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EU-Erweiterung: Unerledigte Hausaufgaben
Die EU will sich erweitern. Dazu muss sie sich aber zunächst selbst reformieren, meint Helmut Scholz
Ein zentraler Punkt der belgischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2024 ist die Fortsetzung des Erweiterungsprozesses der Europäischen Union. Auf ihrem Gipfeltreffen im vergangenen Dezember haben die EU-Staats- und Regierungschefs grünes Licht für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine, Moldau und Georgien gegeben sowie die Intensivierung der Verhandlungen mit den Ländern des sogenannten Westbalkan beschlossen.
Es ist richtig, gerade den Menschen in der Ukraine, Moldau und Georgien eine Beitrittsperspektive aufzuzeigen, weil sie diese seit langem einfordern. Ebenso vermissen gerade junge Menschen in den Westbalkan-Staaten das aktive Engagement der EU für eine Überwindung der feststeckenden Verhandlungen. Wobei, und dieser Einschub ist hier trotz oder gerade wegen meiner Befürwortung des Erweiterungsprozesses notwendig: Für einen EU-Beitritt müssen echte und belastbare Fortschritte in Sachen Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, Medienfreiheit und bei allen politischen und sozialen Grundrechten ausschlaggebend sein. Ebenso wie Transparenz der Verhandlungen und die stete Einbeziehung der Bevölkerungen, um deutlich zu machen, welche mittel- und langfristigen Folgerungen mit dem Beitrittsprozess verbunden sein werden.
Helmut Scholz ist Europaabgeordneter und Handelspolitischer Sprecher der Delegation Die Linke im Europäischen Parlament. Er ist unter anderem Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel (INTA), im Ausschuss für Konstitutionelle Fragen (AFCO) und in den Delegationen für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und zu China.
Zugleich ist es offensichtlich, dass eine Erweiterung ohne die Veränderung der EU selbst und ihrer vertraglichen Basis nicht möglich ist. Deshalb kündigte die belgische Ratspräsidentschaft auch einen »Reformfahrplan« an. Eine um weitere sieben bis acht Staaten vergrößerte EU kann und wird nicht mehr die heute existierende Union sein, deren Politik im Alltag schon jetzt vielen Erwartungen ihrer Bürger*innen nicht entspricht. Es gilt, die zentralen Aufgabenfelder, die Komplexität und die auf alle Menschen der EU-27 und der Kandidatenländer zukommenden Belastungen und Herausforderungen konkret herauszuarbeiten und gemeinschaftlich zu thematisieren.
Das Europaparlament hat zumindest die Konturen des »Projektes EU-Erweiterung« erkannt und sich zur gemeinschaftlichen Vorlage der Ausschüsse für Auswärtige Angelegenheiten (AFET) und für Konstitutionelle Angelegenheiten (AFCO) verständigt. Und diese Positionierung hat es in sich: Denn der AFET wertet die Erweiterung vor allem als geopolitische Interessenwahrnehmung. Das greift jedoch zu kurz, weil dies nicht die Frage beantwortet, wie sich die EU auf solch fundamentale Veränderungen vorbereiten muss.
Ganz praktisch heißt das: Die Umsetzung der Kopenhagener Beitrittskriterien, die Gemeinschaftspolitiken, allen voran die Haushalts-, die Agrarpolitik und die so wichtige Regional- und Strukturpolitik, sind neu auszurichten. Neue Eigenmittel sind aufzubringen, denn eine Kürzung am bisherigen Haushalt oder eine Umverteilung zulasten der europäischen Solidarität oder Kohäsion darf es nicht geben – ebenso wenig wie das berüchtigte Sozialdumping. Auch, weil die Beitrittsländer EU-Unterstützung im erheblichen Umfangs benötigen werden. Nicht zuletzt: Eine Erweiterung der EU ist nur mit einem Frieden in der Ukraine und mit der Überwindung der Konflikte in Moldau sowie zwischen Serbien und Kosovo machbar. Dies muss einhergehen mit einer Verständigung über die nicht-militärische, demokratische und nachhaltige Neubestimmung des sicheren Zusammenlebens in der EU und mit ihren Nachbarn.
Nicht zu vergessen: Das institutionelle Gefüges der EU ist so zu reformieren, dass Beratungs- und Entscheidungsprozesse transparent, demokratisch und effizient ablaufen. Mit dem kürzlich vom Europaparlament mehrheitlich angenommenen Initiativbericht zur Reform der EU-Verträge ist bewusst Artikel 48 aktiviert worden. Er sieht die Einberufung eines Konvents vor, um die EU-»Grundlagenverträge« auf den Prüfstand zu stellen und zu verändern – was auch eine der Hauptforderungen der EU-Zukunftskonferenz war.
Die Bürger*innen der EU-27 erwarten noch vor den Europa-Wahlen im Juni konkrete Antworten, wie Vertiefung und Erweiterung der EU möglich werden kann und soll. Ein Schweigen dazu bedroht die Demokratie in Europa und wäre Wasser auf die Mühlen rechter und populistischer Kräfte.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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