Pascal Meiser: Aktivster Wahlkämpfer von Berlin

Die Linke braucht bei der Berliner Wiederholungswahl 40 000 Stimmen, dann bleibt der Abgeordnete Pascal Meiser im Bundestag

Hat etwas zu verlieren und kämpft um jede Stimme: Der Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser (Linke) am Freitag an der Prenzlauer Allee, Ecke Danziger Straße.
Hat etwas zu verlieren und kämpft um jede Stimme: Der Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser (Linke) am Freitag an der Prenzlauer Allee, Ecke Danziger Straße.

Eine Frau ruft dem Bundestagsabgeordneten Pascal Meiser (Linke) im Vorbeilaufen zu: »Ich habe dich gewählt.« Sie dreht sich noch einmal um und fügt strahlend hinzu: »Und der Opa auch!« Sie haben per Briefwahl bereits abgestimmt.

Am 26. September 2021 hatten die Berliner zeitgleich den Bundestag, ihr Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen gewählt und über den Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen« abgestimmt. Sie durften dabei sechs Kreuze auf fünf verschiedenen Stimmzetteln machen. Das dauerte seine Zeit und es gab wegen einer dramatischen Fehlplanung zu wenige Wahllokale und zu wenige Wahlkabinen. Es bildeten sich lange Schlangen und es gab noch mehr Pannen, beispielsweise fehlerhafte Stimmzettel. Deswegen musste vor einem Jahr die Wahl des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen komplett wiederholt werden.

Am 11. Februar muss in Berlin nun auch die Bundestagswahl wiederholt werden – diese allerdings nicht im gesamten Stadtgebiet, sondern nur in 455 von 2256 Wahlbezirken der Hauptstadt. Wo ungefähr, das lässt sich dieser Tage daran erkennen, wo Wahlplakate hängen und wo nicht. So sind die Laternen in Prenzlauer Berg voll davon, in Wedding beispielsweise aber nicht.

Stellenweise werden die Bewohner einer Straßenseite an die Wahlurnen gerufen und die Nachbarn auf der anderen Straßenseite nicht. So auch hier an der Rigaer Straße in Friedrichshain. Es wählt in einer Woche der Häuserblock zwischen Rigaer Straße, Voigtstraße, Schreinerstraße und Pettenkofer Straße, nicht aber die Bevölkerung ringsum. Zielgenau stehen der Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser und seine Genossen Christian Arnd und Sebastian Dieke mit ihrem Infostand vor dem Drogeriemarkt an der Rigaer, Ecke Voigstraße. Hier haben sie eine große Chance, Wähler zu treffen. Hier ist überhaupt ein gutes Pflaster für die Linkspartei. Hier bekommt sie bei Wahlen regelmäßig einen überdurchschnittlichen Stimmenanteil.

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Seinen Bundestagswahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg – es gehört auch noch der östliche Teil von Prenzlauer Berg dazu – konnte Meiser in den Jahren 2017 und 2021 nicht gewinnen. Er zog jeweils über die Landesliste der Linken ins Parlament ein. 2017 hatte die Abgeordnete Canan Bayram (Grüne) bei den Erststimmen, die an die Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben werde, nur einen hauchdünnen Vorsprung vor Pascal Meiser. 2021 war der Abstand sehr deutlich. Es ist Meiser klar, dass er seinen großen Rückstand bei der Wiederholungswahl am 11. Februar nicht aufholen kann. Es gibt für ihn nur einen Weg, sein Bundestagsmandat zu verteidigen. In den berlinweit 455 Wahlbezirken, in denen die Wahl wiederholt wird, erhielt Die Linke im September 2021 rund 50 000 Zweitstimmen. Nun dürfen es am 11. Februar nicht weniger als 40 000 Stimmen werden, sonst ist Meisers Mandat futsch.

Davon abgesehen ändert diese Wiederholungswahl kaum etwas. Sie kann die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag nicht verändern, die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP nicht kippen und auch bis auf Pascal Meiser keinen Abgeordneten von Linke und Bündnis Sahra Wagenknecht aus dem Parlament fegen. In einer ähnlichen Lage wie Meiser ist der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup, der 2021 den Wiedereinzug ins Parlament verpasste. Da in dessen Wahlkreis Pankow stolze 85 Prozent der Wahlbezirke neu abstimmen – so viel wie in keinem anderen Wahlkreis – erhält Mindrup eine zweite Chance. Denn seinen Rückstand auf den 2021er Wahlkreissieger Stefan Gelbhaar (Grüne) könnte Mindrup durchaus aufholen. So ist es kein Zufall, dass Pascal Meiser und Klaus Mindrup dieser Tage die wahrscheinlich fleißigsten Wahlkämpfer in Berlin sind. Beide haben einen Termin nach dem anderen. Mindrup braucht Erststimmen in Pankow, Meiser dagegen Zweitstimmen in jedem der 455 Wahlbezirke, in denen die Bundestagswahl wiederholt wird. »Ich werbe auch um Erststimmen, klar«, sagt Meiser. »Aber wer mich weiter im Bundestag haben will, muss überall in Berlin Die Linke wählen!«

Dass die Ampel-Koalition bei dieser Wahlwiederholung einen Dämpfer erhält, sei nach den Umfragen klar, weiß der 48-Jährige. Es gehe aber noch darum, ob es ein Dämpfer von rechts werde oder ein Dämpfer von links. »Ein Denkzettel von links ist möglich«, denkt Meiser. »Ob es passiert, werden wir sehen.« Der 48-Jährige hofft insbesondere auch auf Wähler, die 2021 die SPD oder die Grünen angekreuzt haben und jetzt von der unsozialen Politik der Bundesregierung enttäuscht sind.

Eine Hilfe sind die 1092 neuen Mitglieder, die nach dem im Oktober erfolgten Parteiaustritt von Sahra Wagenknecht und neun anderen Bundestagsabgeordneten jetzt erst recht in die Berliner Linke eingetreten sind. 208 dieser Neumitglieder waren zu verzeichnen, seit im Januar das Rechercheteam Correctiv enthüllte, dass AfD- und CDU-Mitglieder in Potsdam besprochen haben, wie sie massenweise Migranten aus Deutschland hinauswerfen könnten. Das hat Menschen dazu bewegt, der Linken beizutreten. 7346 Mitglieder zählt der Landesverband jetzt.

Das verleiht im Wahlkampf Schub. Allein in seinem Ortsverband Friedrichshain-Nordost habe sich die Zahl der aktiven Genossen verdoppelt, berichtet ganz begeistert Christian Arnd, Mitarbeiter der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. »Hier hat es wirklich gezündet«, schwärmt der 36-Jährige. Die Neuen seien sogar bereit gewesen, Haustürwahlkampf zu machen. Bei fremden Leuten an der Wohnungstür zu klingeln, das kostet schließlich Überwindung. Arnd weiß, wovon er spricht. Er hat selbst schon oft Haustürwahlkampf gemacht: in seiner alten Heimat Aachen, an seiner Zwischenstation Magdeburg und in seiner neuen Heimat Berlin. In Aachen seien die Menschen immerhin nicht unfreundlich gewesen, aber reserviert gegenüber den Sozialisten. In Magdeburg schlug den Haustürwahlkämpfern zuweilen der blanke Hass entgegen. »Damit verglichen ist es in Berlin ein Traum«, erzählt Arnd. Hier hat seine Partei noch einen guten Stand, besonders in der Karl-Marx-Allee. Ohne es zu wissen, klopfte Arnd dort bei alten Genossen an und lernte sie so einmal kennen.

Viele wollen jetzt unbedingt wählen gehen, weil sie verhindern möchten, dass die AfD noch stärker wird. »Das habe ich jetzt oft gehört«, berichtet der Abgeordnete Meiser. Bei den Problemen, auf die er von Passanten angesprochen wird, kommt eins immer: die Mieten. Da sind die Menschen bei Meiser an der richtigen Adresse. Mit seinem Bundestagskollegen Gregor Gysi brachte er zur Wiederholungswahl ein Flugblatt heraus, auf dem sie auch dafür eine Lösung vorschlagen. »Die Mieten und Heizkosten explodieren weiter«, während »die Zahl der Multimillionäre und Milliardäre in unserem Land steigt und steigt«, halten die beiden Politiker zunächst fest. »Wir wollen Mieterinnen und Mieter wirksam schützen. Dazu müssen überhöhte Mieten gedeckelt und mehr bezahlbare Wohnungen gebaut werden.« Meiser stammt aus dem Saarland. Er studierte in Mainz und Berlin Politikwissenschaften, ließ sich bei der IG Metall zum Gewerkschaftssekretär ausbilden und ist über die Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) zur Linken gestoßen, die 2007 furios startete.

Dass es diese Partei heute noch gibt, muss er am Infostand in der Rigaer Straße einer Frau erklären, die leicht angeheitert stichelt: »Ihr habt euch doch aufgelöst!« Doch so stimmt das natürlich nicht. Die Partei existiert und statt einer Linksfraktion gibt es im Bundestag noch eine Gruppe, »man könnte auch sagen, ein Fraktiönchen«, nimmt es Meiser mit Humor. Das gefällt der Frau. Sie bittet um Informationsmaterial und will es sich überlegen. Nicht mehr überlegen muss ein Passant, der versichert: »Meine Stimme habt ihr!«

Weniger glatt läuft es einige Tage später bei einer Verteilaktion am U-Bahnhof Südstern in Kreuzberg. Früh um 8 Uhr streben die Beschäftigten eilig zur Arbeit und die meisten beachten Pascal Meiser und seine Helfer kaum. Ungefähr jeder Zehnte greift aber doch nach dem angebotenen Informationsmaterial und der eine oder andere bleibt sogar stehen, um ein paar Worte mit Meiser zu wechseln. »Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen, aber ich darf nicht wählen. Darum solltet ihr euch mal kümmern«, meint ein Türke, der keinen deutschen Pass hat. Es fällt ihm noch etwas ein: »Cannabis sollte es im Kiosk zu kaufen geben wie Zigaretten, damit nicht mehr damit gedealt wird.« Meiser kann versichern, dass sich seine Partei dafür stark macht, dass hier lebende Ausländer wählen dürfen und dass der Cannabis-Konsum entkriminalisiert wird. Als er das vernimmt, verabschiedet sich der Türke mit den Worten: »Ich wünsche dir viel Erfolg!«

Drei Frauen und ein Mann sind zu früher Stunde gekommen, um Meiser zu unterstützen. So viele braucht er hier gar nicht. Zwei ziehen deshalb los, um in den angrenzenden Straßen Flyer in Briefkästen zu stecken.

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