NÄNZI: Liebe machen und Pogo tanzen

Freiheit, Frechheit und feministisches Selbstbewusstsein gibt es im Werk der Künstlerin NÄNZI. 10 Jahre nach ihrem Tod ist es in Berlin zu sehen

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 5 Min.
Oha: Diese Messer heißen »Hass« und »Lust«.
Oha: Diese Messer heißen »Hass« und »Lust«.

»Wo bin ich?«, lautet eine Frage, die die Künstlerin NÄNZI, deren Werk gerade in Berlin zu sehen ist, offenbar beschäftigte. Mehrfach hat sie sie in ihre Environments und skulpturale Installationen eingestreut. Eine simple Antwort könnte lauten, dass die 1962 unter dem bürgerlichen Namen Sybille Reichert in eine bäuerliche Familie in Baden-Württemberg geborene Künstlerin in allen ihren Aktivitäten zu finden war. Angefangen von ihren performativen Auftritten in extravaganter Kleidung, ihren Zeichnungen, Gemälden, Collagen und den drallen, vor Vitalität und Sex sprühenden, aber auch höchst verletzlichen Frauenkörpern, die sie aus so unterschiedlichen Materialien wie Gips, Terrakotta, Keramik, Holz, Plastik, Pappmaché und Fell schuf. Ansteckender Witz, feministisches Selbstbewusstsein – jedoch nie ohne Selbstironie – und eine energetische Gestaltungskraft durchziehen NÄNZIs Werk bereits von Anfang an, seit den frühen Skulpturen der 1990er Jahre.

1993 schuf NÄNZI eine 2,20 Meter hohe Skulptur mit Atemmaske und Fell und nannte sie frech »Beuysjanerin«. Damit spielte sie auf Joseph Beuys' Geschichte als Pilot eines Sturzkampfbombers, kurz Stuka, sowie seine Aktion an, einem toten Hasen 1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela unter Ausschluss des Publikums seine Kunst zu erklären. Gleichzeitig ist es auch ein ironisches Statement über allzu große Nähe zu Künstlervorbildern und die in der Kunst verbreitete Manie, alles von Beuys inklusive der von ihm verbreiteten Mythen zu erhöhen. All dies mit einer gehörigen Portion Freiheit und Frechheit versehen, ist es ureigener Ausdruck der Künstlerin. Ihre Gestaltungslust springt die Betrachtenden regelrecht an.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Als Jugendliche entfloh NÄNZI der bäuerlichen Enge auf dem Land in die Punkszene Karlsruhes, bevor sie Anfang der 1980er Jahre nach West-Berlin zog und an der Hochschule der Künste, heute Universität der Künste, ein Studium begann, das sie als Meisterschülerin bei dem Bildhauer Joachim Schmettau abschloss. Ihre klassische Ausbildung ist an der genauen Körper- und Gesichtsmodellierung vieler ihrer Figuren deutlich sichtbar. Doch die »schöne«, intakte Gestaltung von makellosen Körpern war eher nicht in ihrem Sinne. NÄNZIs Figuren, oft Selbstporträts, enthalten stattdessen drastische, schräge Elemente, ihre Körper sind unvollkommen und entsprechen nicht unbedingt dem herrschenden Schönheitsideal. Ausladende Ärsche, dicke Beine, manchmal mit Lumpen umwickelt und vom Staub der Zeit getrübt.

1998 schuf NÄNZI eine 3,50 Meter hohe Skulptur aus Styrodur, Gips und Stoff, von der leider nur noch ein Foto existiert. »Engel der Apokalypse« lautete der Titel der enthaupteten Frauenskulptur. NÄNZIs Engel nimmt Bezug auf Walter Benjamins elfte These in »Über den Begriff der Geschichte«, in der er anhand Paul Klees »Angelus Novus« den »Engel der Geschichte« konstruiert. Im Gegensatz zu Benjamins Konstruktion blickt NÄNZIs Engel nicht die aufgehäuften Trümmer der vergangenen Geschichte, sondern nimmt die zukünftige Zerstörung vorweg. Aus der offenen Halswunde wuchert Gras, die Arme enden in handlosen Stümpfen. Aus heutiger Sicht ein desaströses Bild der Beschädigung und nah an der aktuellen Weltlage, nah an der Gefahr eines drohenden atomaren Infernos.

Der Punk-Kultur, der NÄNZI sich immer nahe fühlte, war diese deprimierende Sicht nicht fremd. Kürzlich beim, Umzug des Archivs mit den Werken der Künstlerin, tauchte die Ton-Skulptur »Mein Punker« wieder auf, die nun seit Langem erstmals wieder zu sehen ist. In Berlin bewegte sich NÄNZI in entsprechender Szene, verkehrte im legendären Westberliner Club »Risiko« und war sowohl mit Blixa Bargeld und seiner Band, den Einstürzenden Neubauten, wie auch mit Nick Cave gut bekannt. Davon zeugt eines ihrer mit Fotos, Texten und Zeichnungen gestalteten Künstlerbücher.

Da NÄNZI wie so viele andere Kolleginnen und Kollegen nicht von ihrer Kunst leben konnte, arbeitete sie 1991 unter anderem bei der von Christos M. Joachimides und Norman Rosenthal organisierten Ausstellung »Metropolis« im Gropius Bau als Aufsicht. Davon künden liebevolle kleine Zeichnungen, auf denen sie das Publikum mit seinen Kunst-Kommentaren festhielt. Satirische Milieustudien, die in einer Vitrine gezeigt werden. Aber auch mit Malerei und sogar mit einem ganz frühen, aus den 1980er Jahren stammenden großen Gemälde auf Holz wartet die Ausstellung auf. Ein sich küssendes Punker-Paar vor einem mit zwei Messern erdolchtem Mann. Die Messer sind als »Hass« und »Lust« bezeichnet und ein Text verkündet: »Am Anfang war die Idee Feind kalt zu machen. Als Die Tat vollbracht war, war nur noch die Lust Liebe zu machen und Pogo zu tanzen.« [sic!]

Seit NÄNZIs plötzlichem Tod 2013 im Alter von 52 Jahren aufgrund eines Aneurysmas kümmern sich die Kunsthistorikerin Helen Adkins, Kuratorin der Ausstellung, sowie der Schauspieler und langjährige Lebensgefährte der Künstlerin Dietmar H. Heddram um den Nachlass. Einige Arbeiten existieren nicht mehr und sind nur auf der Webpage als Fotografien zu finden. Bislang ist es nicht gelungen, das durch Tod abgeschlossene, ausdrucksstarke Werk zu publizieren, etwa in einem Katalog. Deshalb sammeln die beiden Nachlassverwalter Spenden und hoffen, eines Tages eine größere Ausstellung nebst würdiger Publikation realisieren zu können.

»NÄNZI. Wo bin ich?«, bis zum 24. Februar, KUNSTSTIFTUNG k52, Berlin

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal