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Soylent Brown
In Zeiten, in denen alles schnell gehen muss, kommt das Instant-Frühstück gerade recht – schluck!
Wenn Sie die Wahl hätten, für welches Frühstück würden Sie sich entscheiden? Für ein knuspriges Laugeneck mit frischer Butter und Limettenmarmelade und ein gekochtes Bio-Ei oder für einen zähen braunen Seim, der schmeckt wie stark gezuckertes Bratfett und der aus einer Polyethylenterephthalat-Flasche kommt?
Nun: Ganz klar für den Seim, denn nicht nur dauert der Verzehr eines herkömmlichen Frühstücks (Besteck und Teller holen, Ei schälen, Brötchen schmieren) und die Entsorgung der Essensreste für moderne Menschen mit einer ausgeglichenen Work-Life-Balance viel zu lange, das neuartige dickflüssige Instantfrühstück »to go«, das »Ready-to-drink-Meal«, ist auch sehr viel praktischer und gesünder. Man kann es morgens in einem Rutsch runterkippen, also mit einer einzigen kraftvollen Handbewegung, bevor man gestählt zum Fitnessstudio, zum Ko-Working-Space oder in die Kaserne aufbricht, um dort dann die üblichen Männersachen zu machen.
Zugegeben: Die Konsistenz sogenannter Trinkmahlzeiten erinnert – sieht man von der Farbgebung einmal ab – auf ungute Weise an den Speichel einer Dogge, und auch was den stolzen Preis einer Portion (ein halber Liter) angeht, fragt man sich, ob man sich für die Summe nicht besser in der Brutzelbude nebenan einen schmackhaften Döner Kebap holt, aber: Das Getränk enthält dem Hersteller zufolge »die von der EU empfohlene Tagesmenge aller Vitamine und Mineralstoffe, die man mit einer Mahlzeit zu sich nehmen soll« und kommt obendrein – Doggenspeichelkonsistenz hin oder her – derzeit in den angesagten Trendfarben der aktuellen Wintersaison daher (Karamell, Chamois, Taupe). Außerdem ist die Plörre wie gesagt im Handumdrehen getankt. Was will man mehr?
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Die anvisierte Zielgruppe ist nicht nur der allgegenwärtige FDP-Schnösel. Dass insgesamt jungdynamische Cis-Männer mit begrenztem intellektuellem Fassungsvermögen angesprochen werden sollen, ist offensichtlich: Die Verpackung des typischen »Ready-to-go-Drinks«, ein zylinder- beziehungsweise phallusförmiger Kunststoffbehälter, soll erkennbar an Produkte gemahnen, die für gewöhnlich in Baumärkten verkauft werden: Farbdosen, Terpentin, tragbares Mini-Schraubenschlüssel-Set.
Damit aber niemand das Zeug mit Leim oder Wandfarbe verwechselt, hat man vorsichtshalber in riesenhaften Druckbuchstaben »THIS IS FOOD« auf die Flasche gedruckt. Schließlich kann man nie wissen. Wer schon einmal Männer beim Einkaufen im Supermarkt beobachtet hat, weiß, dass ihr Gehirn nicht immer hundertprozentig auf Zack ist: Ihr Duschgel und andere Pflegeprodukte kaufen sie schließlich bevorzugt in Verpackungen, die anscheinend designt wurden, um die fragile Männlichkeit der Kundschaft nicht zu gefährden: Parfümflakons, deren Form einem Bodybuilder-Torso nachempfunden ist; After-Shave-Fläschchen, die wie ein Flachmann aussehen; penisförmige Rasiercremedosen. Düfte sind wahlweise »rauchig« oder »ledrig«. Eine Lotion zur Gesichtsreinigung muss »Holzkohle« enthalten. Ein kleines Wunder eigentlich, dass es noch kein Aftershave gibt, das »Benzin«, »Iron Fist« oder »Big Balls« heißt.
Also soll auch das an Astronautennahrung erinnernde, flüssige Hipsterfrühstück aus der Penisflasche der neuen Männergeneration das Gefühl vermitteln, sie seien rundum prachtvolle Teufelskerle und virile Tausendsassas, die nicht nur breitbeinig herumstehen, sondern sich auch »modern ernähren« können.
»Der Shake ist in zahlreichen verschiedenen Geschmacksrichtungen wie Vanille, Beere, Banane und Schokolade erhältlich«, leider aber noch nicht in den Geschmacksvarianten Red Meat, Smoked Whisky und Stiff White Protein.
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