Fridays for Warnstreik

Bundesweit legen Beschäftigte im öffentlichen Nahverkehr die Arbeit nieder

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.

»Geplant ist, dass kein Bus und keine Bahn rausfährt«, sagt Heike Hessel im Gespräch mit »nd«. Die Straßenbahnfahrerin arbeitet seit 1985 bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB). »Es ist an der Zeit, die Arbeitsbedingungen zu verbessern«, fordert sie. Nicht nur in Leipzig, in fast allen Bundesländern kommt es zu Ausständen. Hintergrund sind die laufenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Nahverkehr.

Bei den meisten geht es um neue Manteltarifverträge und damit vor allem um Arbeitsbedingungen, erklärt Paul Schmidt, Fachbereichsleiter Verkehr bei Verdi in Sachsen, im Gespräch mit »nd«. »Die Themen fallen unter das Stichwort Entlastung.« Es geht um mehr Urlaubstage und -geld, längere Pausen und mehr Zeit für Regeneration für Schichtarbeiter. So sollen Beschäftigte etwa nach 100 Stunden Nachtarbeit einen zusätzlichen bezahlten freien Tag bekommen, erklärt er die Forderungen.

Die stellvertretende Verdi-Bundesvorsitzende Christine Behle teilt dazu mit: »Wir haben einen dramatischen Mangel an Arbeitskräften im öffentlichen Nahverkehr und einen unglaublichen Druck auf die Beschäftigten.« Täglich würden Fahrten aufgrund des Personalmangels ausfallen. »Es muss dringend etwas geschehen, damit die Beschäftigten entlastet werden«, betont sie.

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Der Sächsischen Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) weist die Forderungen der Gewerkschaft auf nd-Anfrage zurück. Die würden allein in Sachsen zu einem deutlichen Mehrbedarf an Personal von zusätzlich 200 Mitarbeitern führen, die aber nicht am Arbeitsmarkt verfügbar seien, heißt es in einer Mitteilung. Die kommunalen Arbeitgeberverbände (KAV) vertreten vielerorts die Unternehmen in den regionalen Verhandlungen. »Bereits heute bestehen große Schwierigkeiten, Rentenabgänge zu kompensieren und offene Stellen zu besetzen.« Sollte sich die Gewerkschaft durchsetzen, lägen die Mehrkosten im Bundesland laut Sächsischem KAV bei knapp 24,5 Millionen Euro jährlich. Das sei nicht bezahlbar.

Dass sich der Personalmangel überhaupt mit besseren Arbeitsbedingungen beheben ließe, bezweifelt Marc Backhaus, Pressesprecher der Leipziger Verkehrsbetriebe. Das Problem sei, dass überall zu wenig Arbeitskräfte vorhanden seien. »Die Gewerkschaften erzählen immer von der märchenhaften These, die Arbeitsbedingungen seien schlecht und schuld, dass Personalmangel herrscht. Aber es ist ein systematisches Phänomen, das nicht nur unsere Branche, sondern aufgrund von lang bekannten Demografiefolgen und fehlender Zuwanderung alle Branchen herausfordert«, sagt er im Gespräch mit »nd«.

Außerdem sei das Problem in Leipzig inzwischen weniger akut. Man verzeichne steigende Bewerberzahlen und die Auswirkungen auf die Fahrpläne seien wieder begrenzt. Kaum noch würden Fahrten aufgrund des Personalmangels ausfallen. »Wenn wir immer nur mehr Geld investieren, wird es nicht besser«, erklärt Backhaus.

Dem widerspricht Straßenbahnfahrerin Hessel. Dass der Personalmangel sich normalisiert habe, mag stimmen – »auf dem Papier«, sagt sie. »Aber die Realität sieht anders aus. Man hat an den Fahrplänen gerüttelt.« Sie berichtet von weniger Pausen und Arbeitszeitverdichtung. Und dass sich wieder mehr Leute bei der LVB bewerben, sei nicht verwunderlich. »Wir waren der schlechtestzahlende Betrieb im öffentlichen Nahverkehr.« Beim letzten Streik habe man erheblich mehr Lohn durchgesetzt. Der Job sei deutlich attraktiver geworden. Dies müsse nun mit Blick auf die Arbeitsbedingungen erfolgen.

Unterstützung für ihre Forderungen erhalten die Streikenden von der Klimagruppe Fridays for Future, die gemeinsam mit Verdi das Bündnis »Wir fahren zusammen« gegründet hat. »Ohne bessere Arbeitsbedingungen wird es keinen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs geben. Deshalb ist dieser Streik auch ein Klimastreik«, erklärt Amadeo Kaus von Fridays for Future. Für LVB-Beschäftigte Hessel ist wichtig, dass sich die Forderungen nicht gegen das Unternehmen richten. Es geht ihr darum, »dass wir mehr Geld von der Politik und den Kommunen haben wollen«.

Das Bündnis fordert von der Bundesregierung bis 2030 zusätzliche Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr von 16 Milliarden Euro im Jahr. »Was wir brauchen, ist mehr Bus und Bahn, und das geht nur mit besseren Arbeitsbedingungen und nur gemeinsam mit den Beschäftigten«, heißt es zum Streik. Umfassende Investitionen will auch der Branchenverband Deutscher Verkehrsunternehmen. Der Investitionsbedarf beläuft sich auf gut 64 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030, teilt der Verband mit.

Dass sich der Streik nicht in erster Linie gegen das Unternehmen richtet, bewertet die LVB möglicherweise anders. Andere Beschäftigte, die anonym bleiben möchten, berichten gegenüber »nd« davon, dass Kolleg*innen, die sich an kleinen Warnstreiks am Mittwoch beteiligt hatten, mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht wurde. Ihre Abwesenheit sei als unentschuldigte Fehlzeit verbucht worden. Auf Anfrage teilte das Unternehmen mit: »Derartiges ist uns bisher nicht bekannt. Als Leipziger Verkehrsbetriebe achten und respektieren wir das rechtmäßige und kollektive Streikrecht.«

In einigen Bundesländern geht es am Freitag auch um höhere Entgelte. So fordert Verdi in Brandenburg 20 Prozent, mindestens aber 650 Euro mehr. In Berlin endet der Ausstand bereits am Morgen. Im ÖPNV arbeiten rund 90 000 Beschäftigte. Die Verhandlungen werden am 28. Februar fortgesetzt.

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