Film: 50/50 gibt’s immer noch nicht

Wie ist die Lage der Gender-Gerechtigkeit im Film? Nicht so gut: Ein Gespräch über zehn Jahre »Pro Quote Regie« mit Connie Walther

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 5 Min.
Nur Männer, wohin das Auge reicht: Roter Teppich der Berlinale 2014, während der sich »Pro Quote Regie« gründete.
Nur Männer, wohin das Auge reicht: Roter Teppich der Berlinale 2014, während der sich »Pro Quote Regie« gründete.

Durch einen Artikel von Ellen Wittstock in der Zeitschrift »Black Box« über die Verteilung von Regiejobs zwischen Männern und Frauen in Film und Fernsehen kam es 2014 zu einem geheimen Treffen von Frauen auf der Berlinale, um etwas zu unternehmen. Wie haben Sie davon erfahren?

Über Mundpropaganda. Eine befreundete Regisseurin, Nina Grosse, rief mich an. Ich saß zum ersten Mal in einem riesigen Raum, in dem ausschließlich Frauen anwesend waren. Es herrschte Aufbruchstimmung. Wir wussten schnell: Da ist was faul im Staate Dänemark! Wir müssen etwas tun, um als Regisseurinnen sichtbarer zu werden, und für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Film- und Fernsehwelt kämpfen. Wir gründeten »Pro Quote Regie«, erarbeiteten dann zu zwölft eine Strategie, unter anderem mit einem »Pro-Quote-Regie«-Appell. Den Appell haben am Anfang 40 Frauen unterzeichnet, schnell waren es 800. Es solidarisierten sich auch andere Frauen aus der Filmbranche mit uns, Schauspielerinnen wie Iris Berben und Veronica Ferres unterschrieben unser Manifest. Es war ein riesiger Schneeball, der nicht mehr zu stoppen war.

Wie sind Sie weiter vorgegangen?

Wir haben uns an Zahlen orientiert. Die Zahlen aus dem Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie untermauerten unsere Analyse der Schieflage. Von 100 Prozent der bezahlten fiktionalen Werke in der Fernseh-Primetime wurden nur elf Prozent von Regisseurinnen umgesetzt. Die Zahl der Hochschulabgängerinnen deutscher Filmhochschulen lag im Mittel jedoch bei 40 Prozent. Wir haben die Sender mit unseren Zahlen konfrontiert. Sie reagierten überraschend offen und versprachen, Dinge zu verändern. Allerdings lag die Quote bei ARD und ZDF von 2013 bis 2018 laut Diversitätsbericht bei 20 Prozent, bei fiktionalen Sendungen im Fernsehen lag der Anteil zwischen 2018 und 2019 bei 30 Prozent.

Interview
Connie Walther bei der Premiere des Kinofilms Die Rüden in den Z...

Connie Walther ist Filmregisseurin (u.a. »Wie Feuer und Flamme«, »Zappelphilipp«, »Die Hochzeit meiner Eltern«). Sie ist Gründungsmitglied von »Pro Quote Regie« und Mitglied von »Pro Quote Film«. Am 19. Februar lädt »Pro Quote Film« zur Berlinale im Berliner Museum für Kommunikation zum Kongress »Empowered for quality« ein.

Hatten Sie in der Initiative ein Aha-Erlebnis?

Als ich bei der Veranstaltung 2014 den Satz »Auch Frauen dürfen schlechte Filme machen« hörte, machte es »klick« bei mir. Bis zu diesem Moment drehte sich bei mir alles um den künstlerischen Anspruch, die vielen »Fast-Food-Formate«, die ganz andere Prioritäten setzen, hatte ich gar nicht auf dem Schirm. »Qualität vor Quote« ist zu einfach gedacht, denn das eine hat mit dem anderen sehr wenig zu tun. Aufgrund eines Unterschieds wird hier mit zweierlei Maß gemessen und Talent wie Relevanz werden anders bewertet.

In Ihrem Werbespot frei nach Ina Deters Lied »Frauen kommen langsam, aber gewaltig« reiten drei Frauen durchs Bild. Was wollten Sie als Regisseurin damit sagen?

Ina Deter war eine der wenigen Frauen, die Anfang der 80er Jahre in der Popmusik mit feministischen Texten nach vorne gegangen ist. Pferde stehen für mich für Eleganz, Kraft und Geschwindigkeit, also für all das, was eine beeindruckende Vorwärtsbewegung ausmacht. Ein Pferd ist ein Herdentier, kein Einzelgänger. Außerdem habe ich den Spot wie einen Western in Slow Motion inszeniert, weil ich die männliche Konnotation des klassische Western weiblich umwidmen wollte.

2017 haben Sie sich für eine Umbenennung in »Pro Quote Film« entschieden und die Pro-Quoten-Initiative auf insgesamt neun Gewerke ausgeweitet. War das im Nachhinein ein guter Schritt?

Es war damals eine zwingende Entscheidung. Schließlich gab es diese Schieflage für Frauen auch in allen anderen Gewerken der Filmbranche. Wenn du gesellschaftliche Teilhabe haben möchtest und eine breite Bewusstseinsveränderung anstrebst, dann geht es um mehr als Partikularinteressen. Auf die Regie bezogen mache ich aber heute ein großes Fragezeichen hinter die Verbreiterung. Je breiter eine Bewegung wird, desto weniger geht sie in die Tiefe. Vielleicht hatten wir als Regisseurinnen zu dem Zeitpunkt den Weitblick noch nicht, wie bedroht unser Berufsbild ist. In vielen Formaten ist Regie heute Set- und Produktionsmanagement. Alles muss vorhersehbar und damit kalkulierbar sein. Aus meiner Sicht hat das mit dem, wofür ich mal angetreten bin, nichts mehr zu tun. Dafür hätten wir als Regisseurinnen gezielter weiterkämpfen müssen. Wenn die Position der Regie geschwächt ist, leiden darunter auch die meisten anderen Positionen.

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Ist es nicht schwieriger, für alle gleichzeitig zu kämpfen und alle Befindlichkeiten und Gruppen mitzudenken?

Ja, das stimmt. Die Schlagkraft ist als kleine, rebellische Gruppe höher. Aber: Die Parzellierung führt oft zu einzelnen Befreiungsschlägen, die individuell wichtig sind. Kollektiv leiten diese Separierungen oft ins Gegenteil dessen, was erreicht werden will. Die Verunsicherung, die wir damals bei den alten weißen Männern ausgelöst haben, war gut. Aber jetzt ist daraus fast ein gesamtgesellschaftliches Verunsicherungsgefühl geworden.

Wo stehen wir heute?

Nach wie vor fordert Pro Quote Film eine 50/50-Quote vor und hinter der Kamera. Die Initiative geht gegen Sexismus und Rassismus vor, gegen Vorurteile aufgrund von sozialer Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Vorurteile aufgrund von körperlichen Einschränkungen. Von Parität sind wir weit entfernt. Altersdiskriminierung ist ein wichtiger Punkt, der Männer wie Frauen trifft, anspruchsvolle Regisseurinnen ebenso wie serielle Handwerker. Wenn Kreative nicht nur alt sind, sondern dazu noch weiblich, haben sie ganz schlechte Karten. Die ökonomische Krise, die unsere Branche gerade durchmacht, trifft alle, die mehrfach benachteiligt sind, um ein Vielfaches härter.

Was ist Ihre Vision als Regisseurin?

Inhalte, Inhalte, Inhalte. Die Narrative müssen unbedingt geöffnet werden. Wir sollten uns fragen: Was ist überhaupt die Bedeutung von Geschichten für eine Gesellschaft und welche Geschichten erzählen wir mit welcher Absicht? Machen wir weiter Kriegsspiele im Film und morden die ganze Zeit, damit wir unser negatives Menschenbild aufrechterhalten?Sind wir nur Hofnarren, oder sind wir in der Lage, über etwas Fiktionales Impulse zu geben, die dann auf unsere Lebenswirklichkeit rückwirken, die Resonanzräume schaffen, die blinde Flecke erhellen? Wenn wir es nicht zu einer guten, belastbaren Gemeinschaft schaffen, die heftigen filmischen Diskurs aushält im Ringen um etwas Essenzielles, dann wird es nur noch 08/15-Stories geben, die so inhaltsleer sind wie ein verdammt schlechter Popsong.

https://proquote-film.de

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