Mineralwasser nicht »natürlich«

Die Nutzung verbotener Reinigungsverfahren wurde von französischen Behörden gedeckt

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
So schön sprudelt das Mineralwasser – ob es natürlich ist, weiß man bei französischen Marken nicht mehr sicher.
So schön sprudelt das Mineralwasser – ob es natürlich ist, weiß man bei französischen Marken nicht mehr sicher.

Nestlé Waters, ein französischer Ableger der internationalen Nahrungsmittelgruppe und weitere namhafte Mineralwasserkonzerne haben jahrelang vertuscht, dass ihr angeblich naturklares Quellwasser verunreinigt oder chemisch belastet war. Und nicht nur das: Auch dass es gefiltert oder behandelt wurde, was gesetzlich verboten ist. Das ergaben Recherchen von Radio France und der Zeitung »Le Monde«.

Daraufhin leitete das Nahrungsgüter-Betrugsdezernat Ermittlungen ein. Demnach hatte die Alma-Gruppe bereits 2021 den Behörden gemeldet, dass ihr Wasser an einigen Orten leicht verunreinigt oder bakteriologisch belastet war, sodass es gefiltert oder chemisch behandelt werden musste. Die Gruppe ist in Frankreich Marktführer. Sie pumpt an 34 Standorten Grundwasser hoch, füllt es in Plastikflaschen ab und verkauft es preisgünstig unter dem Markennamen Cristaline.

Als Nestlé vom Verhalten der Konkurrenz erfuhr, ging das Unternehmen – mit den Marken Vittel, Contrex, Hépar und Perrier der Weltmarktführer bei Mineralwasser – in die Vorwärtsverteidigung: Man zeigte sich selbst an, weil man ebenfalls gefiltert, desinfiziert oder anderweitig behandelt hatte, allerdings ohne es mitzuteilen.

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Weitere Ermittlungen ergaben, dass dies auch andere Marken betrifft. Zusammen machen sie mehr als ein Drittel des französischen Marktes aus. Da wurden Bakterien und Viren mit ultraviolettem Licht abgetötet, Schmutzpartikel durch Filter entfernt, eine von der Norm abweichende mineralische Zusammensetzung durch Aktivkohle oder andere chemische Eingriffe korrigiert. Bei etwas schwach sprudelndem Mineralwasser wurde auch schon mal mit fabrikmäßig hergestelltem Gas nachgeholfen. All das ist per Gesetz verboten und stellt Betrug dar, wenn das Wasser weiter als »natürliches Mineralwasser« verkauft wird.

Dem Gesetz nach muss Mineralwasser natürlich und von hoher mikrobiologischer Qualität sein. Entsprechend verdient es diese Bezeichnung nicht, wenn es desinfiziert wird wie Leitungswasser aus dem städtischen Netz. Filter, Kohle oder andere Behandlungen sind nicht mit der Bezeichnung »natürlich« vereinbar. Die Mineralwasserkonzerne geben zu bedenken, dass es durch den Klimawandel, das Abschmelzen der Gletscher und die Verknappung von Grundwasser immer schwieriger wird, die mineralische Zusammensetzung und die Reinheit des Mineralwassers zu gewährleisten.

Für diese Argumente müssen wohl auch die staatlichen Behörden empfänglich gewesen sein, denen die Manipulationen schon vor Jahren durch besorgte Mitarbeiter der Firmen zugetragen wurden. Erst jetzt wurden diese Missstände durch die Medien bekannt.

»Hier hat man wissentlich gegen die Gesetze verstoßen und die Verbraucher betrogen«, stellt Ingrid Kragl, Vorsitzende der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch France fest. »Dafür wurde ein ganzes System von Maßnahmen ergriffen, um diese Machenschaften zu vertuschen. Besonders empörend ist, dass die Behörden davon wussten, dass sie das gedeckt haben und dass die Betrüger nicht bestraft wurden. Im Gegenteil, die Behörden kommen den Konzernen noch entgegen und genehmigen jetzt Mikrofilter.«

Inzwischen hat Nestlé firmenintern reagiert, mehrere besonders problematische Quellen aufgegeben und das Verkaufsvolumen der Marken Hépar und Contrex gedrosselt. Für das natürlich perlende Mineralwasser Perrier, das bisher aus acht Quellen im südfranzösischen Departement Gard kam, sind jetzt nur noch sechs in Betrieb. Doch da ein Teil auch dieses Quellwassers wegen Spuren von Schmutz, Bakterien, Viren oder Chemikalien nicht ungefiltert oder unbehandelt in den Handel gebracht werden kann, wurde dafür eine neue Marke mit verschiedenen aromatischen Geschmacksrichtungen kreiert. Sie knüpft an den bekannten Namen an, verzichtet aber auf die Qualitätsbezeichnung »natürliches Quellwasser« und heißt bescheidener »Wasser aus dem Hause Perrier«.

Frankreich gehört international zu den zehn Ländern mit dem höchsten Verbrauch an abgefülltem Mineralwasser. Pro Kopf der Bevölkerung werden jährlich 135 Liter getrunken, also etwa alle zwei Tage ein Liter. Das hat seinen Preis: Verbraucherschützern zufolge ist in Flaschen abgefülltes Quellwasser bis zu 100-mal teurer als Trinkwasser aus dem Hahn, das laufend geprüft wird und strengen Normen entspricht.

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