahingestellt.

Schlimmer als sie sind die anderen, die wirklich harten Fälle: Die beiden Unions-Abgeordneten, die dubiose Zahlungen aus Aserbaidschan erhalten haben sollen. Die Amigos und Amigas von der CSU, die sich an Maskendeals bereichert haben, der Kanzler, der bei Wire Card und Warburg-Bank diese Aiwangerschen Gedächtnislücken hat, die Fraktionen, die es angebracht finden, den Bundestag auf 736 statt 598 Personen aufzublähen, inklusive Diäten und Pensionen. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich sie alle nicht mehr sehen. Schon gar nicht auf Demos gegen die AFD.

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