Warmes Grab im Schnee

Romeo Castelucci inszeniert Richard Strauss’ »Daphne« an der Staatsoper Berlin

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Die kurze Leine der Nacktmacher-Natur: Daphne (Vera-Lotte Boecker) muss sich Deppen und depperten Erwartungen rumschlagen.
Die kurze Leine der Nacktmacher-Natur: Daphne (Vera-Lotte Boecker) muss sich Deppen und depperten Erwartungen rumschlagen.

Daphne kann mit der tumben Menschenwelt nichts anfangen, sie erfährt die Natur als größtes Glück. Diese Selbstgenügsamkeit ist für die sogenannte Männerwelt unerträglich. Hirte und Kindheitsfreund Leukippos wirbt um sie, blitzt ab. Gott Apollo, Partygast des Festes zu Ehren von Dionysos, verführt Daphne zum Küsschen. Unerträglich für Leukippos: Der fordert einen Kampf und findet den Tod. Schließlich tut’s Apollo Leid, und er bittet die Götterkollegen, den Hirten in den Olymp aufzunehmen und die arme Daphne, die erst jetzt ihre Zuneigung für Leukippos erkennt, in einen Baum zu verwandeln.

Mächtige Götter-Herren mit schlechtem Gewissen, denen nichts Besseres einfällt, als postume Ehre und eine Frau in stummer Natur zu verewigen? Eine naive Keusche, die zu spät ihre Liebe und das Lebensziel Hingabe an den einen Mann erkannt hat? Richard Strauss’ Oper »Daphne«, die 1938 in Dresden zum ersten Mal aufgeführt wurde, hat nun wirklich keinen tollen Plot. Es gab ein Libretto-Problem: Die dafür sonst zuständigen Dichter waren entweder tot (Hugo von Hofmannsthal) oder hatten ins Exil fliehen müssen (Stephan Zweig). Die dritte Wahl war Joseph Gregor, Direktor der Österreichischen Nationalbibliothek, dem kein dramatischer Text gelang. Die Sprache plätschert so vor sich hin. Und auch Strauss’ Musik ist nicht mehr auf der Höhe: sinfonisch und lyrisch, viele Ideen für die Hauptfigur, gleichfalls alles in allem recht dekorativ. Im Vergleich zu den berühmten, handelnden, komplexen Frauen-Figuren Salome und Elektra, denen Strauss vorher Opern widmete, fällt die »Daphne« ab.

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In der Staatsoper Berlin versuchte sich nun der italienische Regisseur Romeo Castelucci, berühmt für seine optischen Einrichtungen, an einer Inszenierung der »Daphne«. Er versetzt Strauss’ bukolische Tragödie, die doch im warmen Griechenlande spielt, in eine Schnee-Ödnis. Flocken rieseln unerbittlich auf die Bühne: eine weiße abstrakte Fläche, die Geschichte und Gesellschaft immer wieder verdeckt. Ein Jenseits? Im Hintergrund ist der Horizont ein dunkler Wald als einzige Kontur. Alle tragen dicke Mäntel, Daunenjacken, Anoraks, sind kaum zu unterscheiden, halten sich warm. Auch für die Kostüme zeichnet Castelucci selbst verantwortlich.

Nur Daphne entkleidet sich gleich zu Beginn, wenn sie um den Baum tanzt, wirft den zivilisatorischen Komfort ab. Sopranistin Vera-Lotte Boecker gelingt es, die komplexe Figur zu fassen, und sie erzeugt, auch dank der Choreografie von Evelin Fachhini, eine intensive Körperlichkeit zwischen Leid und Leichtigkeit. Johan Krogius, der den Leukippos gibt, kommt stimmlich meist nicht gegen das Orchester an. Seine Liebe wird so nicht recht plausibel. Und auch David Butt Philip als Apollo tut sich schwer, den Eindruck göttlicher Gewalt zu vermitteln.

Erst nach Leukippos Tod, er tränkt sich in Kunstblut aus dem Kanister – man würde bei diesem Gefäß eigentlich Öl zur Selbstentzündung erwarten –, nimmt das Geschehen an Fahrt auf. Boecker klagt als Daphne eindringlich um ihre verpasste weltliche Liebe, schmachtet in Höchstform. Dann folgt die große kulturhistorische Anspielung: Das Titelblatt von T. S. Eliots epochemachendem Gedicht »The Waste Land« (»Das öde Land«) von 1922 fährt im Großformat herunter. Die berühmten Zeilen zu Beginn, wo der Winter ein »Wir« warm hält, der Schnee vergesslich ist, sich Erinnerung und Lust mischen, bevor der grausame Frühling einsetzt, bilden wohl Hinweise, wie Castelucci seine Bühne versteht. Die Geste, diese Referenz dem Publikum einfach so zum Schluss vor den Latz zu knallen, ist schlicht Dünkel.

Daphne jedenfalls beschmiert sich am Ende mit Schlamm und buddelt sich im Schnee ein. Sie wird Baum, der von der Bühne kopfüber an der Wurzel befestigt von der Decke baumelt. Castelucci gelingt hier ein Bild, das dem Publikum im Gedächtnis bleibt. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Abend über weite Strecken, trotz der metaphorischen Mühen, recht langweilig bleibt. Casteluccis Bilderwelt bietet Projektionsflächen, eine genaue Kritik der Vorlage bleibt aus.

Nächste Vorstellungen: 25.1., 28.1., 31.1., 7.2.

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