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Podcasts in Ägypten: Die Stimme erheben
In Ägypten nutzen immer mehr Frauen Podcasts, um gesellschaftlichen Normen entgegenzuwirken
Als die Ägypterin Esrah Saleh darüber nachdachte, wie sie ihren Podcast nennen könnte, kam sie auf den Namen Lachs. »Die gesellschaftlichen Normen infrage zu stellen, ähnelt dem Lachsfisch, der stromaufwärts schwimmt«, erklärt sie. »Wir schwimmen auch gegen den gesellschaftlichen Strom.« Saleh hat den Podcast »Salmon« im Oktober 2022 gegründet. Es soll ein feministischer Hörraum sein, um Frauen zu unterstützen, die sich vom gesellschaftlichen Mainstream und den traditionellen Geschlechterrollen in der arabischen Gesellschaft distanzieren.
Es gibt seit einiger Zeit viele Frauen wie Saleh in Ägypten, die einen Podcast betreiben. Podcasts sind ein leicht zugängliches Medium für die, die etwas zu sagen haben. Alles, was man braucht, ist ein Mikrofon, oft reicht das Handy aus. Zahlreiche Anbieter stellen auch Plattformen zur Verbreitung zur Verfügung und spielen die Audiodatei, einmal hochgeladen, auf mehreren Kanälen aus. In Ägypten wird besonders »Soundcloud« genutzt, aber auch Spotify oder die integrierten Hör-Apps von Apple oder Google sind beliebt.
Die Formate der Podcasts variieren: Mal lädt der Host Gäst*innen ein, mal sind es Gespräche eines festen Teams über verschiedene Themen oder gescriptete Beiträge wie die von Saleh: Für ihre rund 15-minütigen Episoden stellt sie unterschiedliche Elemente zusammen, spricht Text ein, spielt Zitate eines aufgenommenen Interviews ab und mischt Musik darunter.
Neue Form des Aktivismus
»Podcasting basiert hauptsächlich auf dem Geschichtenerzählen. Es ist ein wichtiges Instrument, um die Erzählungen von Frauen zu dokumentieren und einen Beitrag zur feministischen mündlichen Geschichte zu leisten«, sagt Saleh. Aus diesem Grund bietet »Salmon« eine Plattform, auf der Frauen »über den Preis sprechen können, den sie tagtäglich dafür zahlen, dass sie sich anders entscheiden«. Zum Beispiel, wenn sie keine Kinder bekommen oder als alleinstehende Frauen unabhängig sein und nicht bei ihren Familien leben wollen.
Sexualität, Beziehungen und der weibliche Körper sind Tabuthemen in Ägypten. An Schulen gibt es keine Sexualaufklärung und 90 Prozent der als weiblich gelesenen Personen haben schon einmal Belästigung erfahren. Das geht aus einer Studie des Arab Barometer aus dem Jahr 2019 hervor.
In der konservativen und frauenfeindlichen Öffentlichkeit füllt das Internet eine ambivalente Lücke: Hier kann man Pornografie konsumieren, bekommt aber auch wichtige Informationen, findet einen Raum für Widerstand gegen die Regularien des Staates, die Gesellschaft und religiöse Zwänge. In Facebook-Gruppen, Online-Foren und über Instagram-Kanäle informieren und tauschen sich Frauen im Land aus. Sie möchten, dass ohne Scham über Sexualthemen gesprochen werden kann. Opfer sexueller Belästigung sollen nicht länger als Schuldige behandelt werden.
Podcasts bieten hier eine neue Form des Aktivismus. Die Geschichten im Audioformat bieten ein Gefühl der Intimität und des Zusammenhalts, in denen nicht nur Geschriebenes geteilt, sondern die eigene Geschichte anderen erzählt wird. Die Frauen erheben wortwörtlich ihre Stimme – aber in einer geschützten Sphäre, da sie anonym bleiben können.
Die Szene in Ägypten ist noch jung und wächst langsam. Kim Fox, die Audioproduktion an der Amerikanischen Universität Kairo unterrichtet und Produzentin von »Ehky ya Masr« (»Erzähl deine Geschichte, Ägypten«), einem bereits mit Preisen ausgezeichneten, bilingualen Podcast, ist, erklärt, dass die Szene im Vergleich zu der in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien hinterherhinkt. Fox erklärt sich das teilweise mit den mangelnden Möglichkeiten einer Finanzierung.
»Ich habe einen Workshop für Journalist*innen an der Universität gegeben. Wir haben eine Menge Leute, die schon seit Jahren im Journalismus arbeiten und mit Audio arbeiten können. Aber sie waren weniger daran interessiert, wie es funktioniert, als es zu monetarisieren.« Die Verbraucher*innen wollten etwas Kostenloses und die Medienunternehmen etwas, das sie zu Geld machen könnten.
Unter anderen Umständen ist der monatliche Podcast von Felicia Ewert. Gespräche zu politischen Ereignissen, über die sie unter anderen Umständen nicht sprechen müsste. Schonungslos intersektional: Feminismus für alle. Jeden Monat neu auf dasnd.de/umstaende
Noch junge Szene
Der Anreiz, sich neue Räume des öffentlich Sagbaren zu erschließen, mag dazu führen, dass sich mehr Frauen für das Medium interessieren als Männer. Fox hat die erste Podcasting-Konferenz Afrikas gegründet und dabei festgestellt, dass sich vor allem junge Frauen engagieren. Auch im Organisationsteam des »Podfest Cairo« sind nur Frauen. Für Fox ist ihr Podcast »Ehky ya Masr« ein Herzensprojekt.
Auch Saleh als hauptberufliche Journalistin arbeitet aus Leidenschaft für die Sache an ihren Folgen. So hat auch Rasha Eldeeb angefangen: Sie war Radio-Host, mittlerweile berät sie seit fünf Jahren Kund*innen in Sachen Podcasts und hat bereits elf Audio-Shows produziert. Für sie ist das Hobby zu einem Vollzeitjob geworden. Sie hat Episoden für internationale Organisationen und das Goethe-Institut erstellt und ist seit 2021 die regionale Koordinatorin eines internationalen Podcast-Projekts.
Wenn man mit Podcasts Geld verdienen möchte, muss man seine Zielgruppe gut kennen. Rasha Eldeeb nutzt ein sogenanntes Audiogramm, um ihre Hörerschaft zu analysieren. Bei ihrer ersten Produktion »Wallaha Sowt« (»Sie hat eine Stimme«) drehten sich die am häufigsten gehörten Folgen um sogenannte Periodenarmut, also die Lage von Frauen, bei denen nicht genügend Geld für Hygieneprodukte zur Verfügung steht, und eine geschiedene Frau, die Zeitungen verkauft, um ihre drei Kinder zu ernähren. Letztere hat 12 000 Menschen erreicht.
Eine Episode über eine Mechatronikerin in Luxor bekam sehr viele positive Kommentare in den sozialen Medien, in denen Eldeeb Links zu den Folgen teilt. Was die Hörer*innenschaft in Ägypten ausmacht, was sie charakterisiert und bevorzugt, können die Macherinnen nur über Umfragen, Kommentare, Klicks und Austausch herausfinden. Vor dem Start verschickte Eldeeb eine Umfrage an Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren. »Ich habe gefragt, wovor sie Angst haben. Ich war geschockt, dass am meisten die Jungfräulichkeit genannt wurde, danach häusliche Gewalt, Belästigung, sexualisierte Gewalt und dann Geldsorgen.«
So entstand zuerst eine Folge über eine Frau, die ihr Kopftuch ablegen wollte und deshalb von ihrem Bruder und Vater attackiert wurde, und dann eine über eine Frau, die mit einem verbal gewalttätigen Mann verheiratet war. Dafür gab es nicht nur positive Rückmeldungen – vor allem Männer kommentierten die Folgen auf Facebook mit Hassbotschaften. »Sie schrieben, Frauen sollten jungfräulich in die Ehe gehen oder es sei das Recht der Männer, Gewalt auszuüben«, sagt Eldeeb. Die Frauen fürchteten sich vor Angriffen in den sozialen Medien. »Manche redeten dagegen, aber die meisten Reaktionen der Frauen waren neutral, womöglich aus Angst vor der Gegenreaktion.«
Offener und positiver seien die Reaktionen der Frauen im persönlichen Chat oder Gespräch. »Eine Protagonistin hat mir gesagt: ›Du bist mein Vorbild, weil du keine Angst hast.‹ Eine andere Frau hat mir geschrieben: ›Ich habe nie meine Stimme erhoben, aber der Tonfall Ihrer Stimme gibt mir das Gefühl, dass es auch mein Recht ist, meine Stimme zu erheben und meine Rechte einzufordern.‹« Für Eldeeb ist wichtig, dass vor allem Frauen die Geschichten hören und von starken Vorbildern inspiriert werden. Statistiken zeigen, dass rund doppelt so viele Frauen wie Männer Podcasts hören.
Nour Emam, eine ägyptische Geburtshelferin, spricht in »The Mother Being« (»Die werdende Mutter«) mit Expert*innen über Themen wie Verhütungsmittel, Geschlechtskrankheiten oder moderne Vaterschaft. Wie viele Menschen sie hören, ist nicht klar, doch ihre Followerschaft in allen sozialen Medien summiert sich auf über eine Million. Zwar wird ihr Engagement von »Podeo«, der größten arabischen Podcast-Plattform, finanziell unterstützt. Ihr Geld verdient die Geburtshelferin aber mit Gesundheits- und Aufklärungskursen.
Ein Format, das zurzeit unter allen arabischsprachigen Podcasts beliebt ist, ist »Eh Al-Alaqa« (»Was ist die Beziehung?«). Die somatische Sexologin Mint und ihr Ehemann, Extremsportler Omar Samra, stellen im gemeinsamen Gespräch Partnerschaftsnormen in Frage. Das ägyptische Paar redet über psychische Gesundheit, Intimität und Patchwork-Familien. Das Geld dafür kommt aus den Emiraten, vom feministischen Medienunternehmen »Womena« mit Sitz in Dubai.
Obwohl sie fortschrittliche Themen angehen, brauchen die Macherinnen eine Finanzierung, die nicht von den Nutzer*innen kommt. Trotz der Herausforderungen und der noch geringen Nutzung von Podcasts in Ägypten sehen die Produzentinnen durchaus Potenzial in diesem Format.
Kim Fox betont, dass es Möglichkeiten zur Monetarisierung gibt, aber Kreativität und Experimentierfreude dafür vonnöten seien. »Die ägyptische Mentalität ist noch so, dass Podcasts wie traditionelle Medien behandelt werden.« Sponsor*innen könnten ein neuer Weg sein, Geld einzutreiben. Das Schöne an Podcasts sei, so Fox, dass man machen könne, was man wolle – vor allem experimentieren und neue Formate entwickeln.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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