Jelinek zum Aufstieg der Rechten: Ich höre ein Ungeheuer atmen

Elfriede Jelinek über das Erstarken der Rechtsextremen, dem Meißeln am Verfassungsstemmbogen und Verhängnissen auf den ideologischen Schlachtfeldern

  • Elfriede Jelinek
  • Lesedauer: 5 Min.
Unter dem Motto »Die Demokratie verteidigen« fand am 26. Januar vor dem Parlament in Wien eine machtvolle Demonstration gegen rechts statt.
Unter dem Motto »Die Demokratie verteidigen« fand am 26. Januar vor dem Parlament in Wien eine machtvolle Demonstration gegen rechts statt.

Bei der letzten Demo gegen Rechtsextremismus und Faschismus habe ich es schon gesagt, ich fühle mich seltsam, wie ein Bauchredner — das sage ich jetzt —, der seine eigene Stimme wie eine fremde sprechen läßt, die aber immer schon gesprochen hat. Ich habe es gesagt, ich sage es jetzt, wie oft werde ich es noch sagen müssen? Dürfen? Walter Benjamin spricht in »Über den Begriff der Geschichte« von dem seinerzeit berühmten Schachautomaten, der jede Partie gewonnen hat, doch gespielt hat ein andrer, sozusagen ein getarnter Automat, ein kleiner Mann, ein buckliger Zwerg, der ein Meisterspieler war und die Puppe, die angeblich spielte und jede Partie gewann, in Wirklichkeit gelenkt hat.

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Immer dieselbe Partie

So komme ich mir vor. Ich sitze seit so vielen Jahren unter dem Tisch, spiele aber immer dieselbe Partie, weil ich sie spielen muß, ich spiele sozusagen unter der Drohung, daß etwas Entsetzliches passieren könnte, wenn ich aufhöre. Damit überschätze ich mich natürlich total. Aber jetzt tritt diese Puppe aus dem Dunkel einer Tischdecke hervor und spricht als sie selbst. Als ich. Ja, Sprechpuppe, das werden sie abfällig sagen.

Besteht da, wie Benjamin sagt, eine geheime Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern und unserem? Hat diese Verabredung nicht unverrückbar erklärt, daß die Vergangenheit nie wieder passieren dürfe, nie wieder, auch anders nicht und nicht ähnlich. Dieses Nie Wieder haben wir oft gehört, in Lippenbekenntnissen, in Gesprächen, in Vorträgen, bei Feiern, ja, die Lippen haben sich eifrig bewegt, das konnte man sehen. Das dürfe nie mehr geschehen, das sei eine zivilisatorische Konstante für uns. Nichts, was sich jemals ereignet hat, sei für die Geschichte verlorengegeben, sagt Benjamin, und ich füge hinzu: nichts, aus dem wir etwas lernen wollen. Darin werden wir seit Jahrzehnten schon unterrichtet.

Von diesem Treffen sollte niemand erfahren, von diesem Treffen im Hotel, wo die schweren Helden auftreten, und das sind nicht die sogenannten kleinen Leute, die sich von der Politik eine Verbesserung ihrer Lage versprechen, wenn sie nur die lästigen Asylanten, Flüchtlinge, also diejenigen, die ihnen die Butter vom Brot nehmen wollen, endlich loswürden. Doch von denen ist keiner da, der dicke Spenden im Kuvert abgeben könnte, wer ist hier? Es sind finanzkräftige Unternehmer, rechte Akademiker ohne ihre Verbände, die brauchen sie auch nicht mehr selbst, bluten wollen sie andre lassen, da sind Mitglieder der rechtsextremen AfD, führende Köpfe dabei, die dauernd, gierig nach vergangener Größe, zurückblicken, um noch weiter vorwärts zu kommen, um sich für Künftiges zu positionieren.

Es war offenbar so schön unter den Nazis, die sie nicht mehr gekannt haben, von denen sie aber eine unverrückbare Vorstellung haben. Sie wollen diese Gesellschaft umbauen, verspricht der begabte Rechtsradikale aus einer rechten NGO, wie Herbert Kickl, Parteiobmann der FPÖ, sie nennt, in seinem Haß auf NGOs, die sich die Verbesserung von Lebensumständen auf die Fahne geheftet haben, nein, das ist eine ganz neue NGO, die nur die eigene Lage verbessern und sich zum Herrn machen möchte, alle andren sind ihr egal, die müssen wahrscheinlich sowieso alle weg. Sie wollen sich also zum Herrn über uns machen.

Schwere Helden

Der allgemein beliebte Verfassungsstemmbogen wird immer weiter ausgestemmt, da sitzen Männer und Frauen mit Meißeln und Hämmern und arbeiten daran, daß immer mehr hineingehen in diesen Bogen, und die alten und die neuen Nazis sind wieder salonfähig. Der Rest kann gehen oder wird weggeschafft. Die Ausländer sollen raus – eine jahrzehntealte Parole – und die Inländer sollen kuschen, als wären sie auch schon gar nicht mehr da. Die Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern, die ihre Geschichtslektion gelernt haben, aber jetzt langsam aussterben, und unserem verliert langsam, aber sicher ihre Gültigkeit.

Es muß endlich was weitergehen in die richtige rechte Richtung. Sie haben Unterstützer mit Geld, und sie sammeln noch mehr, wie man im Brandenburger Landhotel am See sehen konnte, doch ihre Stimmen holen sie sich von denen, die sie entrechten und verarmen lassen wollen. Ein ideologisches Schlachtfeld, von dem die Gefallenen schnell entfernt werden, damit neue fallen können. Wofür sie Platz brauchen. Ausländer raus, die wollen ja gar nicht so leben wie wir, also geben wir ihnen auch nicht die Möglichkeit dazu. Dann kommen sie nicht in Versuchung, uns zu verdrängen, ja, die Grenzen dicht, die Reihen fest geschlossen, Sozialbetrug dann unmöglich, denn es wird nichts Soziales mehr geben. Dafür wird es Säuberungen geben müssen, und wer könnte was dagegen haben, sauber zu werden? Abräumen und Aufräumen wird die Devise sein, es wird mit Menschen aufgeräumt werden von aufgeräumten schweren Helden, die Kuverts überreichen im Brandenburger Landhotel. Und ein Österreicher immer dabei – mindestens einer! –, wir sind ja immer dabei, wenn was zu exportieren ist, was die Deutschen noch nicht haben.

Genug davon

Eine illiberale Demokratie, die Ungarn haben sie schon, wir können sie auch bald exportieren, wir haben genug davon, eine genügt für uns. Doch wir haben noch nicht genug davon. Orbán hat sich schon von der Demokratie verabschiedet, so leichtherzig, daß sie es dort kaum merken, sonst wären sie alle täglich gegen ihn auf der Straße. Und auch bei uns wird es so, beinahe unversehens, passieren, die Gesellschaft wird umgewandelt werden und auch noch glauben, daß sie sich selbst gewandelt hat, damit die Leute es besser haben, natürlich unter ihnen, das wird ja immer versprochen.

Ich höre ein Ungeheuer atmen, ich höre, wie der Atem der Demokratie schwächer wird. Ich bin froh, daß Sie alle hier sind und ihr neues Leben einblasen wollen. Ich hoffe, es ist nicht zu spät.

Rede der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek auf der Demonstration gegen Rechtsextremismus in Wien am 26. Januar 2024, an der rund 35 000 Menschen teilnahmen. Die Rede wurde von der Schauspielerin Mavie Hörbiger vorgetragen.

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