Gaza-Krieg: Blinken will Netanjahu bremsen

US-Außenminister warnt vor »Entmenschlichung« im Gazastreifen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Ende eines Treffens ohne wirkliche Nachrichten, nach einer Pressekonferenz, in der nur Nichtssagendes gesagt wurde, sprach US-Außenminister Antony Blinken im Vorbeigehen den wartenden Reportern einen Satz zu, der viele aufhorchen ließ: »Nachdem ich mit vielen Regierungen in der Region gesprochen habe, ist mir klar, dass man dazu bereit ist, Dinge für und mit Israel zu tun, zu denen man in der Vergangenheit nicht bereit war.« Eine weitere Phrase, die der wirklich hoffnungslosen Situation eine positive Note aufzwingen soll? Oder ein Hinweis auf einen Paradigmenwechsel in der Politik der arabischen Staaten gegenüber Israel?

Zwei-Staaten-Lösung bleibt das Ziel der arabischen Welt

In Hintergrundgesprächen machen Vertreter der saudischen Regierung klar, dass die offizielle Normalisierung der Beziehungen zu Israel davon abhängt, dass Regierungschef Benjamin Netanjahu nicht mehr umzukehrende Schritte hin zur Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staats geht. Die umständliche Wortwahl ist das Ergebnis diplomatischer Formulierungskunst, die der Politik möglichst große Flexibilität einräumen soll. Übersetzt bedeutet sie ungefähr das: Israels Regierung müsste die palästinensische Unabhängigkeit zuerst anerkennen, der Rest der Welt würde es ihr nachtun. Und erst dann würde man die wirkliche Arbeit erledigen: Die palästinensische Führung müsste sich reformieren, Israel auf die Räumung von Siedlungen hinarbeiten.

Die arabische Welt würde in diesem Szenario für jene Sicherheit für Israel sorgen, die den Palästinensern selbst auch in der Region derzeit niemand zutraut: Präsident Mahmud Abbas ist nicht nur bei der eigenen Bevölkerung, sondern auch bei den Regierungen der Region ausgesprochen unbeliebt.

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Noch ist das alles Zukunftsmusik. Der Krieg im Gazastreifen geht voran. Die Vorstellungen der Hamas und der israelischen Regierung in Bezug auf die Bedingungen für eine Waffenruhe gehen weit auseinander, ebenso wie die der US-amerikanischen und der israelischen Regierung: Blinken machte Netanjahu gegenüber deutlich, dass man sich ein schnelles Ende des Kriegs wünscht: Israelis seien am 7. Oktober 2023 auf die größtmögliche Art entmenschlicht worden. Dies dürfe kein Freibrief sein, andere zu entmenschlichen. Der Premier indes gelobte einen Kampf bis zum Sieg, und versprach, dass dieser Monate, nicht Jahre entfernt sei.

Nur wenige Stunden nach dem Treffen zwischen Blinken und Netanjahu traf eine Delegation aus Israel in Kairo ein, ungefähr zeitgleich mit einer Hamas-Abordnung unter Führung von Politbüro-Chef Ismail Hanijeh. In den kommenden Tagen werden beide Seiten indirekt miteinander verhandeln. Das bedeutet, dass sich die Delegationen an unterschiedlichen Orten befinden, zwischen denen die Verhandler aus Katar und Ägypten hin- und herpendeln. Auch mit dabei: Gesandte anderer Regierungen der Region, die darauf achten sollen, dass ein Deal auch ihre Interessen berücksichtigt. Denn von den iranischen Revolutionsgarden unterstützte Milizen sind in vielen Staaten der Region präsent und vor allem der Raketenbeschuss des Schiffsverkehrs im Roten Meer durch die Huthi-Milizen im Jemen fügt Ägypten schweren Schaden zu: Die Einnahmen aus dem Suez-Kanal sind von enormer Bedeutung für den Staatshaushalt. Und die Zahl der Durchfahrten ist nach Auskunft der Kanalbehörde um 70 Prozent eingebrochen.

USA führen eigenen Nahost-Krieg

Die Lage in Nahost erschwert sich noch dadurch, dass die Vereinigten Staaten einen eigenen, mit niemandem abgesprochenen Krieg mit den Huthi und anderen von den iranischen Revolutionsgarden unterstützten Milizen vor allem im Irak und in Syrien begonnen haben. Im Jemen, im Irak und anderswo befürchten Regierungen und Diplomaten, dass die sorgsam, mit extremster Mühe einigermaßen stabilisierte Lage wieder außer Kontrolle geraten wird, und damit alte Krisenherde wieder aufflammen.

Gleichzeitig ist klar: Im Jemen, im Irak haben US-Amerikaner, Saudis und andere über Jahrzehnte in wechselnder Besetzung versucht, Gruppen wie al-Qaida, den »Islamischen Staat«, die Huthi oder allein im Irak die mehr als 300 bewaffneten Milizen zu bekämpfen. Offensichtlich ohne nachhaltigen Erfolg. Und mit fatalen Folgen für die US-Außenpolitik: Sie hat in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung verloren. Zuerst schaffte es ausgerechnet die chinesische Führung, eine Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran auszulösen, indem sie intensiv mit Geldscheinen winkte. Dadurch wurde dann eine Entspannung der Lage im Jemen möglich. Nun funkt das US-Militär mit Bomben dazwischen und trifft damit bei vielen in der Region einen empfindlichen Nerv: Die USA, das sei gleichbedeutend mit Bomben und Tod, mehr als das bekomme man ja aus Washington nicht zu sehen, kommentierte ein Moderator im irakischen Staatsfernsehen. In Bagdad wurde der Kommandeur der Kata’ib-Hisbollah-Miliz, Abu Bakir al Sa’adi, durch einen Drohnenangriff des US-Militärs getötet. Viele reagierten darauf mit großer Wut: Denn der Angriff ereignete sich auf einer vielbefahrenen Hauptverkehrsstraße. Die US-Regierung schere sich nicht um mögliche zivile Opfer, so nun der vielfach geäußerte Vorwurf. Gleichzeitig nennt ein hochrangiger US-Diplomat in Bagdad den Angriff »komplett sinnlos«: Die Revolutionsgarden unterstützten im Irak Dutzende Gruppen mit tausenden Kämpfern; auch Kata’ib Hisbollah bestehe weiterhin.
Und auch in Israel gibt es Ernüchterung über die USA: Am Mittwoch scheiterte im Senat ein Hilfspaket für Israel im Wert von rund elf Milliarden US-Dollar an den Querelen zwischen Demokraten und Republikanern.

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