Ministerpräsident Dietmar Woidke teilt aus

Nach Kritik aus der Opposition an den Aussagen zum Bürgergeld legt Dietmar Woidke (SPD) nach

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hört nicht auf, gegen die Bundespolitik und die Bundesebene seiner Partei zu schießen. Im Interview mit dem »Deutschlandfunk« sagte er, er verstehe die bundesweit anhaltenden Demonstrationen gegen rechts auch als eine Kritik an der Politik der Bundesregierung, von der die Bevölkerung anderes erwarte. Es sei wichtig, den Menschen in dieser Zeit Sicherheit zu geben, sagte Woidke. Hier wünsche er sich mehr Aktivität seitens der Bundesregierung.

Konkret wurde der Ministerpräsident bei der – aus der SPD-Feder stammenden – Erhöhung des Bürgergelds: »Heute könnte man davon ausgehen, dass es ein strategischer Fehler war.« Die Bundesregierung habe bei der Berechnung eine zu hohe Inflation angenommen. Er gehe daher davon aus, dass es bei der nächsten Anpassung deutlich niedrigere Erhöhungen, wenn nicht gar Kürzungen geben werde. Man müsse beim Bürgergeld immer darauf achten, dass die Menschen die in Arbeit seien, mehr hätten, als diejenigen, die nicht arbeiten gingen. Es sei wichtig, »dass wir uns vor allem darum kümmern, dass die Menschen, die arbeiten gehen, mit diesem Geld gut leben können«, sagte der Regierungschef.

»Es geht genau um Gerechtigkeit«, legte Woidke am Mittwochabend im »RBB« nach. »Die Menschen im Land empfinden es nicht als gerecht, dass jemand, der arbeiten geht, nur 50 oder 100 Euro mehr hat als jemand der nicht arbeiten geht.« Es gehe darum, dass der Anreiz, eine Arbeit anzunehmen, erhöht werde. Eine Familie, die für Mindestlohn arbeiten gehe, habe abzüglich Miete, Strom-, Betriebs- und Heizkosten am Ende weniger als jemand, der Bürgergeld beziehe. Er sei immer ein Verfechter des Förderns und Forderns gewesen.

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»Woidke spaltet weiter das Land, anstatt endlich für Lösungen zu sorgen«, hieß es von der oppositionellen Linken. Der Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidat für die Landtagswahlen Sebastian Walter hielt Woidke vor, dieser selbst habe »einen höheren Mindestlohn ebenso wie die wichtige Tariftreueregelung und die Erhöhung des Vergabemindestlohns im Land Brandenburg« verhindert. Woidke greife stattdessen »in die uralte Trickkiste rechter Parteien« und spiele »lieber die Schwachen gegen die Schwächsten aus«. Offenbar erkenne der Ministerpräsident nicht, in welcher Gefahr sich die Demokratie befinde, ließ Walter per Pressemitteilung verlauten.

Doch auch die Koalitionspartner bedachten Woidkes Äußerung mit Kritik. »Wie viel soziale Gerechtigkeit steckt noch in der SPD?«, fragte etwa die Landesvorsitzende der Grünen, Hanna Große Holtrup. »Gerade ein Ministerpräsident der SPD sollte nicht nach unten treten«, erklärte Holtrup, »sondern verstehen, dass gute Löhne und ein starkes soziales Netz das Fundament einer gerechten Gesellschaft sind.« Die CDU hielt Woidke wiederum einen »Sinneswandel« vor. Gordon Hoffmann, Generalsekretär der CDU Brandenburg, teilte mit, es sei damals die CDU gewesen, die das Fördern und Fordern nicht einfach mit der Einführung des Bürgergelds aufgeben wollte, während Woidke sie zu überzeugen versucht habe, im Bundesrat dafür zu stimmen. »Woidke wirkt hier einmal mehr wie ein Fähnchen im Wind«, erklärte Hoffmann.

Im »RBB« ging Woidke außerdem auf die Bezahlkarte für Asylbewerber*innen ein. »Wir wissen: Ein Großteil der Menschen, die jetzt zu uns kommen, ein Großteil der irregulären Migration, die wir im Land haben, hängt mit Schlepperorganisationen zusammen.« Die Karte werde Schlepperorganisationen abschrecken, da diese damit rechnen müssten, Geld nicht zurückbezahlt zu bekommen. Die Karte ist Woidke zufolge Teil eines Gesamtkomplexes von Maßnahmen, darunter auch die Grenzkontrollen, die gewirkt haben: »Wir haben im letzten Jahr nicht die erwarteten mehr als 20 000 Menschen im Land unterbringen müssen, also Asylbewerber, sondern wir hatten nur noch 12 000.« In der Vergangenheit hatte Woidke stets betont, dass die Wirtschaft »Zuzug und Zuwanderung« brauche, um zu gedeihen.

Im Gespräch mit »nd« ordnet der Vorsitzende der Jusos, Leonel Richy Andicene, die Position der Jugendorganiosation der SPD zu den Themen Bezahlkarte und Bürgergeld ein: »Die Bezahlkarte lehnen wir klar ab, sie löst keine Probleme, die sich in der Migrations- und Asylpolitik stellen.« Die Jusos hätten ebenso stationäre Grenzkontrollen, deren Effekt umstritten sei, sets abgelehnt. Andicine plädiert zudem dafür, die Begriffe zu schärfen. »Irreguläre Migration« sei konservatives Framing und müsse aus der Debatte verschwinden. »In der Debatte geht es um Flucht und Asyl«, sagt der Juso-Chef. »Man kann einen Asylgrund haben oder nicht, und selbst wenn nicht, greifen in der Regel weitere Schutzmaßnahmen.«

»Ich kann seine Einlassungen nicht verstehen«, kommentiert Andicene. Laut Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung bleibt je nach Konstellation der Bedarfsgemeinschaft eine Differenz zwischen 430 und 600 Euro. Andicene schloss: »Wir sind dabei, wenn es darum geht, die Löhne zu erhöhen: durch die Stellschrauben Tarifbindung und Vergabemindestlohn. Wir dürfen nicht nach unten treten, sondern müssen dafür sorgen, dass die Menschen endlich mehr verdienen und der Niedriglohnsektor ausgetrocknet wird.«

In den Umfragen liegt die SPD konstant etwa zehn Prozent hinter der AfD. Dennoch erklärte Woidke, die SPD habe die besten Chancen, als beste und erste Partei aus den Wahlen hervorzugehen. Von der Bundesebene nehme er im Wahlkampf um den Landtag jedoch nicht nur Gegenwind, sondern gar einen Hurrikan wahr.

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